Gebt der AfD Sündenböcke! Lasst sie siegen!

"Wir" gegen "Die": Schon die Faschisten vor hundert Jahren wussten, warum das in Krisenzeiten funktioniert.

Die rechtsradikale Partei hat seit 2016 ständig Erfolge eingefahren. Jetzt stellt sie ihren ersten Landrat in Deutschland. Ein wesentlicher Grund dafür ist ein gefährliches Spiel, das Politik und Medien spielen. (Teil 2, Schluss)

Mit Robert Sesselmann, der die Stichwahl im thüringischen Sonneberg am Sonntag für sich entscheiden konnte, stellt die AfD zum ersten Mal einen Landrat in Deutschland. Die Partei fokussierte den Wahlkampf vor allem auf das Heizgesetz, Inflation und Flüchtlinge. Sesselmann sieht die AfD jetzt auf dem Weg zur Volkspartei.

Wie im ersten Teil der Analyse "Zwei Tipps, wie wir die rechtsextreme AfD weiter stärken können" schon herausgestellt, sollten vor allem die tiefer liegenden Treiber bei den Erfolgen der rechtsradikalen Partei mit beachtet werden. Im ersten Teil ging es um die neoliberale Wende und seine Effekte, die rechtsextreme Parteien nicht nur in Deutschland, sondern in allen westlichen Demokratien für sich instrumentalisieren konnten.

Doch es gibt noch ein weiteres Schwungrad, das Parteien wie die Alternative für Deutschland seit Jahren Schubkraft verleiht.

Das zweite zentrale Erfolgsrezept rechtsextremer Parteien besteht aber keineswegs darin, dem Frust, der durch die neoliberalen Angriffe auf den Wohlfahrtstaat und die Demokratie gespeist wird, Lösungen anzubieten. So hat Trump als US-Präsident den Superreichen, dem oberen einen Prozent, ein Steuergeschenk in Höhe von gigantischen 1,5 Billionen Dollar gemacht, während die Gegenfinanzierung über Sozialkürzungen seitdem eingebracht wird.

Die AfD ist ebenfalls auf der Seite der Reichen und Superreichen, während ihr Programm neoliberal ausgerichtet ist. In Frankreich propagiert die Rassemblement National (bis 2018 Front National) eine Politik für die Familie und mittelständische Betriebe. Ob es mehr ist als wahltaktische Rhetorik, um bei der Bevölkerung zu punkten, ist allerdings fraglich.

Was Trump, AfD & Co. tatsächlich groß gemacht hat, sind Strategien, mit denen der verunsicherten Bevölkerung, der Wut und Unzufriedenheit der Bürger:innen, Blitzableiter angeboten werden. Die Diffamierung von Sündenböcken ist ein Kernelement von Rechtsradikalen, mit dem Siege eingefahren werden. Und ein Blitzableiter für den Frust funktioniert besonders gut.

Schauen wir kurz über den Atlantik, um zu sehen, wie gut das funktionieren kann.

Als Trump vor genau acht Jahren die vergoldete Rolltreppe in seinem Trump-Tower herunterfuhr und vor den dort wartenden Kameras seine Überraschungs-Kandidatur für die US-Präsidentschaft bekannt gab, wetterte er in Tiraden gegen Mexiko, das angeblich "Vergewaltiger" in die Vereinigten Staaten schicke.

Das war kein improvisiertes Spektakel. Die rassistische Pranger-Strategie gegen dunkelhäutige "Eindringlinge aus dem verarmten Süden" wurde von Trump-Berater Roger Stone, einem Nixon-Zögling, im Vorfeld genau analysiert, mit Twitter-Testballons auf seine Wirksamkeit überprüft und dann als Gamechanger politisch minutiös ausgeschlachtet.

Die Hetze gegen Fremde wurde von Anfang an zum Kronjuwel des rechtsextremen Polit-Marketings Trumps erhoben und als zentrales Thema im US-Wahlkampf platziert – um Ängste und Verunsicherungen gezielt zu schüren, die "Störer" zum Grundproblem der USA zu machen und eine schnelle Lösung dafür anzubieten.

