Gegenpropaganda für den linken Stammtisch

Der ganz und gar nicht stille Amerikaner: Michael Moore macht wieder von sich reden

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Wenn es Michael Moore gut geht, so sagt ein böses Wort, dann läuft es schlecht für die USA. Genau rechtzeitig vor der Cannes-Premiere seines neuesten Films kommt der weltbekannte US-Dokumentarist nun wieder ins Gerede: "Manufacturing Dissent" heißt eine Dokumentation, die sich mit Methoden, Vorgehensweise und Grundhaltung Moores beschäftigt - und zu alles andere als schmeichelhaften Resultaten kommt. Moore, so der Kern der Vorwürfe, sei unehrlich, er lüge und manipuliere die Fakten, um in seinen Filmen den gewünschten polemisch-propagandistischen Effekt zu erzielen. Fast zur gleichen Zeit tickerten Agenturmeldungen die Nachricht von Ermittlungen der US-Regierungsbehörden gegen den Filmemacher. Der Grund: Für seinen neuen Film reiste Moore nach Kuba. Weil seit Beginn des US-amerikanischen Kuba-Embargos 1962 die Einreise von US-Bürgern in das sozialistische Land stark eingeschränkt ist, drohen Moore nun angeblich bis zu zehn Jahre Gefängnis oder 250 000 US-Dollar Geldstrafe.

Wer Michael Moore und seinen Filmen bisher alles geglaubt hat, war schon immer selber schuld. Zu einseitig, tendenziös, plump polemisch und offen pamphletistisch war das (vgl. Reise von der Hölle in den Himmel - und zurück), um ernsthaft als seriöse Dokumentation durchzugehen - auch wenn Moores "Fahrenheit 9/11", mit dem er vor drei Jahren in Cannes die Goldene Palme gewann, als erste Dokumentation unter den Preisträgern gilt.

Eher müsste man wohl besser von einem Film-Essay sprechen, einem Manifest in bewegten Bildern. Eine durchaus legitime Sache also, nur eben nicht ein wohlabgewogenes Bemühen um so etwas wie Sammlung aller Fakten und deren objektive Prüfung. Sondern ein Stück Gegenpropaganda für den linken Stammtisch, und in seiner Gut-Böse-Aufspaltung der Welt, seinem primitiven Idealismus, seinem Sendungsbewusstsein dem Gegner George W. Bush und dem attackierten Milieu, dem der US-Rechten, erschreckend ähnlich; für Europäer zudem mit einem unangenehmen Beigeschmack des "typisch Amerikanischen" behaftet.

Belege für den zunächst einmal instinktiven Eindruck, dass es bei Moore nicht immer mit rechten Dingen zuging, liefert jetzt die Dokumentation "Manufacturing Dissent: Uncovering Michael Moore" (Etwa: "Dissens-Herstellung: Michael Moore enthüllen") von den kanadischen Dokumentarfilmern Debby Melnyk und Rick Caine. Die Macher nennen sich selbst Linke und "ehemalige Fans" von Moore. Damit wird die naheliegendste Kritik, hier handle es sich wieder einmal um eine der üblichen Schmutzkampagnen aus dem Bushisten-Lager, fürs Erste abgeblockt, und das Glaubwürdigkeitskapital des Films erhöht.

Auch der Titel "Manufacturing Dissent" ist eine Anspielung auf die berühmte Anti-TV-Dokumentation "Manufacturing Consent" ("Die Konsensmaschine") des US-Linken Noam Chomsky. Was dieser Bezug, über die chice Anspielung und implizite Lagerbildung hinaus noch sagen möchte, ist aber nicht so klar. Immerhin zwei Jahre recherchierten sie Moores Leben und Wirken, lassen Kritiker wie Noam Chomsky(vgl. Das Interesse der Macht an der Verdummung der Massen) und Errol Morris (vgl. Reise in die innere Landschaft eines Politikerhirns) auftreten. Und paradoxerweise ist ihr Film selbst einem Michael-Moore-Werk gar nicht so unähnlich: Reißerisch, einseitig, polemisch. Und gegenüber diesem Film verhält sich Moore jetzt umgekehrt exakt so, wie das Weißre Haus mit "Fahrenheit 9/11": Er ignoriert ihn, weigert sich dem Film auch nur mit einer Gegendarstellung zusätzliche Publicity zu geben.

Lügner oder Aufklärer

Die Fakten, die der Film präsentiert, sind für Moore-Ungläubige auch weniger im Einzelnen als in der Fülle beeindruckend: In "Bowling for Columbine" etwa, dem Anti-Schußwaffenfilm über die Waffenvernarrtheit seiner Heimat, ist die Episode über eine Bank, die jedem Kunden zur Kontoeröffnung auch schon mal ein Jagdgewehr als kostenlosen Bonus verschenkt, zwar nicht falsch, aber unbillig verkürzt und zugespitzt um filmischen Eindruck zu schinden. Tatsächlich überprüft die Bank zuvor den Kunden. Trotzdem: Für ein Konto bekommt man eine Waffe, wenn auch erst ein paar Wochen später.

