Fukushima: Nuklearer Albtraum in Zeitlupe

Seite 3: Düstere Aussichten: Japan erlebt die schrittweise Entfaltung einer gesundheitlichen Tragödie

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Niemand weiß, welche Elemente genau, wo, wie und in welcher Menge seit 2011 in Fukushima freigesetzt werden. Immer noch gelangt tonnenweise radioaktiv kontaminiertes Wasser über Lecks in den Pazifik.

Das größte Problem, das dem Verständnis der Risiken entgegensteht ist, wie bereits erwähnt, die Tatsache, dass es keine von offizieller Seite bestätigten und auf Grundlage vernünftiger Überlegungen erstellten Zahlen gibt. Ich würde sie gerne zitieren, aber im Fall Tschernobyl gehen WHO und IAEO von knapp 50 Toten und etwa 9.000 zusätzlichen tödlichen Krebs- und Leukämieerkrankungen aus.

Die Einschätzung des IPPNW auf Grundlage veröffentlichter Daten liegt bei knapp 100.000 Toten.

In Japan gingen im Gegensatz zur atomaren Katastrophe von Tschernobyl nur ca. 20 Prozent des Cäsium-137 über Japan nieder, während rund 80 Prozent den Pazifischen Ozean verseuchten.So wird vor Kaliforniens Küste beispielsweise Thunfisch mit hohen Cäsiumwerten aus dem Meer gefischt.

Weite Teile der Bevölkerung ganz Japans akkumulieren fortlaufend erhebliche Pegel an radioaktiv strahlenden Partikeln aus Atemluft, Wasser und Nahrung. Jedes einzelne Teilchen schwebt wie ein verinnerlichtes Damoklesschwert über dem Erbgut.

Die autoradiographischen Bilder von Autofiltern aus Seattle (USA), Tokio und Fukushima Stadt von April 2011, kurze Zeit nach dem Unfall, veranschaulichen dies sehr eindrücklich. 2 Man stelle sich stattdessen vor, es handle sich Röntgenaufnahmen einer Lunge:

Wo sich die Menschen vorher in Sicherheit wägten, werden sie nun auf Schritt und Tritt von einer unsichtbaren, heimtückischen Bedrohung begleitet, was mit in die erhebliche psychosoziale Leidenskomponente hineinspielt.

Viele Menschen haben ihren Lebensunterhalt verloren, leben immer noch in kargen Notunterkünften oder werden gar genötigt zurück in die Evaluierungszonen zu ziehen. Depression und Selbstmord grassieren, viele Ehen gehen zu Bruch oder bleiben kinderlos.

Die Menschen verdrängen und verheimlichen strahlen-assoziierte Symptome auch häufig, denn der Verdacht auf beschädigtes Erbgut beeinträchtigt nicht nur die Heiratschancen, sondern führt oft auch zu sozialer Stigmatisierung.

Wann welche physikalisch-biologischen Schäden in etwa auftreten, ist seit Tschernobyl zumindest in Fachkreisen gut bekannt.

Es gilt: je jünger, desto strahlen-sensibler ist ein Lebewesen. Das bedeutet direkt nach dem GAU deutlich mehr Fehlgeburten und tote Föten, nach etwa einem Jahr beginnt die Inzidenz von Leukämien und anderer bösartiger Erkrankungen im Kindesalter zu steigen.

Die Mediziner des IPPNW fordern seit langem, das Konzept der "Referenzperson" durch einen "Referenzembryo" zu ergänzen:

"Dem Schutz des ungeborenen Lebens und der genetischen Unversehrtheit der nachkommenden Generationen muss die höchste Priorität eingeräumt werden. Der Strahlenschutz muss deshalb die Erwachsenenmodelle ergänzen und sich dabei an der besonderen Vulnerabilität von Ungeborenen und Kindern orientieren."

Die genetischen Effekte treten teils schon in der ersten Folgegeneration auf, andere erst in späteren Generationen; letztere sind deshalb schwer nachzuweisen. Zahlreiche in den sogenannten "Sperrzonen" von Tschernobyl und Fukushima durchgeführte Untersuchungen an Tieren mit schneller Generationsfolge zeigen schwere genetische Schäden in Relation zur radioaktiven Belastung der Fundorte.

Beim Menschen sind entsprechende Schäden nach Niedrigdosisstrahlung seit langem bekannt. Transgenerationelle und damit genetisch fixierte Strahlenschäden sind z. B. bei den Kindern der "Tschernobyl-Liquidatoren" vielfach dokumentiert.

IPPNW Kongress: Einladung auch an die interessierte Öffentlichkeit

2016 werden sich die atomaren Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima zum 30. bzw. zum 5. Mal jähren.

Dies nimmt die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) zum Anlass, vom 26. bis 28. Februar 2016 einen Kongress in der Berliner Urania zu veranstalten (Frühbucherrabatt bis 31.12.15). Alles weitere finden sie hier.

Die Ärzteorganisation will eine gesamt-gesellschaftliche Debatte anstoßen, daher gilt die Einladung nicht nur dem Fachpublikum, sondern insbesondere auch der interessierten Öffentlichkeit.

Neben harten Fakten und politischen Analysen wird es auch Erlebnisberichte von freiwilligen Helfern und Aktivisten geben, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, was es für die Betroffenen bedeutet, seit 30 respektive 5 Jahren mit den Folgen eines Super-GAUs zu leben.

Ein weiterer Schwerpunkt wird die enge Verflechtung ziviler und militärischer Glieder im Rahmen der sogenannten "Nuklearen Kette" sein.

Sie beginnt mit dem Uran-Bergbau, der ganze Landstriche verseucht, geht über radiotoxischen Feinstaub durch den Einsatz von Uranmunition z.B. in Ex-Jugoslawien, Afghanistan und dem Irak über Atomwaffen, die z.B. auch in Deutschland im Fliegerhorst Büchel lagern, und mündet in den völlig ungeklärten Fragen der Endlagerung und Dekontamination einer verstrahlten Umwelt.

Wer sich einen Eindruck von der Tiefe und Breite der Veranstaltung verschaffen möchte, kann sich auf der Kongressseite über die Referenten aus dem In- und Ausland informieren:http://www.tschernobylkongress.de/index.php?id=144.

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