Gasumlage: Klassenkampf von oben

Seite 2: Neun-Euro-Ticket zu erfolgreich

Der Klimawandel ist also auch hierzulande für viele Menschen inzwischen zum Greifen nah, doch für die deutschen Liberalen ist das noch lange kein Grund, "mehr Klimaschutz zu wagen". Der Verkehrssektor – genauer: der Straßenverkehr – ist der einzige Bereich, in dem in den letzten 30 Jahren keinerlei Minderung der Treibhausgasemissionen stattgefunden hat. Da könnte man eigentlich schon mal auf die Idee kommen, dass da etwas nachgeholt werden müsste, dass ein wenig mehr Tempo in Sachen Klimaschutz notwendig wäre.

Zum Beispiel, mit einem Tempolimit, mit einer weniger autofreundlichen Gestaltung der Städte oder indem erheblich mehr Gelder in die seit Jahrzehnten eher auf Verschleiß betriebene Bahn gesteckt werden. Oder indem der öffentliche Personennahverkehr, der ÖPNV, attraktiver gestaltet wird. Letzteres wäre der Bundesregierung ja sogar fast gelungen. Das Neun-Euro-Ticket, erwies sich als voller Erfolg. Bei den Bürgerinnen und Bürgern außerordentlich beliebt führte es zu einem teils erheblichen Anstieg der Fahrgastzahlen im Regional- und Nahverkehr.

Entsprechend fordern Verbraucherzentralen, die Grünen, die Linkspartei und viele mehr, eine Verlängerung oder zumindest eine kostengünstige Anschlusslösung. In Jena wird dafür sogar regelmäßig demonstriert, Hamburg geht am Freitag für die Fortsetzung auf die Straße und Kassel am Samstag im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – der mit den Erinnerungslücken bei seinen Banker-Kontakten – spricht von einem "großen Erfolg".

Nur einer stellt sich quer. Porscheminister Christian Lindner von der FDP, der neben seinen Lobbygeschäften für die Automobilindustrie auch noch für das Finanzressort zuständig ist, findet, die rund 30 Millionen Ticket-Nutzerinnen und -Nutzer würden eine "Gratismentalität" zeigen und die dem Fiskus entstehenden Kosten von jährlich rund 12 Milliarden Euro seien unakzeptabel.

Zum Vergleich: Das Dienstwagenprivileg kostet jährlich 4,4 Milliarden Euro, die Begünstigung von Flugtreibstoff 7,4 Milliarden (Wert für 2017) und allein der Bau von 3,2 Kilometer Autobahn in Berlin 700 Millionen Euro. Doch derlei Vergleiche gefallen dem liberalen Minister nicht, weshalb er es vorzieht, das Debattenklima zu vergiften. Es hätten ja sogar Leute vor seinem Ministerium für das Neun-Euro-Ticket demonstriert. Das sei vor allem "die Antifa" gewesen, ließ er wissen.

Das sagt einiges über Lindners Verhältnis zur Demokratie aus. Für den Minister ist Antifaschismus offensichtlich so eine Art Schimpfwort, das er für bestens geeignet hält, den Gegner zu stigmatisieren. Das erinnert an die dunkelsten Kapitel des deutschen Liberalismus. Aber so sieht es halt aus, wenn Profis sich um den Klimaschutz kümmern.

Für Enteignung

Die Aktiven der Klimaschutzbewegung, denen der Minister mit diesem anderen seiner berüchtigten Denksprüche bescheinigte, Amateure zu sein, lassen sich unterdessen nicht beirren und setzen ihre Aktionen fort. Für den 23. September wird der nächste internationale Klimastreiktag der Jugendbewegung "Fridays for Future" vorbereitet. Neben den Forderungen nach Klimaschutz soll auch die nach Entschädigung für die angerichteten Schäden aufgestellt werden, die sich natürlich an die Industrieländer richtet, die den größten Teil der historischen Emissionen zu verantworten haben.

Schon ein paar Wochen zuvor, am kommenden Samstag, will der deutsche Ableger des Jugendnetzwerks gemeinsam mit dem Netzwerk "Ende Gelände", dem rheinländischen Anti-Braunkohle-Protestcamp "Lützerath lebt" und der Kampagne "RWE & Co. Enteignen" in Köln demonstrieren. Dort soll die Forderung nach Enteignung der Energiekonzerne im Vordergrund stehen. Motto: "Enteignen statt Krise – eine klimagerechte Zukunft aufbauen".

"Die Energiekrise bringt mehrere Millionen Menschen in der BRD in existenzielle Not", heißt es in einer kurzen Pressemitteilung des Bündnisses. Die Demonstration sei eine Antwort auf steigende Energiepreise und das Fehlen sozialer Antworten. Die Energiekonzerne müssten enteignet und der Energiesektor vergesellschaftet werden. (Hier der ausführlichere Aufruf zu Kölner Demonstration.) Inflation und Gasumlage würden private Haushalte in finanziellen Ruin treiben, während Konzerne "Milliardengewinne" einfahren.

Das grün geführte Wirtschaftsministerium findet die Gewinne übrigens ganz in Ordnung, wie kürzlich in der Bundespressekonferenz zu erfahren war. 34 Milliarden Euro wird schätzungsweise über die Gasumlage in die Kassen von elf Konzernen umverteilt werden. Man könnte das auch – ebenso übrigens wie Christian Lindners kaum verhohlene Abscheu vor Menschen mit geringem Einkommen – Klassenkampf von oben nennen.