Gegen die Macht? Kabarett kann kapitulieren!

Roter Bühnenvorhang mit rundem Licht in der Mitte

Bild: Ully Zoelkarnain / Shutterstock.com

Ist Hagen Rether der Tod der deutschen Satire? Bei aller "Liebe": Dein Cabaret ist tot, Monsieur! Eine Kritik.

Der große Loriot alias Vicco von Bülow wird oft mit dem Satz zitiert, Satire richte sich als Waffe grundsätzlich "gegen die Macht". Davon ist bei einem bundesweit beachteten Kabarettisten wie Hagen Rether leider nur noch wenig übrig, sofern man (Leute wie) Robert Habeck als wichtigen Teil der Macht begreift.

Wer sein Fett abbekommt

Viel hingegen dürfte Rether am zweiten Teil des Loriot-Bonmots liegen, demzufolge ja in einer Demokratie das Volk die Macht habe, weswegen man es sich vorknöpfen solle. Das macht der Mann aus Essen pausenlos: Die vereinzelten Einfachen bekommen bei Hagen Rether ihr Fett weg, natürlich vegan und "alles Banane". Um nicht missverstanden zu werden: Gegen Letzteres hätte ich gar nichts einzuwenden.

Erstaunlich viele Gäste gingen teilweise schon sehr früh und damit lange vor dem Ende dieser Ausgabe von Rethers Show Anfang Oktober im Berliner Admiralspalast. Im Weggehen fiel mir ein Song von Silly und Werner Karma ein, aus dem späten DDR-Jahr 1986: "Dein Cabaret ist tot, Monsieur!"

Das alte und neue, immerwährende und stets aktualisierte Programm des Kabarettisten Hagen Rether heißt "Liebe". Als ich den Künstler samt Piano vor rund zehn Jahren letztmals in Berlin auf der Bühne erlebt hatte, empfand ich ihn politisch scharfsinnig und intelligent unterhaltsam, mit grundsätzlicher Kritik an Kapitalismus und Staat, an Mitwelt-Zerstörung und Diskriminierungen jeder Art. Und er wirkte auf mich – in der Erinnerung – extrem eloquent, wirklich witzig, nicht zuletzt selbst-ironisch.

Rethers Staats-Symbol

Ganz anders diesmal. Um mit dem geringsten Kritikpunkt zu beginnen: Das Rether-Programm ist kaum noch lustig. Es gibt weder Gags zum Grinsen noch feinsinnigen Humor. "Unterhaltsam" ginge anders. Und es ging ja auch mal anders. Am meisten aber enttäuscht der 1969 Geborene inhaltlich.

Denn Hagen Rether arbeitet sich mittlerweile vor allem moralisierend an den mannigfachen Macken der "Normalos" ab: Fleischverzehr und Flugzeugfliegen, Verbrenner fahren und Grüne bashen. Die Anklage ist so platt, wie sie natürlich nicht falsch ist und dennoch deutlich zu kurz greift: Leute, ändert doch einfach mal euer Konsumverhalten! Das, so Rether, wäre allemal besser, als gar nichts zu tun angesichts der Vielfach-Krisen. Leider bleibt er dabei aber praktisch stehen.

Erschreckend naiv, um es vorsichtig zu sagen, seine Demokratie-Metapher, die sich durch den Abend zieht: Wir alle (klar, "wir" alle!) schwämmen doch im selben Becken. Und da sollten "wir" uns doch bitteschön nicht an den Beckenrand stellen wie Bademeister und von außen nur meckern.

Rethers Staats-Symbol erscheint als ein eigentlich friedfertiger Pool, in dem "wir alle" gemeinsam auf Augenhöhe unterwegs wären und unsere Bahnen zögen. Natürlich kein Haifischbecken.

Dass "Putin den Fleischwolf angeworfen" habe, dass endlich Schluss sein solle mit den Streitereien zwischen Ossis und Wessis, dass es den Leuten in England nach diesem bekloppten Brexit jetzt aber so richtig, richtig schlecht gehe etc. – geschenkt! Schlimmer geht immer!

Peinlicher Personenkult: Habeck als Heiland

Denn es gibt, ohne jede Ironie, einen Heiland in Rethers Reich: Habeck heißt der und ist nicht Bademeister, sondern wohl der gute Mensch von Lübeck. Ein Wirtschaftsminister wie du und ich. Also, wenn wir moralisch korrekte Wesen wären.