Wirklich erlogen ist hingegen das Zentralmotiv von "Roger & Me", der davon handelt, wie Moore vergeblich versucht, Roger Smith, den General-Motors-Chef, für ein Interview vor die Kamera zu bekommen. Angeblich, denn tatsächlich hat Smith sehr wohl ein Interview vor Moores Kamera geführt - der Filmemacher hat es aber nicht verwendet, um den wirkungsvolleren Eindruck zu erzeugen, Smith sei zu feige, um Stellung zu nehmen.

Solche Ergebnisse zerstören gewiss manche Illusion und Gesinnungskitsch unter Moores weltweiter Fangemeinde. Doch mal im Ernst: Wer kann ernsthaft überrascht sein, wer kann es ihm wirklich vorwerfen, dass Moore exakt jene Methoden anwendet, mit denen seine politischen Gegner seit Jahren die öffentliche Meinung in ihrem Sinne manipulieren? Melnyk und Caine behaupten, man könne Moore als Lügner bezeichnen. Aber lügt er wirklich mehr, als andere Filmemacher? Moore manipuliert, aber er tut es, um die Wirklichkeit zu überspitzen, Er karikiert - im Sinne der aufklärerischen Absicht.

"Ich bin scheißreich"

Dass Moore eine egozentrische Nervensäge ist, dass der Prolet mit Bierbauch und Baseballkappe auch kaum den ästhetischen Normen von "Old Europe" und der neobürgerlichen Mode der Linken entspricht, ist das eine. Jetzt den Filmphilologen und methodischen Prinzipienreiter zu spielen, ist das andere. Wenn schon Moore-Bashing, dann müsste es doch viel eher grundsätzlicher und politisch begründet werden: Damit, dass der Kapitalismuskritiker Moore selbst mit den Einnahmen seiner Kapitalismuskritik zum Erzkapitalist geworden ist, der allein mit "Fahrenheit 9/11" rund 120 Millionen Dollar verdient hat, dass der Kritiker der Öl-Firma Halliburton genau mit deren Aktien spekuliert, dass er Celebrity-Allüren jeder Art hat:

Ich bin ein Millionär, ich bin ein Multi-Millionär. Ich bin scheißreich. Wisst Ihr warum ich ein Multi-Millionär bin? Weil Multi-Millionen mögen was ich mache.

Vor allem müsste man zum Thema machen, dass der Mann, der als Verteidiger der Erniedrigten und Beleidigten und der guten Moral auftritt, zynisch immer sich selbst ins Zentrum seiner Filme rückt, und die Tätigkeit der Massen, statt sich zu befreien - "Es wird Zeit, dass ihr eure Ärsche hochbekommt" -, dann doch nur dem großen Messias zuhören und seine Filme kaufen sollen.

Das immerhin sprechen Melnyk und Caine an: Moore habe aus jedem "Wir" ein "Ich" gemacht, falls das seiner eigenen Karriere genutzt habe. In "Roger & Me" habe er den Protest der General Motors-Arbeiter für seinen Film instrumentalisiert und entmündigt. Die eigentlichen Organisatoren blieben ebenso unerwähnt, wie die Demonstranten - als ob die Welt einen Michael Moore gebraucht hätte, um aufzuwachen.

Die womöglich interessanteste Frage lautet: Darf man es überhaupt noch Dokumentarfilm nennen, wenn man Zusammenhänge konstruiert, obwohl die wissentlich falsch sind, wenn man Fakten unter den Tisch fallen lässt? Was ist erlaubt, wenn einer offenen Agitprop fabriziert? Gibt es einen Nutzen in Moores Infotainment?

Moores neuer Film "Sicko" dreht sich nun um das US-Gesundheitssystem und dessen marode Züge. Noch vor der Premiere wird Moore jetzt aus Regierungskreisen bedroht: Denn für seinen neuen Film reiste Moore nach Kuba. Weil seit Beginn des US-amerikanischen Kuba-Embargos 1962 die Einreise von US-Bürgern in das sozialistische Land stark eingeschränkt ist, drohen Moore nun angeblich bis zu zehn Jahre Gefängnis oder 250 000 US-Dollar Geldstrafe.

Vorsorglich stilisiert sich Moore auf seiner Website einmal mehr zum Opfer - doch Anhaltspunkte für politische Verfolgung sind trotz kritischer Websites (hier und hier) derzeit nicht gegeben. Jetzt muss der Film für sich sprechen.