Gedanken zu einem Privileg

Seite 3: Die wirtschaftliche Lage der Kreativen hat sich durch das Urheberrecht nicht wirklich verbessert

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Bleibt schließlich die Frage zu beantworten, ob das Urheberrecht Autoren und Künstlern ermöglicht hat, wirtschaftlich unabhängig zu werden. Zunächst die Zahlen: Über die Anzahl der Künstler und Urheber, die versuchen sich als Selbstständige durch das Leben zu schlagen, gibt die Künstlersozialkasse Auskunft24. Für selbstständige Autoren und Künstler besteht dort ab einem Einkommen von 3900 €/a Versicherungspflicht.

Danach sind im Bereich Wort ca. 42 000 selbstständige Autoren, Journalisten, Lektoren oder Übersetzer gemeldet. Im Bereich Musik sind ca. 46 400 Komponisten, Texter und Musiker u.A. versichert. Dies ist eine nicht geringe Anzahl von Menschen, die das Risiko auf sich genommen haben, von ihrer kreativen Arbeit zu leben. Dass dies vielen nicht leicht fallen kann, zeigen die Durchschnittseinkommen. Diese betrugen im Bereich Wort ca. 17 000 €/a im Bereich Musik gar nur 11 800 €/a (Zahlen für 2011). Durchschnittszahlen sagen allerdings wenig aus. Leider fehlen aber gerade für den Bereich prekärer Einkommen in der Kulturwirtschaft verlässliche Angaben.

Über die finanzielle Lage der Künstler mit höherem Einkommen findet man Angaben in den Umsatzsteuerstatistiken. Selbstständige Künstler sind ab einem Jahresumsatz von 17 500 €/a umsatzsteuerpflichtig. Diese gilt für etwa ein Drittel aller selbständigen Autoren und Künstler.

Abbildung 1 gibt einen Eindruck von der Verteilung der Umsätze einiger Berufsgruppen, die in erster Näherung auch für die Einkommen stehen können. Damit erzielen etwa 95% der selbständigen Buchautoren, Journalisten und Komponisten einen Umsatz kleiner als 100.000 €/a. Sie machen damit ca. 60% des Gesamtumsatzes. Nimmt man gleiche Verhältnisse auch für die Einkommen an, dann sieht man, dass die 5 % der am besten verdienenden Kulturschaffenden ca. 40% der Einkommenssumme einstecken. Diese Ungleichverteilung ist deutlich größer als im Durchschnitt der Bevölkerung.25

Abb.1: Verteilung der Umsätze bei verschiedenen Urhebern. Die Autoren, deren Jahresumsatz unter 17500 € liegt, sind in der Statistik nicht enthalten. (Daten aus Monitoring zu wirtschaftlichen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2009, Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaftsforschung.)

Die ungleiche Einkommensverteilung ist nicht dem Urheberrecht anzulasten. Sie ist auch nicht das Resultat von Urheberrechtsverletzungen, denn, wenn heute überhaupt Raubkopien von Büchern eine Rolle spielen, dann die von Bestsellern. Einen Hinweis, wie es zu den im Durchschnitt geringen Autoreneinkommen kommt, können Zahlen aus dem Buchmarkt geben (Abbildung 2).

Abb.2: Beschäftigtenzahl und Umsatz im deutschen Buchmarkt (2009)

Jeden Buchautor schleppt ein Rucksack von 10 Mitarbeitern in Verlagen und im Buchhandel mit sich. Vom Gesamtumsatz von 14,8 Mrd. € - das ist das Geld, was den deutschen Käufern der Erwerb von Büchern wert ist - bleiben bei den Autoren grade einmal 3 %. Es wird den Autoren im Rahmen des herkömmlichen Buchmarkts nicht leicht fallen, ein größeres Stück vom Kuchen zu erstreiten. Die Autoren sehen sich nämlich als Einzelkämpfer großen Verlagshäusern gegenüber. Dies ist die Folge der zunehmenden Konzentration bei Verlagen und großen Filialbuchhändlern.

Nur 34 Großunternehmen mit Durchschnittsumsätzen von 230 Mio. € beherrschen 50 % des Buchmarktes. Ca. 8.000 kleine und mittlere Verlage und Bucheinzelhändler müssen sich um die andere Hälfte streiten. Jedes Jahr drängen 4,5% neue Autoren auf den Markt, indes der Konzentrationsprozess bei Verlagen und im Buchhandel weiter geht. Dass kleine und mittlere Verlage ihren Autoren keine hohen Honorare zahlen können, liegt auf der Hand. Andererseits verhandeln nur erprobte Bestsellerautoren mit den Großverlagen auf Augenhöhe.

Die Situation gleicht auffällig den Verhältnissen in der Landwirtschaft. Hier müssen sich die Landwirte (ebenfalls am Anfang der Wertschöpfungskette stehend) gegen große Lebensmittelkonzerne und Einzelhandelsketten behaupten. Der Unterschied ist nur, dass die Bauern ihre Situation offenbar besser begreifen und in der Regel auch solidarischer sind. (Zum Thema Solidarität unter Kreativen lese man die Analyse von Heinz Rudolf Kunze im Schlussbericht der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland".26)

Das Beispiel des Büchermarkts steht stellvertretend auch für andere Segmente der Kultur- und Unterhaltungsindustrie (Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt, Musikmarkt etc.), in denen die Verhältnisse für die Autoren und Künstler eher noch ungünstiger sind.