"Gegneranalyse" und Zentrum Liberale Moderne: Die Presse als Feind?
Arbeit zu Watchblog "Nachdenkseiten" wirft Fragen auf. Papier des Projektes "Gegneranalyse" mit Schwächen. Zentrale Akteure vermeiden Kritik durch Trick. Kommentar und Analyse.
Eine seltsame Faszination geht von den sogenannten alternativen Medien aus, jenen Akteuren der zeitgenössischen Presselandschaft also, die sich wahlweise als Ersatz oder Ergänzung des medialen Mainstreams verstehen. Private, halbstaatliche und staatliche Netzwerke befassen sich inzwischen mit diesem Medienphänomen; arbeiten sich geradezu an ihm ab.
Oft geschieht das, ohne dass Ursachen oder gar Lösung der medialen Polarisierung hinterfragt werden. Dazu trägt auch bei, dass in beiden Mediensphären viel übereinander und wenig miteinander gesprochen wird.
So auch in einem Papier über das Portal Nachdenkseiten, das bezeichnenderweise im Rahmen eines Projektes mit dem Titel "Gegneranalyse" erschienen ist. Dessen Macher wollen ihre Namenswahl "sportlich" verstanden wissen, weil "etwa Fußballmannschaften vor Spielen ihren Gegner analysieren" – stellen sich dann aber allein aufs Feld.
So bleibt unklar, ob es um eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Nachdenkseiten und anderen geht, oder ob das, was als "Gegneranalyse" daherkommt, nicht als "Feindbeobachtung" und, in gewisser Weise, als Echo des "Lügenpresse"-Geschreis verstanden werden muss.
Dabei ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Nachdenkseiten – so wie mit auch anderen Redaktionen – angebracht. Darauf weisen schon die Brüche in der Geschichte dieses Projektes hin, etwa der Abschied von Mitbegründer Wolfgang Lieb im Jahr 2015. Lieb nahm damals nach zwölf Jahren den Hut, weil, wie er schrieb, "Rationalität und Vernunft bei allem Nachdruck in der Argumentation meines Erachtens eine angemessene kritische Distanz verlangen" und "die Anerkennung eigener Begrenztheit undifferenzierte und einseitige Schuldzuschreibungen verbietet".
Und im Interview mit Telepolis sagte der verbleibende Redaktionschef Albrecht Müller, man vermeide das pauschale Urteil einer medialen "Gleichschaltung" – um den historisch vorbelasteten Terminus in der gleichen Antwort umgehend wieder zu benutzen. Darüber und über journalistische Standards sollte man immer sprechen, diskutieren und, wenn nötig, streiten. Die Frage steht aber im Raum, ob dies das Anliegen des Projektes "Gegneranalyse" ist.
Schon publizistisches Umfeld wirft Fragen auf
Autor Markus Linden, der an der Universität Trier angestellt ist, erhebt diesen Anspruch, um ihn wenige Zeilen später ad absurdum zu führen. Doch schon ohne einen Blick auf Argumentation und Methodik des Politologen wirft das publizistische Umfeld Fragen auf.
Das Projekt "Gegneranalyse", das weitere Fallstudien erstellen will, ist bei der Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne angesiedelt, die dezidiert transatlantische Positionen vertritt. Es handelt sich mithin um eine politische Struktur, die sich – was immer das heißen mag – der "Verteidigung und Erneuerung der liberalen Moderne" verschrieben hat.
Das Zentrum Liberale Moderne wiederum steht unter Leitung des ehemaligen Grünen-Politikers Ralf Fücks, der als politischer Akteur in Erscheinung tritt.
Finanziert wird die "Gegneranalyse" vom Familienministerium, dem politischen Bundesprogramm "Demokratie leben" und der Bundeszentrale für politische Bildung.
Man könnte erwarten, dass der Autor einer wissenschaftlichen Analyse in diesem Umfeld besonders strenge Kriterien anlegt. Doch davon sieht Markus Linden mit erstaunlicher Chuzpe ab.
