Gefangen in der Liquiditätsblase

Seite 2: Die Liquiditätsblase erreicht ihren Reifepunkt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nun scheint die gegenwärtige Liquiditätsblase ihren Reifepunkt zu erreichen. Eigentlich müssten die Zinsen angehoben und zugleich gesenkt werden.

Zinserhöhungen sind einerseits gefährlich: Die vorsichtigen US-Zinsanhebungen der vergangenen Monate auf 1,5 Prozent scheinen die Stabilität des in schwindelerregende Höhen angeschwollenen Weltfinanzsystems zu unterminieren. Die Anlage von Kapital in Aktien wird bei hohen Zinsen zugunsten des Investments in Bonds zurückgefahren, was zu Kapitalabflüssen und Kurseinbrüchen führen kann.

Zugleich geraten die Profite der Aktienkonzerne unter Druck, da diese nun bei steigenden Zinsen schwerer an frisches Kapital kommen. Auch dies kann dann zu Einbrüchen, zu einem unkontrollierbaren Crash führen. Schließlich geraten private wie öffentliche Schuldner durch höhere Zinsen unter Druck, was das Risiko nationaler wie globaler Schuldenkrisen ansteigen lässt.

Gleichzeitig sind im Rahmen der herrschenden volkswirtschaftlichen Orthodoxie Zinserhöhungen notwendig: Die Inflation, die jahrelang kein Thema war, ist zurück: Die Verbraucherpreise in den Vereinigten Staaten sind auf mehr als zwei Prozent geklettert - Tendenz steigend. Noch 2015 befanden sich die USA am Rande der Deflation.

Geldpolitische Sackgasse

Die Zinsen müssten auch aus einem anderen Grund eigentlich angehoben werden: Um sie beim nächsten Krisenschub absenken zu können. Bislang verfügt die Geldpolitik in den USA und der EU kaum über geldpolitischen Manövrierraum, um auf einen Wirtschaftseinbruch oder ein ernsthaftes Finanzmarktbeben mit Zinssenkungen reagieren zu können. Die in der Nullzinsphase spekulativ aufgeblähten Finanzmärkte reagieren offensichtlich mit Finanzmarktbeben auf Versuche, die Zinsen weiter anzuheben.

Diese geldpolitische Sackgasse ist Teil der generellen systemischen Aporie, in der sich die kapitalistische Krisenpolitik befinden, die den gegenwärtigen systemischen Krisenprozess zwar hinauszögern, aber nicht überwinden kann.

Die Krisenfalle kapitalistischer Politik spiegelt sich in der sattsam bekannten, seit Krisenausbruch 2008 geführten Diskussion zwischen neoliberalen Ökonomen, die Sparpolitik und Zinserhöhungen fordern, um die Verschuldung einzudämmen, und ihren keynesianischen Gegenspielern, die auf Konjunkturstützung durch expansive Geldpolitik und Konjunkturprogramme setzen.

Die Krux an dieser Diskussion: Beide Seiten haben mit ihrer Diagnose Recht. Keynesianische Konjunkturprogramme sind Strohfeuer, Nullzinspolitik führt in Spekulationsexzesse und letztendlich Inflation. Zugleich ist aber auch klar, dass Sparpolitik nur zu Wirtschaftseinbrüchen und Massenelend führt (siehe Schäubles Griechenland-Politik).

Die Politik kann den Krisenprozess somit nicht überwinden, sie kann der globalen Spekulationsdynamik, die nur Ausdruck des globalen Verschuldungszwangs des Spätkapitalismus ist, nicht entfliehen. Sie kann aber diesen Verschuldungs- und Spekulationsprozess vermittels der besagten expansiven Geldpolitik in die Länge ziehen.

