Geduldete Blockierer

Am 8.Mai setzten Polizei und Politiker auf Zivilcourage gegen Rechts

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Szenerie ist bekannt. Neonazis wollen demonstrieren und Antifaschisten wollen das oft mit allen Mitteln verhindern. Schnell kommt es zu Auseinandersetzungen und häufig, muss die Polizei den Rechten den Weg frei prügeln. Doch am 8.Mai 2005 war in Berlin alles anders. Schon am Vormittag des 8.Mai beteiligten sich über 10.000 Menschen an einer Demonstration gegen den für diesen Tag von der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten angemeldeten Aufmarsch unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge – Schluss mit dem Schuldkult". Vor der offiziellen Beendigung der Demonstration gelang es Tausenden Menschen, die für die rechte Demonstration vorgesehene Route friedlich zu besetzen.

Neben Demonstranten hatten sich auch Teilnehmer des zweitägigen "Festes der Demokratie" (Fest gegen Rechtsextreme), das vom Berliner Senat ausgerichtet wurde, eingefunden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund war nicht nur mit Fahnen vertreten. Auf aufblasbaren Plastikflaschen hieß es etwas einfallslos: "Braune Flaschen zum Altglas". Schnell stellte die Polizei klar, dass sie nicht daran dachte, die Blockierer zu vertreiben. Zwar gab es weiträumige Absperrungen an den Spreebrücken, doch dabei ging es nicht darum, Blockaden zu verhindern. Vielmehr war es das Bestreben der Polizei, dass die Aktivisten gewaltfrei blieben. Deshalb hatten es Teilnehmer vom Demokratiefest leichter, zu den Blockaden zu gelangen, als die Demoaktivisten.

Die Polizei hatte die NPD aus eigener Sicherheit aufgefordert, ihre Demonstration abzusagen. Dieser Aufforderung kam die NPD schließlich nach Stunden des Wartens nach. Die Nachricht vom Rückzug der Rechten, wurde von den zahlreichen Antifaschisten mit großen Beifall bedacht. Die ca. 3000 Neonazis wurden von Sprechchören der Antifaschisten begleitet, während sie von der Polizei zu ihren Zügen und Bussen zurück eskortiert wurde. Am späten Abend löste die Polizei zwei rechte Spontandemonstrationen auf, die Neonazis in Berlin nach der vereitelten Großdemo zu organisieren versuchten.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, lobte die Polizeitaktik: "Es war richtig gewesen, unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit der Mittel, der NPD nicht den Weg frei zum machen, weil dies zu viele Verletzte gefordert hätte."

Schon seit Tagen hatte sich abgezeichnet, dass die politisch Verantwortlichen mehr als Verständnis dafür zeigen würden, wenn engagierte Bürger den rechten Aufmarsch durch die City von Berlin friedlich behindern würden. Die Mobilisierungen der letzten Wochen hatten deutlich gemacht, dass diese Demonstration 60 Jahre nach dem Sieg über den Nationalsozialismus von breiten Kreisen der Bevölkerung als unerträgliche Provokation aufgefasst würde, gegen die sie aktiv werden wollten. Dazu gehörten neben der Basis auch viele Politiker der in Berlin regierenden Parteien PDS und SPD.

Hinzu kamen gerade bei den führenden Politiker noch andere Überlegungen. Sollten aus Deutschland ausgerechnet am 8.Mai Bilder von einer Neonazi-Demonstration um die Welt gehen, auf der das Naziregime gerechtfertigt und die Niederlage bedauert wird? Für das öffentliche Ansehen Deutschlands wäre eine solche Botschaft auf jeden Fall abträglich. Eine couragierte Zivilgesellschaft, die den Rechten den Weg versperrt hingegen, sendet eine ganz andere Botschaft aus. Sie ist auch kompatibel mit der gerade zum 60ten Jahrestag des Kriegsendes breit propagierten Lesart:

Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

1985 wurde noch heftig über dieses Zitat in der Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker gestritten. 1995, zum fünfzigsten Jahrestag des Kriegsendes, gab es eine auch von zahlreichen CDU/CSU-Abgeordneten unterstützte Kampagne gegen diese Sichtweise. 2005 stand das Weizsäcker-Zitat über dem von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragenen "Fest der Demokratie". Szenenapplaus für die Polizei ist allerdings auf Antifaaktionen eher als absolut temporäres Ereignis zu werten. Schon der 8.Mai war mancher Antifagruppe zu harmonisch.