Gaspreis: Wie eine echte Entlastung aussehen könnte
Die Mehrwertsteuer-Absenkung von Kanzler Scholz bringt zu wenig und ist mal wieder vollkommen ungezielt. Ein Gegenvorschlag.
Das Gezerre um Gasabgabe und Mehrwertsteuer ist mal wieder ein gutes Beispiel dafür, mit welch heißer Nadel die Berliner Koalition ihre Energiepolitik gestaltet. Dabei scheint sie nur eine Prämisse zu kennen: Die Interessen der großen Konzerne müssen gewahrt bleiben.
Wochenlang wurde über die Gasumlage gesprochen und an ihr gefeilt. Als sie schließlich beschlossen war, fiel dann um fünf nach 12 auf, dass es für die Verbraucher doch ziemlich hart kommen wird und die Geschichte daher irgendwie ein wenig in Zucker verpackt werden sollte.
Also zauberte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – bildlich gesprochen zwischen zwei Auftritten in Cum-Ex-Untersuchungsausschüssen – die Absenkung der Mehrwertsteuer aus der Tasche. Nicht auf fünf Prozent, wie jüngst in Spanien beschlossen und wie es nach EU-Recht möglich wäre, aber immerhin auf sieben Prozent. Derzeit beträgt der Mehrwertsteuersatz auf Gas, wie im übrigen auch auf Strom, 19 Prozent.
Der Staat nimmt so immer noch geringfügig mehr ein als 2020
Diese nobel und sozial erscheinende Geste ist für den Fiskus in Wirklichkeit wohlfeil, wie folgende Rechnung zeigt: 2020 nahm der Staat bei einem Netto-Gaspreis von 5,02 Cent pro Kilowattstunde und einem Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent 0,95 Cent pro Kilowattstunde ein.
Im April 2022 kostete die Kilowattstunde Gas nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft netto bereits 11,16 Cent pro Kilowattstunde und ab 1. Oktober sind es mit der Gasumlage dann mindestens 13,61 Cent pro Kilowattstunde.
Also würde auch der Staat mehr einnehmen. Bei einem Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent wären das für den Fiskus Einnahmen in Höhe von 2,59 Cent pro Kilowattstunde. Das heißt, ohne Mehrwertsteuerabsenkung würde der Fiskus reichlich vom Preisanstieg profitieren.
Mit der angekündigten befristeten Absenkung muss er allerdings keinesfalls darben. Bei einem Steuersatz von sieben Prozent fließen ab dem 1. Oktober immer noch 0,95 Cent pro Kilowattstunde Gas in die Kassen des Finanzministers, also so viel, wie 2020.*
Entsprechend gab es reichlich Kritik an der Ankündigung des Bundeskanzlers. Wieso nur beim Gas eine Absenkung der Mehrwertsteuer? Wieso nicht auch auf Solaranlagen, Dämmmaterial und ähnlichen Dingen, mit denen der Gasverbrauch vermindert werden könnte? Das EU-Recht sieht derlei ausdrücklich vor.
Gegenvorschlag: Grundkontingent kostenlos, Vielverbraucher zur Kasse
Und dann stellt sich natürlich die Frage, die unter anderem von den Gewerkschaften und den Sozialverbänden aufgeworfen wird: Wieso wird schon wieder mit der Gießkanne operiert? Warum werden schon wieder Vielverbraucher im besonderen Maße belohnt? Wieso werden nicht gezielt diejenigen entlastet, die es wirklich nötig haben?
Zumindest könnte man doch, statt pauschal alles zu verbilligen, privaten Haushalten in Abhängigkeit von der Personenzahl ein bestimmtes Grundkontingent kostenlos zur Verfügung stellen.
Ähnliches müsste auch mit Strom geschehen, dazu das Neun-Euro-Ticket verstetigt werden, für zwei Jahre ein genereller Stopp für Mieterhöhungen ausgesprochen und der Mindestlohn auf 15 Euro angehoben werden.
Dann könnte von einer echten Entlastung der Menschen mit geringem Einkommen die Rede sein.
Korrektur: In einer früheren Version schrieben wir, dass der durchschnittliche netto Gaspreis im April bei 11,57 Cent pro Kilowattstunde lag. Das war falsch, wir hatten uns in einer Nachkommastelle vertan. Der Preis lag bei 11,157 gerundet also 11,16 Cent pro Kilowattstunde. Entsprechend sind auch die nachfolgenden Angaben, die sich aus diesem ersten Wert berechnen, leicht zu hoch angegeben gewesen.