Keine zinspolitische Rückkehr zur Vorkrisenzeit

Folglich dämmert es inzwischen selbst der deutschen Ökonomenzunft, dass es eine zinspolitische Rückkehr zur Vorkrisenzeit nicht geben kann. Ein Zinsniveau, wie es vor der Eurokrise üblich gewesen sei, könne man "abhaken", erklärte der Finanzinvestor Bert Flossbach gegenüber Spiegel online, diese Ära hoher Zinsen sei zumindest in der Eurozone "vorbei":

Stellen Sie sich vor, die EZB würde ihren Leitzins auf zwei bis drei Prozent anheben. Das hätte fatale Folgen für viele Staaten, insbesondere die Euro-Südländer. Sie könnten ihre Schulden nicht mehr finanzieren. … Sie werden das Zinsniveau weiter niedrig halten - weil sie es müssen. Andernfalls wäre der Euro in Gefahr.

Bert Flossbach

Dennoch kann die durch Niedrigzinsen befeuerte Aktienrallye nicht "einfach für immer weitergehen", wie Spiegel online im besagten Bericht andeutet. Die zwangsläufig ansteigende Inflation wird die Geldpolitik irgendwann zum Handeln zwingen.

Perspektivisch steht die Politik vor der Wahl, die Inflation ausarten zu lassen oder die Liquiditätsblase zum Platzen zu bringen, indem die Zinsen erhöht werden. Diese würde aber im Nachhinein ebenfalls einen Inflationsschub, einen Entwertungsschub auslösen.

Inflation der Wertpapierpreise

Inflation ist unabwendbar. Die letzte Dekade schien ja dem Keynesianismus insofern recht zu geben, als dass es keine nennenswerte Inflation gegeben hat, obwohl dieser Zeitraum von einer extrem expansiven Geldpolitik geprägt gewesen war. Dabei wird einfach die Entwicklung auf den Finanzmärkten ausgeblendet, wo es zu einer Inflation der Wertpapierpreise kam. Und eben dies ist ja die Definition einer Blasenbildung.

Wie gesagt, die Aktienmärkte sind - in einer Periode bestenfalls durchwachsenen Wirtschaftswachstums - um runf 260 Prozent angestiegen. Diese Blasenbildung, diese Inflation der Wertpapierpreise in der Finanzsphäre bildete einen enormen Inflationsdruck aus, der sich langsam seinen Weg in die "reale" Wirtschaft bahnt.

Das gigantische Entwertungspotenzial der Finanzsphäre sickert somit in reale Wirtschaft ein - etwa durch die stimulierenden konjunkturellen Effekte der Spekulationsdynamik. Erst beim Platzen der gegenwärtigen Liquiditätsblase wird aber deren volles Entwertungspotenzial wirksam werden.

Von Prozessen und Strukturen beherrscht

Bestimmend oder relevant sind hierbei die Entscheidungen der Geldpolitik: Diese kann zwar die Systemkrise, in der sich der Kapitalismus befindet, nicht lösen, aber sie kann die Agonie des Systems verlängern. Die Blase muss jetzt nicht platzen, sie kann eventuell, bei Verzicht auf Zinserhöhungen, noch prolongiert werden - aber dies kann nicht ad infinitum prolongiert werden: Der Inflationsanstieg wird sich beschleunigen, irgendwann drohen, außer Kontrolle zu geraten.

Letztendlich wird aber in solchen Krisenschüben nur das manifest, was latent die Gesellschaft selbst im Alltag zumindest ahnt: Die Politik ist nicht Herr im eigenen bürgerlichen Haus. Das Kapitalverhältnis, von den Marktteilnehmern unbewusst alltäglich reproduziert, bildet gesamtgesellschaftlich eine widersprüchliche Eigendynamik aus.

In der Krise wird es offensichtlich, dass die Menschen im Kapitalismus diese gesamtgesellschaftliche Dynamik nicht beherrschen, von Prozessen und Strukturen beherrscht werden, die sie selber unbewusst als Marktsubjekte hervorbringen.

Zu dem Thema erschien vom Autor zuletzt das Buch Kapitalkollaps. Die finale Krise der Weltwirtschaft.