G7-Gipfel: Nicht erklärter Ausnahmezustand
- G7-Gipfel: Nicht erklärter Ausnahmezustand
- "Vorgehen wie in der Türkei"
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Proteste wurden durch eine völlig überzogene Präsenz der Sicherheitskräfte unterdrückt. Im ganzen französischen Baskenland wurde ein Demonstrationsverbot nach türkischem Vorbild durchgesetzt
Die Sonne schien am Sonntag auf eine ausgestorbene Uferpromenade im französisch-baskischen Bayonne, auf der sich sonst zahlreiche Touristen und Bewohner vor allem im August drängeln. Geschäfte, Restaurants und Bars waren meist verbarrikadiert.
Überall standen schwer bewaffnete Polizisten und Gendarmen herum, die an diesen G7-Gipfeltagen jede Menschenansammlung sofort kontrollieren, als wäre über die Stadt oder die Region der Ausnahmezustand verhängt worden. Dabei findet der G7 nicht einmal hier in Bayonne statt, sondern zehn Kilometer entfernt im mondänen Seebad Biarritz.
Julian und Maria suchen verzweifelt in Bayonne nach einem Restaurant. Eigentlich wollten sie in Biarritz die Tage verbringen. Das Paar aus dem spanischen Santander wusste aber nichts vom G7, als der Urlaub vor dem Sommer geplant wurde. "Ausgerechnet in Biarritz haben wir unser Hotel", sagt die junge Frau. Doch dort konnten sich die jungen Leute in der blauen Verbotszone kaum bewegen - und in die rote Zone um den Tagungsort am Stand man kommt gar nicht hinein.
Polizeisperren
Dass die Polizei sie aber auch hier nicht über die Brücke in die Altstadt von Bayonne lässt, ärgert sie besonders. Das Paar war extra hierher geflüchtet, um sich etwas anderes anzuschauen. Schließlich finden sie wenigstens in Klein-Bayonne, auf der gegenüberliegenden Seite des Adur, doch noch ein Mittagessen im Pitaya.
Die Aussicht über den Fluss auf die Kathedrale ist grandios, aber es stören derzeit die schwer bewaffneten Polizisten, die Wasserwerfer, die Polizeibullis und Lastwagen. Es nerven lärmende Hubschrauber über der Stadt und die Motorradkonvois der Polizei, die durch die fast menschenleeren Straßen brausen. Da am Sonntag um 17 Uhr eine spontane Demonstration für die Freiheit der bis dahin etwa 100 Gefangenen, die im Laufe des Gipfels festgenommen wurden, angesetzt worden war, baut die Polizei schließlich wieder die riesigen Absperrgitter an den Brücken auf.
Auch hier vor dem Pitaya wird nun wieder komplett dicht gemacht und es werden weder Fußgänger, noch mit Koffern bewaffnete Touristen oder Anwohner auf dem Fahrrad durchgelassen. "Pourquoi? (Warum)", fragt die kleine drahtige Bedienung zwei offizielle G7-Teilnehmer, die ebenfalls im Pitaya speisen. "Ist das etwa eine Demokratie, dass man nicht einmal protestieren darf?"
Eine Antwort erhält die genervte Bedienung nicht, deren Kneipe am Vorabend mit Tränengas ausgeräuchert worden war. Die beiden sehr beleibten Herren ziehen es deshalb vor, schnell zu bezahlen, um wieder in Richtung "Bunker" nach Biarritz zu ziehen, wie die Basken hier die Hochsicherheitszone nennen.
Eine Demonstration kann real nicht stattfinden. Beidseits der riesigen Polizei-Barrikaden versammeln sich aber etwa 100 Menschen. Mehr haben es nicht geschafft, durch die zahlreichen Kontrollen nach Bayonne zu kommen. Etwa 20 Kilometer entfernt wurden in Bidart gut 80 Menschen von der Polizei eingekesselt und drei Stunden in der prallen Sonne festgehalten, die sich gemeinsam auf den Weg zur Demonstration machen wollten, um sie von der Teilnahme abzuhalten. Darunter befanden sich auch die Journalisten Eneritz Arzallus und Lander Arbelaitz, die trotz ihrer Presseausweise festgehalten wurden.
Festnahmen
"Heute früh war es in Hendaye genauso", erzählt Peio am Rand des kleinen Protests für die Gefangenen, der es wie der Autor dieser Zeilen über viele Schleichwege doch noch geschafft hat, die Kontrollen an praktisch jeder Kreuzung zu umgehen. Darüber wurden potentielle Protestler herausgefischt oder abgeschreckt, die mit Inhaftierung oder Abschiebungen zu rechnen hatten. Dafür hatte man schon im Vorfeld Exempel statuiert.