Anfang Juni veröffentlichte Linden einen Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem er sich kritisch mit seiner Fachkollegin Ulrike Guérot auseinandersetzt. Sein Text kritisiert zu Recht "polemische Kritik" der Autorin an der Corona-Pandemie-Politik, um ihr, nicht minder polemisch, im gleichen Atemzug ein "gestörtes Verhältnis zur Wahrheit" zu attestieren.
So entsteht kaum der Eindruck, Linden gehe es um eine fachliche Auseinandersetzung. Am Ende seines FAZ-Gastbeitrags führt er gar ein Studentenparlament an, um ein Auftrittsverbot für Guérot gutzuheißen.
Linden stellt politische Forderungen und argumentiert selektiv. Dass deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine Deutschland zur Kriegspartei machten, sei "von Völkerrechtlern der Universität widerlegt", zitiert er; freilich ohne zu erwähnen, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags mit Blick auf die parallele Ausbildung an den Waffensystemen zu einem anderen Schluss gekommen ist. All das ist so wenig ehrlich wie journalistisch oder gar wissenschaftlich. Es ist eben Lindens Meinung.
Die publizistische Tätigkeit des Autors ist wichtig zu erwähnen, weil sie in direkter Linie zu dem Papier über die Nachdenkseiten führt. Linden verzichtet auch in diesem Meinungsstück auf eine kohärente Argumentation und Analytik, er versucht, dieses Defizit mit Querverweisen auf Gleichdenkende auszugleichen.
Im vorliegenden Fall ist das in erster Linie der Sozialwissenschaftler Wolfgang Storz, der sich 2015 für die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung mit dem Papier "Querfront – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks" zu Wort gemeldet hatte. Dass diese Arbeit nach heftiger Kritik mehrfach überarbeitet wurde, und vor allem warum, erfährt man bei Linden nicht.
Es war die Medienwissenschaftlerin und Telepolis-Autorin Sabine Schiffer, deren fachliche Kritik damals zu der Überarbeitung geführt hat. Sie sieht eine Analogie zwischen beiden Arbeiten: Beide führten selektiv Beiträge und Verlinkungen an, um daraus qualitative Rückschlüsse über die untersuchten Medien und ihre Netzwerke zu ziehen.
Nun hat sich der Politikwissenschaftler Markus Linden von dem Sozialwissenschaftler Wolfgang Storz zu seinem Papier über die Nachdenkseiten interviewen lassen, was zu Schiffers Vorwurf eines "Zitierkartells" beiträgt.
Dabei wäre eine kritische Auseinandersetzung spannend. Telepolis hat sich nach einem Gespräch mit Albrecht Müller zweimal an Markus Linden gewandt – ohne Antwort. So bleibt im Unklaren, wie er seine harsche Kritik an dem Watchblog Nachdenkseiten als "Scharnier für verschwörungstheoretisches Denken" begründet. Schiffer schreibt:
Im Interview (..) gibt Linden in Sachen Methodik zu Protokoll: "Ich habe nicht quantitativ, sondern qualitativ gearbeitet. Es erfolgte also keine direkte Zählung und computergestützte Auswertung der Inhalte, sondern eine repräsentative Auswahl einschlägiger Beiträge, die ich inhaltsanalytisch ausgewertet habe." Wer auch nur ansatzweise etwas von Empirie versteht oder einfach logisch denken kann, müsste den Widerspruch auf Anhieb erkennen.
Sabine Schiffer
Vertrauen in Medien stärken, Polarisierung vermeiden
So bleibt als Zwischenbilanz: Autor Linden erweist seinem mutmaßlichen Anliegen, Vertrauen in die Medien zu stärken, einen Bärendienst. Dabei wäre ein Dialog über die allgemeine Medienkrise, deren Resultat sogenannte alternative Medien sind, dringend notwendig. Schließlich verweisen Umfragen – nicht nur in Bezug auf Deutschland – darauf, dass das Medienvertrauen stetig sinkt.
