Gefährliches Einfallstor: Wie Vorurteile die Kriminalität fördern

Oft bestimmen Vorurteile den Blick auf Bevölkerungs- und Berufsgruppen. Das hat viel mit sozialen Realitäten zu tun. Und dann sind da noch die Medien. Ein Kommentar.

Der Altmetallsammler klaut, die Putzfrau sowieso und der Bauarbeiter belästigt Frauen – das sind Vorurteile. Recht pauschal schreibt die Gesellschaft immer wieder bestimmten Personengruppen negative Eigenschaften zu. Menschen werden so in Schubladen einsortiert. Manchmal nur, weil sie einen bestimmten Beruf ausüben. Anderen wird ihre Armut zum Verhängnis. So weit, so bekannt. Aber was hat das mit Kriminalität zu tun? Damit setze ich mich in diesem Kommentar auseinander.

In der Kriminologie existiert der sogenannte Labeling Approach, zu Deutsch Etikettierungsansatz. Er stammt aus der Soziologie und soll kriminelles Verhalten erklären. Seine Vor- und Nachteile sind bereits lebhaft diskutiert worden. Dennoch lohnt die Beschäftigung mit dieser Theorie, denn sie sieht "abweichendes Verhalten ausschließlich als das Ergebnis eines gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesses" an.

Gleichzeitig geht es bei negativen Zuschreibungen – wie so oft im Leben – auch um Macht, genauer gesagt um die Deutungsmacht. Wer zuschreibt, übt Macht aus. Und machtlos ist, wer keinen Einfluss auf die Zuschreibungen hat.

Überträgt man diese Gedanken auf die oben genannten Beispiele, so lautet meine These: Negative Zuschreibungen bedienen nicht nur Vorurteile, sondern können auch kriminelles Verhalten fördern.

Vorurteilsbehaftete Berufe

Ein typisches Vorurteil: Fehlt in der Ärztevilla Schmuck, wird häufig als Erstes die Putzfrau verdächtigt. Dabei wusste schon Kant, dass das Vorurteil "als ein Prinzip irriger Urteile anzusehen" ist und aus Vorurteilen nicht Vorurteile entspringen, "sondern irrige Urteile".

Zur Macht des Vorurteils gehört jedoch die Tatsache, dass es immer ein Beispiel gibt, dass ein bestimmtes Vorurteil zu bestätigen scheint. Und die Medien tun zusätzlich einiges dafür, Vorurteile zu kultivieren. Beispiele sind schnell gefunden:

Übereifriger Schrottsammler klaut Bochumerin ihren Rollator

WAZ vom 12. August 2012

Putzfrau stiehlt bei der Arbeit

SZ vom 26. August 2019

Sexistische Bauarbeiter: Stadt reagiert

MZ vom 16. Juni 2023

Es sind solche oder ähnliche Schlagzeilen, mit denen typischerweise Vorurteile geschürt und gefestigt werden. Mehr noch: Ganze Berufsgruppen werden so stigmatisiert.

Arm und kriminell?

Neben der Tatsache, dass berufsbedingte Vorurteile schon ausgrenzend wirken, verschärft sich das Problem noch. Häufig werden stigmatisierte Berufe nämlich von Menschen ausgeübt, die ohnehin schon mit sozialer Marginalisierung zu kämpfen haben, die trotz harter körperlicher Arbeit oft unterbezahlt und schlecht für das Alter abgesichert sind, Menschen, denen eine starke Lobby fehlt. Schnell ist da die vorurteilsbehaftete Verbindung "arm und kriminell" hergestellt. Drei Beispiele:

Tatmotiv Armut: Rentnerin wird zur Erpresserin

BZ vom 17. November 2001

Armut ist Diebstahl: Warum die Armen uns ruinieren

René Zeyer, 1. Aufl. 2013

Diebstahl wegen Altersarmut? Diese 85-jährige Rentnerin muss für vier Monate ins Gefängnis

Stern vom 10. April 2019

Empirisch belegen lässt sich das Vorurteil nicht, dass Kriminalität allein Sache der Armen ist.

Die jüngst erfolgte Reduzierung der Ersatzfreiheitsstrafe zeigt außerdem: Der Gesetzgeber möchte einen solchen Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität vermeiden und sozial schwächer Gestellte vor einem Gefängnisaufenthalt und damit vor der Stigmatisierung als kriminelle Person schützen. Das Machtinstrument Strafrecht ist hier zum Schutz vor Benachteiligung eingesetzt worden.

Vorurteile abbauen – Kriminalität vorbeugen

Es fällt leicht, Vorurteile gegen Menschen zu pflegen, die sich kaum wehren können, weil sie sozial schwächer gestellt sind. Besonders hart aber trifft es Menschen, die noch dazu einen vorurteilsbehafteten Beruf ausüben. Umso wichtiger ist es, aus diesem Diskurs auszusteigen und negative Zuschreibungen nicht unreflektiert zu übernehmen.

Das gilt für die Medien, aber auch für jeden Menschen in der Gesellschaft. Viel zu oft schüren wir – manchmal unbewusst – Vorurteile. Wir grenzen aus, benachteiligen und etikettieren, indem wir die Deutungsmacht an uns reißen und ein negatives Fremdbild erzeugen.

Damit fördern wir möglicherweise bereits Kriminalität. Denn wer vor allem Ausgrenzung erfährt und noch dazu als Krimineller etikettiert wird, der ändert womöglich sein Selbstbild und findet sich eines Tages in der Rolle zurecht, in die er hineingedrängt wird.

Das ist menschlich nachvollziehbar, aber auch ein gefährliches Einfallstor für Kriminalität. Das sollten wir uns, freilich ohne die Kriminalität auf ein Bewusstseinsphänomen zu reduzieren, öfter bewusst machen und uns entsprechend verhalten.

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