So wurde Trump zum Heilsbringer der Nation und Kult-Führer.

Die Medien machten mit, boten dem Polit-Entertainer ein enormes Forum. Jede Lüge wurde massenmedial als Quotenbringer verstärkt, während die US-Networks an den steigenden Werbeeinnahmen mächtig verdienten. Trump wurde zum Spitzenkandidaten bei den Republikanern. Und gewann, wenn auch knapp, die US-Präsidentschaft gegen die demokratische Kandidatin Hillary Clinton.

Er blieb seinem Erfolgsrezept bis heute treu. Das Muslimen-Einreiseverbot, seine "große, schöne Mauer", errichtet an der Grenze zu Mexiko gegen den "Abschaum" und die "Flut von Vergewaltigern", seine ständigen Ausfälle gegen Minderheiten, sein "Pussy-Grab"-Sexismus und die innige Umarmung von Rassisten und gewalttätigen Neonazis, die die Überlegenheit der weißen Rasse und Umvolkungs-Verschwörungstheorien propagieren: All das folgte einer durchdachten Strategie des "Wir" gegen "Die".

Der Fokus auf Minderheiten, andere Kulturen und Nationen als Bedrohung des "Wir" dockt an faschistische Ermächtigungstaktiken an, wie Jason Stanley von der Yale University in seinem Buch "How Fascism Works" zeigt. Nach dem Schema: "Wir sind die Opfer, sie die Täter. Sie sind minderwertig und nicht vertrauenswürdig. Sie leben im Sodom und Gomorrha. Sie kommen zu uns und nehmen uns die Arbeit weg und begrabschen unsere Frauen und Mädchen. Ohne sie wäre alles besser".

Das funktioniert besonders gut in von Krisen geschüttelten Gesellschaften, in denen notwendige Veränderungen von Lobbys, Eliten und Parteien blockiert werden, während der soziale Zusammenhalt zerfleddert und Ungleichheit wuchert. Flüchtlinge, Fremde, Minderheiten sind vor diesem Hintergrund der perfekte Sündenbock für reaktionäre Populisten, an denen sich der Frust entladen kann.

Das wussten schon die europäischen Faschisten und die Nazis rund um Hitler Anfang des letzten Jahrhunderts. Damals waren es Juden, Sinti und Roma, Nichtarier, Linke und Behinderte, denen schließlich mit einer Tötungsmaschinerie der Kampf angesagt wurde.

Thilo Sarrazin von der SPD versuchte das rechte Potenzial ebenfalls in Deutschland abzuschöpfen. Er bediente die ganze Klaviatur der Ablenkung nach dem Muster: "Die sind schuld" beziehungsweise "der Islam schafft Deutschland ab".

Die deutschen Medien spielten wie die US-amerikanischen mit. Das Buch wurde zu einem großen Bestseller. Nicht zufällig kommt Sarrazin aus der Finanzindustrie. Er ist ein klassischer Rattenfänger. Aber die verängstigten Menschen wurden im Zentrum der neoliberalen Demokratie, von Konzernen, dem politischen Establishment und der massenmedialen Öffentlichkeit erzeugt.

Aber erst die AfD konnte die Früchte des Zorns politisch einsammeln. Im Jahr 2015 war die Partei im Sinkflug begriffen, nachdem sie verzweifelt versucht hatte, über Anti-EU-Stimmungsmache zu reüssieren. Interne Streitereien schwächten sie mehr und mehr, sodass sie bei Umfragen im September 2015 bei vier Prozent landete und auf dem Weg war, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.

Doch dann kam die dramatische Wende. Im Herbst desselben Jahres begann der unaufhaltsame Aufstieg der Partei. Ein Jahr später, im September 2016, lag sie in der Sonntagsumfrage bei 16 Prozent. Auf der Erfolgswelle schwimmend, konnte sie die politische Radikalisierung vorantreiben und "Vogelschiss"-Theorien verbreiten.