Tragen Papiere mit einem Vor-Framing oder einer Voreingenommenheit zur Vertrauensbildung bei? Das darf man bezweifeln. Stattdessen sind Akteure wie Storz und Linden Resultat und Motor einer zunehmenden Polarisierung in den Medien und damit in der Gesellschaft. Ihre Botschaften sind unmissverständlich: Dieses Portal darf man nicht mehr lesen! Dort darf man nicht mehr schreiben! Mit der darf man nicht mehr sprechen!
Die mehr oder weniger explizit geäußerten Forderungen der genannten Arbeiten sind Teil des Problems. Nicht der Lösung.
Das Projekt "Gegneranalyse" wird sich nun weitere Seiten vornehmen. Das Online-Portal Anti-Spiegel etwa. Oder die Seite Rubikon, über deren Krise auch Telepolis berichtet hatte, weil es mit der Auflösung des Redaktionsbeirats und einer öffentlichen Erklärung einen Grund zur Berichterstattung gab, das Thema also Nachrichtenwert hatte.
Was aber motiviert die Macher der "Gegneranalyse", wenn sie den Nachdenkseiten in einem nur als schludrig zu bezeichnenden Papier eine "radikale Systemopposition" attestieren – und sich dafür, um diese Terminologie aufzugreifen, vom System bezahlen lassen? Wie weit ist diese Arbeit von der des Inlandsgeheimdienstes entfernt, der im vergangenen Jahr eine "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zum beobachtungswürdigen Phänomen erklärt hat? Wie weit von Counter Propaganda Units der EU und Nato?
Es bleiben Fragen, die wir mit Markus Linden gerne geklärt hätten. Seine Bereitschaft zur Kommunikation scheint aber recht einseitig.
Lesen Sie auf der kommenden Seite den Kommentar von Sabine Schiffer zum Papier von Markus Linden über die Nachdenkseiten mit dem Titel "Vom Aufklärungs- zum Querfront-Medium?"
Sabine Schiffer: Die willkommene Botschaft
Dies ist ein Meinungsbeitrag, wie auch der als "Studie" ausgegebene Text von Prof. Markus Linden, der auf der Website Gegneranalyse veröffentlicht wurde. Es handelt sich dabei um eine Abhandlung über die Nachdenkseiten (NDS), eine einst von ehemaligen Beratern Willy Brandts gegründete Website mit inzwischen ansehnlicher Reichweite.
Gezielt wird belegt, dass die NDS verschwörungsideologisch unterwegs seien, rechtsoffen und quasi eine Schnittstelle zu Querfronten bilde. Das Paper von Linden enthält offensichtlich willkommene Botschaften, die schnell von einigen übernommen und auch weiterhin kolportiert werden, nachdem bereits Kritik an der Wissenschaftlichkeit laut wurde.
Ganz so, wie es mit der einleitend erwähnten Storz-"Studie" der Otto-Brenner Stiftung 2015 auch geschah. Die OBS musste nach fachlicher und sachlicher Kritik einiges an dem "Querfront"-Paper ändern und veröffentlichte das zunächst als "Studie" beworbene "Arbeitspapier" neu, wovon man auf der Website der OBS jedoch nur noch einen Teil nachvollziehen kann – das alte und das neue Arbeitspapier, das u.a. nach meinem Gutachten verändert und wieder hochgeladen wurde, finden sich auf der Website des Instituts für Medienverantwortung.
Querfronten gibt es und Querfrontstrategien auch
Die Instrumentalisierung meines Gutachtens ist insofern wichtig, weil zwei zentrale methodische Kritikpunkte vom Studienmacher Storz damals nicht ausgeräumt wurden, obwohl er einräumen musste, dass seine Netzwerkanalyse zur Querfront im Internet hauptsächlich auf der analogen Lektüre des Compact-Magazins von Jürgen Elsässer beruhte.