Aus dem spanischen Baskenland die Grenze zu überschreiten, wenn man nicht wie ein Tourist schwer beladen mit einem ausländischen Kennzeichen in Richtung Grenze fuhr, daran war nicht zu denken. Allein zwischen Donostia-San Sebastian und der Grenze in Hendaye waren drei verschiedene Kontrollen zu überwinden. Zunächst die Kontrollen der paramilitärischen Guardia Civil, dann die der Nationalpolizei und schließlich die der französischen Polizei, die sehr viele Fahrzeuge anhielt und durchsuchte.
Seit der genehmigten Großdemonstration am Samstag von Hendaye über die Grenze nach Irun (G7-Gegengipfel: Absolute Friedfertigkeit gegen Panikmache) war die Grenze praktisch dicht. Wer, wie Joseba Alvarez, auf einer der vielen schwarzen Listen stand, wurde bei einer Kontrolle sofort inhaftiert. Dabei gehörte er zu den Organisatoren des Gegengipfels und hatte, auch im Telepolis-Interview, stets zu friedlichen Protesten aufgerufen.
Wie Luc, der freie Mitarbeiter von Radio Dreyeckland (RDL) in Freiburg, der sogar zwei Mal illegal auf Basis einer solchen Liste inhaftiert und abgeschoben wurde, berichtete auch Alvarez nach seiner Freilassung am Sonntagmittag davon, dass oft Gefangene verletzt von der Polizei in Gefängnisse gebracht werden.
Luc hatte berichtet, dass drei junge Männer aus Nürnberg, die im Vorfeld festgenommen und derweil schon zu zwei und drei Monaten Haft (ohne Bewährung) verurteilt wurden. Sie hätten ausgesehen, "als wären sie gerade aus einer Schlägerei gekommen", erklärte er gegenüber Telepolis.
Allein die Liste von Menschen aus dem spanischen Baskenland umfasst mehr als 500 Personen. Wie die Personen auf den Schwarzen Listen in Deutschland wurde keiner von ihnen davon informiert, dass ihnen die Einreise bis zum Ende des Gipfels untersagt war, erklärt Alvarez gegenüber Telepolis: "Wir werden dafür im Frankreich Macrons-kriminalisiert, dass wir für eine bessere Welt eintreten."
Auf solchen Listen stehen Basken, Franzosen, Deutsche, Spanier und viele andere. "Der Gipfel hat gezeigt, was Macron, bei dem die Grundrechte wie die Freizügigkeit, die Presse- und Versammlungsfreiheit angegriffen werden, unter Demokratie versteht", so Alvarez. Er fordert die sofortige Freilassung aller im Rahmen des Gipfels festgenommenen Personen, die zum Teil Opfer von Polizeigewalt wurden.
Veranstalter setzen Proteste aus
In Anbetracht dieser Vorgänge und der Verhaftung von Alvarez hatte die Plattform G7EZ angesichts einer erdrückenden aggressiven Polizeipräsenz alle Proteste ausgesetzt. "Wir können die Sicherheit nicht gewährleisten", erklärte Enaut Aramendi gegenüber dem Autor dieses Berichts. Eigentlich war am Rand von Biarritz für Sonntagmittag geplant, sieben Plätze über zivilen Ungehorsam zu besetzen, um gegen den G7 zu protestieren, wie der Sprecher von G7EZ (Nein zum G7) anmerkt. Die Aktionen waren schon am Vortag ausgesetzt worden.
Geplant war aber noch, gegen den "Bunker" in Biarritz in Anglet eine Menschenmauer zu errichten. Auch das war aber praktisch unmöglich, weil die Leute praktisch keine Chance angesichts der vielen Kontrollen hatten, ohne Presseausweis zum "Chambre d'Amour" zu gelangen. Aramendi erklärte Telepolis und anderen Medien, deren Vertreter es an den Strand von Anglet geschafft hatten, dass man auch diese Aktion abgeblasen habe. Man wollte nicht ins "aufgestellte Messer" laufen und auf Provokationen einsteigen. Man wolle sich die Erfolge des Gegengipfels nicht nehmen lassen.
Denn mehr als 6000 Menschen hätten über Alternativen zur neoliberalen Politik gesprochen, die den Planeten zerstört und die Menschen immer stärker ausbeutet. Mit 15.000 Personen hätten deutlich mehr als erwartet gegen den Gipfel demonstriert. Dieser Erfolg sollte nicht durch provozierte Gewaltbilder in Tränengasschwaden verschwinden.
Dabei bezog er sich auf ein "Scharmützel" am Abend zuvor in Bayonne, als es an den Absperrgittern zum Konflikt kam, wie auch der deutsche Fotograf Jens Volle gegenüber Telepolis bestätigen konnte. Die Polizei tauchte dabei die Straßen in Klein-Bayonne in einen Gasnebel. Erst im Anschluss warfen einige Menschen hilflos ein paar Steine und Flaschen in Richtung der Absperrgitter, wie auch ein Video des Journalisten Lander Arbelaitz zeigt.
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