Gefragt sind "ziemlich glatte, schnell sprechende, gut vernetzte" Typen
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Krawatte statt Verstand: Bei Banken in der Londoner City geht bei der Einstellung um Sippenzugehörigkeit, nicht um Kompetenzen
Bis an die Spitze ist es ein harter Weg, den nur die Klügsten und Tüchtigsten schaffen - soweit die Theorie. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Die britische Kommission für soziale Mobilität hat das jetzt näher untersucht, am Beispiel der Banken in der Londoner City. Ihre Ergebnisse zeigen, dass zwischen Theorie und Praxis ein ziemlicher Graben klafft.
Nicht nur, dass die Klügsten nicht immer ausgewählt werden. Nein, sie werden sogar systematisch ferngehalten. Denn das alles entscheidende Kriterium ist nicht Bildung oder Leistung, sondern die Zugehörigkeit zur Oberschicht. Nur wer "polish" ist, also in etwa: "gelackt", bekommt eine Chance. "Intelligente Kinder aus der Arbeiterklasse werden systematisch von den Spitzenjobs im Investmentbanking ferngehalten, weil sie nicht an einer der wenigen Eliteuniversitäten waren oder die geheimen kulturellen Codes nicht kennen", sagt Alan Milburn, der die Kommission leitet.
Einstellungsgespräche dienen in diesem System vor allem dazu, alle auszusortieren, die nicht von entsprechender Herkunft sind. Beim direkten Kennenlernen entscheiden deshalb Kleinigkeiten bei Mode und Verhalten. Wer hier einen Fehler macht, zeigt, dass er die Regeln nicht beherrscht und damit auch nicht aus der gewünschten sozialen Schicht stammt. Gesucht würden "ziemlich glatte, schnell sprechende, gut vernetzte" Typen, zitiert der Report einen Bewerber, "am besten mit anständiger Herkunft, sehr gelackt, aus gutem Hause, und so weiter. Das ist zwar ein Stereotyp, aber immer noch wahr."
Dos and Don'ts
Typische "Fehler" sind demnach zum Beispiel braune Schuhe: Der Mode-Grundsatz "no brown in town" stammt aus der Londoner City und wird in einschlägigen Ratgebern noch heute empfohlen, auch außerhalb von Londoner Bankenkreisen. Kein frischer Haarschnitt ist ebenfalls ein KO-Kriterium. Ein zu großer Anzug ist ebenso verräterisch wie der Eindruck, sich in einem Anzug unwohl zu fühlen, denn das verrät, dass man ihn nie trägt. Eine auffällige Krawatte geht auch nicht.
"Es ist schockierend, dass manche Investmentbank-Manager immer noch Bewerber danach beurteilen, ob sie braune Schuhe zum Anzug tragen, anstatt nach ihren Fähigkeiten und ihrem Potenzial", so Alan Milburn. Der Kommissionsbericht zitiert einen abgelehnten Bewerber, was er als Feedback nach dem Bewerbungsgespräch bekommen habe: "Er sagte, Sie sind sicher sehr klug, aber ... Sie passen nicht so recht [zu dieser Bank] ... Sie sind nicht gelackt genug ... er schaute mich an und sagte, 'Sehen Sie diese Krawatte, die Sie da tragen? Die ist zu auffällig. Sie könne diese Krawatte nicht zu diesem Anzug tragen, den Sie anhaben.'"
Banker im Büßerhemd
Wenig verwunderlich, stellte die Kommission für soziale Mobilität fest, dass die meisten Investmentbanker an den Universitäten von Oxford und Cambridge studiert haben oder an der London School of Economics (LSE), dem Imperial College London, dem University College London oder der University of Warwick. Das passt zu einer Untersuchung des Sutton Trust von 2014, wonach 34 Prozent aller neu eingestellten Investmentbanker eine gebührenpflichtige Schule besucht hatten. Im Bevölkerungsdurchschnitt sind es nur 7 Prozent. Wer an Eliteunis studiert hat, profitiert außerdem von den dort gebildeten Netzwerken, hat also die richtigen Kontakte, die dem typischen Arbeiterkind fehlen.
Die Interessenvertretung der britischen Banken, die British Bankers' Association (BBA), gab sich übrigens schuldbewusst: "Die Bankenwelt hat wichtige Schritte gemacht, die soziale Mobilität auf allen Ebenen zu verbessern. Aber wir wissen, dass wir es uns nicht leisten können, bei diesem wichtigen Thema selbstzufrieden zu sein", so ein Sprecher. "Wir wollen sicherstellen, dass die besten im Bankgeschäft arbeiten können - unabhängig von ihrer Herkunft."
Spaltung der britischen Gesellscaft
Die Kommission für soziale Mobilität (SMC) ist eine unabhängige Körperschaft öffentlichen Rechts, eingesetzt vom Parlament. Sie ist die Nachfolgerin der "Social Mobility and Child Poverty Commission", die mit dem Gesetz gegen Kinderarmut 2010 ins Leben gerufen wurde. Dessen Ziel ist es, die Kinderarmut bis 2020 zu beseitigen. Das Gesetz verpflichtet Regierung und Behörden zu einem gemeinsamen Vorgehen, die Regierung muss jährlich Bericht erstatten.
Die soziale Mobilität hat sich laut dem Report leicht verbessert, so würden in 2015 34 Prozent mehr junge Leute aus den unteren Schichten eine höhere Bildung bekommen als vor zehn Jahren. "Doch bei allen Fortschritten bleiben große Bedenken, dass sich die Spaltung der britischen Gesellschaft verfestigt, besonders was die wachsende Spaltung der Einkommenshöhen angeht." So wachse die Zahl der schlecht bezahlten Arbeiter, die Top-Jobs seien überall mit Menschen aus privilegiertem Elternhause besetzt - und zwar auch in den Streitkräften, den Behörden, Medien und im Parlament.
Exkurs: Alan Milburn
Der Vorsitzende der Kommission, Alan Milburn, ist übrigens in der britischen Politik nicht unumstritten. Der Labour-Politiker war unter Premierminister Tony Blair von 1999 bis 2003 Gesundheitsminister, nach seiner Amtszeit hat er als Berater für Gesundheitskonzerne Kasse gemacht hat. Wie der Guardian berichtete, stiegen die Einnahmen seiner Firma AM Strategy Ltd von 2013 bis 2014 von 663.000 Pfund auf 1,76 Millionen Pfund. Zu seinen Kunden gehörten Bridgepoint Capital, PricewaterhouseCoopers und Lloyds Pharmacy.
Seine Beratertätigkeit wirft Fragen auf, weil er sich gleichzeitig für mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem ausgesprochen hat und dagegen, Reformen rückgängig zu machen, die Blair im Zuge seiner "New Labour"-Politik durchgeführt hatte. Damals wurde der National Health Service für Gesundheitskonzerne geöffnet - von denen Milburn später Beraterhonorare kassierte.
Wenig verwunderlich, hat sich Milburn gegen neue Initiativen aus der Labour-Partei ausgesprochen, die "Tory-Marktexperimente mit dem Gesundheitssystem zu beenden", wie es der Gesundheitsminister im Labour-Schattenkabinett, Andy Burnham, formuliert hatte. "Alan Milburn hat persönliche Interessen, warum er ein öffentliches Gesundheitssystem ablehnt", kommentierte Adam Bienkov von Politics.co.uk. Wenn Milburn dagegen ist, die Rolle von Gesundheitsfirmen einzuschränken, dann müssten Journalisten die dahinterstehenden Interessen klar darstellen, forderte er.