Ohne die Strategien von rechts zur Vereinnahmung linker Positionen zu reflektieren, schloss der Macher des Thesenpapiers von verlinkten Sites auf bestimmten, teils dubiosen Webpages darauf, einen Beweis für ein Netzwerk gefunden zu haben und dies nicht mehr überprüfen zu müssen – Einverständnis, gegenseitige Verlinkung, andere Hinweise auf Kooperationen wurden einfach angenommen und nicht geprüft oder etwa durch Konfrontation bzw. Interviewanfrage aufgeklärt.
Aber besonders auffällig waren die Tautologien sowohl in der Studie als auch in der Berichterstattung darüber: Während der Autor des OBS-Arbeitspapiers sich vor allem auf Hörensagen und in Medien formulierte Verdächtigungen berief, die nicht weiter überprüft wurden, zitierten die gleichen Medien dann freudig ihre eigenen Vermutungen als durch die "OBS-Studie" bewiesene Querfrontverbindungen.
Im Grunde ein Zitierkartell, auch wenn man nicht von Absprachen ausgehen muss, denn das Wunschdenken mag der Verführung schon genügt haben. Quod erad demonstrandum: misstraue Deinen eigenen Erwartungen! Zudem ist das Artefakt der "sozialen Erwartung" in der Sozialforschung bekannt – und warum sollte das dann im Journalismus anders sein.
Aber, derlei Querfronten gibt es, die Vereinnahmeversuche von Rechts sind wirklich gefährlich – und genau darum sollte man nicht darauf verzichten, sie auch sauber zu analysieren und die Funde zu belegen, sowie sie zu trennen von fälschlich in den Topf geworfenen. Ein wissenschaftlicher Beleg ist nämlich eine überprüfte Quelle, kein Gelegenheitslink mit ungeprüfter anekdotischer Evidenz.
Das macht Linden anders. Für seinen Beitrag hat er viel auf den NDS gelesen – aber nicht ohne Vor-Framing, wie mir scheint.
Dafür spricht bereits die Berufung auf das Arbeitspier von Wolfgang Storz, ohne die berechtigte Kritik daran überhaupt zur Kenntnis zu nehmen – obwohl er sogar mein Gutachten als Quelle angibt; auch hier eine Instrumentalisierung. Der Verdacht der Voreingenommenheit verstärkt sich zudem durch fehlende Angaben zur Methodik.
Eine Einzelfallstudie ist legitim, aber auch dann gehört es zum Standard, Informationen zur Methodik anzuführen und im Falle einer Einzelfallanalyse eben genau dabei zu bleiben, was eine solche leisten kann und was nicht. Stutzig macht jedoch der Nachtrag des Verantwortlichen für dieses Papier durch seine eigenen Interviewaussagen.
Interviewt wird der Macher der "Studie", Markus Linden, vom Macher seiner einleitend angeführten Referenz-"Studie", also von Wolfgang Storz (sic!), für die Website Bruchstücke und geschmückt mit dem das Storz’sche Arbeitspapier selbst bestätigenden Titel "Die Nachdenkseiten, ein Scharnier für Verschwörungsideologie".
Das Prinzip der tautologischen Selbstbestätigung bleibt also auch hier erhalten, wie in der Medienresonanz ebenfalls. Auch diesmal – wie beim Vorläufer des OBS-Arbeitspapiers – scheinen sich wieder die Stichwortgeber über das vermeintlich wissenschaftlich geadelte Werk zu freuen, so dass sie es selbstbestätigend zitieren; übersehend, dass sie damit das betreiben, was sie sogenannten "alternativen Medien" vorwerfen: die unkritische Verbreitung der eigenen Erwartung und Wünsche. Das hat mit Journalismus genauso wenig zu tun, wie mit Wissenschaft.