Rether behauptet allen Ernstes, wenn es Grüne wie Habeck nicht gäbe, hätten Umweltschutz und Klimagerechtigkeit gar keine Lobby mehr in dieser Gesellschaft. "Katar, Katar", redet Rether gegen Habeck-Hasser, "Katar ist doch überall! Die ganze Welt ist Katar!".

Auch das ist nicht ganz falsch, dient hier aber offenbar der Reinwaschung, wenn nicht Salbung politischer Praktiken Herrn Habecks. Mehrfach repetiert Rether: "Habeck! Habeck! Habeck wäre schuld? Euer Ernst?"

Wenn man es nicht besser wüsste (okay: zu wissen glaubte), könnte man meinen, hier bewerbe sich ein (einst) sehr kluger Kopf um eine Stelle als Pressesprecher. Oder besser: als Ghost-Writer. Nicht für die "grüne" Sache, sondern konkret für den Politiker Robert Habeck.

Keine Rede von neoliberalem Greenwashing im Interesse deutscher Konzerne und transatlantischer Verbündeter, von oliv-grüner Kriegstreiberei, von pseudo-progressivem Kultur-Autoritarismus. Und das Ganze ist insofern schlüssig, als es Hagen Rether kaum noch um soziale Strukturen, um gesellschaftliche Macht-Verhältnisse zu gehen scheint.

Sondern der Einfachheit halber um Menschen. Um schwache und starke. Um böse und gute. Um Normalos und um seltene integre Spitzenkräfte wie eben Robert Habeck. Peinlicher Personenkult!

Kluges Kabarett als Korrektiv

Um aber beim strukturellen Blick auf Kulturindustrie und Kunsthandwerk zu bleiben: Dass leitmedialer Journalismus jedenfalls nicht "links" ist, sondern oft vor allem den Regierungs-Grünen nahesteht, ist kein Geheimnis und soziokulturell erklärbar.

Problematisch wird diese strukturelle Resonanz spätestens, wenn wichtige Medien und Machtpolitik sich wie im Gleichklang "grün" sind und verstärken. Siehe die Krisen der vergangenen zehn Jahre hierzulande. Und die Vertrauens-Verluste gegenüber Journalismus.

In den Jahren seit ca. 2010 bis 2022 wirkte kluges Kabarett durch seine Distanz zur Macht immer wieder auch als Korrektiv mit Blick auf leitmedialen Journalismus. Formate wie im ZDF "Die Anstalt", zum Teil sogar die ZDF-heute-show und Sendungen mit Jan Böhmermann oder eben Programme von Künstlern wie Hagen Rether erschienen "journalistischer", also thematisch relevanter, vielfältiger und regierungskritischer als weite Bereiche etablierter Medien.

Das war nicht zuletzt mit dem 24.2.2022, dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine, vorbei. Vielleicht schon kurz vorher, mit dem ministeriellen Amtsantritt von Robert Habeck und Annalena Baerbock. Anlass und Grund womöglich.

"Regierungsverantwortung"

Schaut man über diese Personen hinaus auf die gesellschaftlichen Strukturen, lässt sich feststellen: Auch das (einst in Teilen grundsätzlich kritische und zugleich oft einfach witzige) Kabarett ist durch "Regierungsverantwortung" nicht besser geworden. Vielleicht ist es gar nicht lustig, politisch längst tot. Wie im klugen Song von "Silly" aus der späten DDR-Krisen- und Endzeit.

Tamara Danz hatte 1986 gesungen:

"(...) Dein Cabaret ist tot, Monsieur.
Na lass mich trotzdem rein!
Dein Cabaret tut nicht mehr weh.
Es geht mir nur ans Portemonnaie.
Dein Cabaret ist tot (...)
Wenn du bei Hofe aufmarschierst,
Salutiern die Wachen.
Man räumt dir ein, Ventil zu sein.
Man lässt dich lachen machen (...)"

Es tut einfach nicht mehr weh. Also "denen da oben". Hagen Rether mag darüber mittlerweile hinweggehen. Womöglich gar die Augen verdrehen. Und das tut weh. Bei aller "Liebe".