Forschung am Limit
Im Interview auf der Website Bruchstücke nun nachlesbar, gibt Linden in Sachen Methodik zu Protokoll: "Ich habe nicht quantitativ, sondern qualitativ gearbeitet. Es erfolgte also keine direkte Zählung und computergestützte Auswertung der Inhalte, sondern eine repräsentative Auswahl einschlägiger Beiträge, die ich inhaltsanalytisch ausgewertet habe."
Wer auch nur ansatzweise etwas von Empirie versteht oder einfach logisch denken kann, müsste den Widerspruch auf Anhieb erkennen. Natürlich ist eine "Auswahl einschlägiger Beispiele" legitim, um sie qualitativ inhaltsanalytisch auszuwerten, aber diese Auswahl kann niemals "repräsentativ" sein – für eine Grundgesamtheit, die man (quantitativ) gar nicht ermittelt, also ausgezählt, hat.
Sprich: In welchem Verhältnis stehen die ausgewählten Beispiele, die Linden zum Teil zu Recht kritisiert, zur Gesamtheit der Inhalte auf den NDS? Wie repräsentativ sind diese für das Projekt, das ja zudem nicht einmal als Vollmedium und Nachrichtenprojekt angetreten ist, sondern als kritisches Blog zur Agenda-Politik der SPD zu Zeiten des wirtschaftsliberalen Umbaus der Bundesrepublikanischen Wirtschaftspolitik entstanden ist.
Ich muss gestehen, dass ich mir die Betrachtung dieser "Analyse", die also eine Art Inhalts- und wohl auch Netzwerkanalyse darstellen soll, nur darum angetan habe, weil mein Gutachten zum OBS-Papier eben einleitend in den Quellen verzeichnet ist, dessen Inhalt aber gänzlich ignoriert wurde.
Zudem sind meine Erfahrungen mit den NDS ambivalent, wofür ein abgebrochener Kooperationsversuch vor vielen Jahren steht. Aber es geht nicht an, dass man eine Indiziensammlung von Verschwörungsmythen aufbauscht zu einem "wissenschaftlichen" Beweis, obwohl der Indiziensammler ähnlich arbeitet, wie es der inkriminierten Website vorgeworfen wird.
Und da mein Beitrag hier ganz explizit keine Studie und auch keine umfassende Rezension darstellt, erlaube ich mir – ganz so wie Linden – nur einige Schlaglichter auf problematische Stellen zu werfen. Wenn man ernsthaft Erkenntnisse über die angesprochenen Themen erlangen möchte, dann gibt es dazu andere Literatur. Im Linden-Paper kann man allenfalls etwas über (eigene) Netzwerke lernen, selektive Wahrnehmung und das strategische Ausblenden von Fakten, die nicht ins eigene Bild passen – medienwissenschaftlich würde man hier von Framing sprechen.
Denn die genannten Merkmale sind bekanntermaßen kein Spezifikum sogenannter alternativer Medien, das macht Linden ebenso wie es in vielen etablierten Medien geschieht. Beide kratzen mit strategischer Selektivität und Doppelstandards an ihrer Glaubwürdigkeit. Ein wichtiges Ergebnis meines Buches Medienanalyse ist, dass das DAGEGEN keine Methode im aufklärerischen Sinne ist. Es gibt Maßstäbe für guten Journalismus und gute Wissenschaft und auch für gute Medienkritik – und die sind für alle gleich. Doppelstandards hingegen sind der Glaubwürdigkeit Tod.
Wer suchet, der findet – so auch ich
Meine Fundstücke dürfen also gerne zu einer tiefergehenden Analyse anregen. Einige Schlaglichter genügen, um aufzuzeigen, warum ich die Stellungnahme von Linden eher für einen Meinungsbeitrag als eine Studie halte. Dort heißt es u.a. "Das aus der Linken kommende Portal KenFM …" Nun, man kann Ken Jebsen viel vorwerfen, aber dass er je ein Linker gewesen wäre, sicher nicht. Interessant ist aber der Suggestiv-Charakter des ganzen Satzes.
Es heißt: "Das aus der Linken kommende Portal KenFM konnte sich beispielsweise nicht gegen Geflüchtete stellen, ohne dadurch den Verlust friedensbewegter NutzerInnenschaft zu riskieren." Ich vermute stark, dass Ken Jebsen nicht vom Autor befragt wurde, ob der Schluss, den dieser aus der Tatsache eines fehlenden Rassismus zieht, auch der richtige ist. Einen strategischen Umfang mit einer "friedensbewegten Nutzerschaft" darf man vielleicht vermuten, aber sicher nicht als Studienergebnis ausgeben, wenn es keines ist. Es klingt nicht nur nach Stigmawort, sondern auch nach Unterstellung auf Basis der Autorenerwartung.
Ähnliche Vorahnungen des Autors gibt es auch in Bezug auf das innerste Denken der NDS. So heißt es: "In Bezug auf Agambens Coronathesen gehen die Nachdenkseiten allerdings nicht so weit, der Verschwörungstheorie von der erfundenen Pandemie direkt das Wort zu reden." Ein Studienmacher würde hier zu dem Schluss kommen, dass die eigene These der grundsätzlich vorherrschenden Verschwörungsmythen auf den NDS – natürlich in direkter Kombination mit einer sog. "Coronaleugnung" – zu überdenken sei oder zumindest überprüft werden muss.
Stattdessen liegt hier das vor, was Helma Lutz einst als "Ins-stereotype-Licht-Zurückrücken" bezeichnete, wenn die recherchierten Fakten (über das Leben muslimischer Frauen) nicht zu den Erwartungen der Journalisten passten. Hier waren die NDS anscheinend doch zu differenziert, so dass man ihnen ein Nicht-so-weit-Gehen bescheinigen musste, wie man es offensichtlich gesucht hatte.
Auch an anderer Stelle zeigt der Text mehr Erwartung als Analyse. Etwa, wenn es um das als Verschwörungstheorie abgetane "Nato-Netzwerk" geht, von dem auf den NDS hin und wieder die Rede ist. Nun, dieses Nato-Netzwerk gibt es. Es nennt sich East-Stratcom Task Force und wir haben dazu eine erste Recherche veröffentlicht. Die wenigsten Journalisten scheinen zu wissen, dass sie bezüglich russischer Desinformation von einer Kooperationsstelle zwischen dem Europäischen Auswärtigen Dienst und der Nato gebrieft werden.
Immerhin bescheinigt der den NDS offensichtlich nicht wohlgesonnene Autor ihnen: "Sensibilisierter als gegenüber Diktaturen zeigt man sich in Bezug auf die äußerste Rechte." Nun, dieser Satz würde aktuell auch auf Robert Habeck zutreffen nach seinem Energiedeal mit der lupenreinen Demokratie Katar.
Auf diesem Niveau gibt es viele Stellen, die von einem geprägt sind: Doppelmaß. Während die NDS – wie gesagt – nie als Vollmedium angetreten sind, sich aber in diese Richtung entwickeln könnten, trifft Vieles des Konstatierten tatsächlich auf die meisten Medien zu. Es gibt gute und schlechte Artikel und Großzügigkeit gegenüber so manchem Outlaw.
Auch die Klimabewegung scheint bei Linden nicht wohl angesehen. Entsprechend heißt es in seinem Text: "Inhaltlich geht [Albrecht] Müller in seinem Gespräch mit [Gunnar] Kaiser z.B. nicht auf Distanz zur Klimabewegung, so wie es für Neurechte typisch ist, sondern betrachtet sie als Teil progressiver sozialer Bewegungen."
Das führt nicht zu interessiertem Nachfragen und Forschen, sondern bleibt so stehen. Die Prämisse, dass es sich beim ehemaligen Kanzlerberater in der Ära Brandt um einen "Neurechten" handeln könnte, wird mittels Verneinung subtil untergeschoben – ganz so wie es George Lakoff in seinem Buch "Don’t Think Of An Elephant!" ausführt.
Eine Indiziensammlung getarnt als Wissenschaft
Vieles geschieht ganz im Duktus des bereits erwähnten OBS-Papiers durch Beiordnung, Kontaktschuld – ein Trend, den es auch im Journalismus gibt, wo Berichterstattung durch kommentierende Kontamination mit anderen Akteuren, möglichst belasteten Namen und deren Untaten, ersetzt wird. Wie gesagt, daraus speist sich ja der Ringschluss des Hörensagens.
Besonders gelungen finde ich deshalb folgenden Satzteil in Lindens Paper: "Das Arbeiten mit Halbwahrheiten und Vermutungen…" Das konnte man kürzlich auch im Spiegel über das Literaturfest in Meißen lesen. Und natürlich erfährt man dabei nichts zum Inhalt der in Ungnade geratenen Autoren, keine inhaltliche Auseinandersetzung, keine Kritik an tatsächlich Falschem – manchmal kann ich mich des subjektiven Eindrucks nicht erwehren, als wäre das genau das Ziel solcher Mediendowngrades, dass die Inhalte nicht zur Sprache kommen.
So verfehlt auch der Indiziensammler Linden bisweilen völlig die eigentliche Textaussage des Eintrags auf den NDS – etwa die Hauptaussage des Gastbeitrags von Richter a.D. Peter Vonahme, der unter dem Titel "Putin gehört wie ehemalige US-Präsidenten vor den Internationalen Strafgerichtshof" sowohl klar seine Distanzierung von Putins Angriffskrieg bekundet, wie auch das Doppelmaß kritisiert, das seither herrscht.
Zu Recht weist Vonahme darauf hin, dass man so tue, als hätte Putin den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg erfunden. Bei Linden liest sich das so: "Und auch vereinzelt eingestreute ,abweichende Meinungen‘ entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Relativierungen." Umgekehrt wird ein Schuh draus: Jedes Doppelmaß stellt eine Relativierung dar.
Wobei die "abweichende Meinung" – was ja ein Prämissen-Framing verrät – tatsächlich eine Vorlage von Albrecht Müller ist, der immer wieder Äußerungen auf seinem Portal labelt als "Meinung der Redaktion" oder eben "nicht Meinung der Redaktion" und nicht zuletzt dadurch belegt, dass es sich bei den NDS immer noch im Wesentlichen um eines handelt: (s)einen Meinungsblog.
Das ist schade. Da hatten die NDS in der Tat schon bessere Zeiten. Und ein Blick nach langer Zeit auf dieselben führt direkt zu einer Rede Alexander Gaulands von der AfD – mit wiederum entsprechend einordnenden Vorbemerkungen. Wir werden sehen, wie sich die NDS weiterentwickeln. Nun, Gauland wird nicht selten in Medien zitiert – aber dort gelten ja für gewöhnlich andere Standards, als die Maßstäbe, die man bei den Neulingen bzw. einer langsam ernst zu nehmenden Konkurrenz anlegen möchte.
Wenn es aber hüben wie drüben in Teilen vergleichbare Aufklärungs- und Fehlleistungen gibt, warum gelten dann nicht die gleichen Maßstäbe für alle? Warum wird bei einem großzügig über "Fehler" hinweggesehen – man denke nur an die Bush-Powell-Verschwörung von den Massenvernichtungswaffen im Irak; ein konzertiertes Medienversagen –, während Vergleichbares bei anderen zur Erklärung zum "Gegner" führt? Was aber kann so eine "Gegneranalyse" erreichen, die vermutlich eine BILD-Zeitung nie treffen wird?
Die Strategie, andere zum "Gegner" erklären zu wollen, sollte in einer Zeit der Verfolgung von Wikileaks-Gründer Julian Assanges und der Ermordung kritischer Journalisten in Russland und Brasilien, um nur einige zu nennen, kein Element in der medialen Auseinandersetzung sein – zumal es im Journalismus keine journalistischen Gegner gibt, sondern nur Meinungsvielfalt.
Im Journalismus Tätige müssten Interesse an einem weiten Diskursraum haben, für kritische Berichterstattung, investigative Recherchen, die Desillusionierendes zu Tage fördern und kritische Fragen stellen, die zuweilen weh tun – vor allem den Machtträgern. Wenn es jedoch ein Ziel sein sollte, den Diskursraum eng zu halten und dafür Medien in gute und böse einzuteilen, dann ist solche als Wissenschaft getarnte Delegitimierung unliebsamer Medienakteure hochwillkommen.
Den Rest erledigt dann die EU mit ihrem Durchgriff durch Verbote von "Propagandamedien" auf die bis dato geltende Medienfreiheit in den Ländern. Mal sehen, wer also als nächste "Fallstudie" auf dem Webblog Gegneranalyse erscheinen wird.
Auch, wenn sich dort Journalisten engagieren, ein journalistisches Projekt ist die Gegneranalyse nicht, sondern eine Kampagne – und zwar eine öffentlich geförderte Kampagne, mit einer Stiftung und ihrer Agenda im Hintergrund. Es ist also keine Hilfestellung für einen aufgeklärten Journalismus zu erwarten, denn der Gegner des Journalismus ist die Macht – nicht das Kollegium anderer Medien. Wer Meinungsaustausch beschneiden will, ist in einer Demokratie fehl am Platze, denn die Beschneidung kontroverser Diskurse stützt Macht.
Es ist schon ein interessantes Phänomen, dass man auf die Zensurmaßnahmen in anderen Gegenden starrt und kritisch verweist, und gleichzeitig mit subtilen Kampagnen einer Art "demokratischer Zensur" Vorschub leistet – womit ich allerdings nicht den Begriff im Sinne seines Erfinders, Ignacio Ramonet, verwende, der vor allem auf Zeit- und Aufmerksamkeits-Ökonomie abzielte, sondern ihn erweitere auf subtile Diskursverschiebungen in Demokratien, die Mechanismen in Richtung Selbstzensur und Diskursverengung fördern.
Tatsächlich muss man sich die Mühe der sachbezogenen Auseinandersetzung ganz im Voltaire’schen Sinne machen, Diskurs und Debatte verstärken, wenn man demokratische Meinungsbildungsprozesse fördern will – und nicht Vorlagen liefern, die eventuell für weitere Zensurmaßnahmen genutzt werden können. Denn dazu hätte man bei den anschlussfähigen Themen, die Zensur nahelegen – wie Kinderpornografie und HateSpeech – jahrelang dem Rechtsweg der Strafverfolgung gehen können.
Die systematische Unterlassung – und ich weiß, wovon ich schreibe, denn Morddrohungen aus der rechten Hetzblog-Szene gegen mich beispielsweise wurden nicht verfolgt – der Anwendung rechtsstaatlicher Mittel macht jetzt die KI-gestützten Plattformfilter und Medienverbote möglich und der Zensur-Phantasie sind damit noch keine Grenzen gesetzt.
Wie gesagt: Ohne klare Definitionen und Methoden – Was sind die Merkmale von Propaganda? Wo genau werden Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten? Wo mündet kritische journalistische Recherche in Verschwörungsmythen? – ist die sich hier nun in Form einer Dokumentation abzeichnende Entwicklung ein Fanal für eine Demokratie. Denn, wer soll uns in Zukunft sagen, worüber wir noch streiten dürfen und worüber schon nicht mehr?
Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit dem Blog Medien Meinungen