Geist? Welcher Geist?

Seite 2: Was ist subjektives Erleben?

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So dargestellt, kann man die Frage nach dem spezifisch "Geistigen" als Rückzugsgefecht lesen - und Forenkommentatoren haben das getan (obgleich schon Schopenhauer mir zugestimmt hätte). Das liegt wahrscheinlich daran, dass nicht hinreichend klar geworden ist, was die sogenannten "Qualia" - je nach sprachlicher Vorliebe auch "subjektives Erleben" oder "phänomenaler Gehalt" - sein sollen, und warum sie einer physikalistischen Interpretation des Bewusstseins im Wege stehen sollen.

Und das ist völlig nachvollziehbar, denn das Problem liegt ja eben darin, dass es "die Qualia" nicht gibt. Sie sind kein beobachtbares Phänomen in der physikalischen Welt. Beobachten kann ich, dass jemand von seinen Wahrnehmungsqualitäten spricht. Das aber ist etwas anderes.

Es ist ungefähr so wie mit dem Tao, von dem es bekanntlich auch heißt: "Das Tao, das man benennen kann, ist nicht das richtige Tao." Aber während Lao Tse dieses Paradox mit voller Absicht aussprach, habe ich den Verdacht, dass jene Geistesphilosophen, welche "die Qualia" erklären wollen, tatsächlich glauben, sie mit der Benennung dingfest gemacht zu haben. Sprachanalytisch - wie Stephan Schleim ja gerne vorgeht - ließe sich vermutlich zeigen, dass das Reden von "subjektivem Erleben" oder seinen Synonymen im Wittgensteinschen Sinne Unsinn ist.

Versuchen wir es trotzdem noch einmal: Meine - und nur meine - Wahrnehmung der Welt ist mir unmittelbar. Ich nehme Farben wahr (keine Wellenlängen), höre Töne (keine Schallfrequenzen), rieche Düfte (keine chemischen Komponenten) und fühle Berührung, Wärme, Schmerz (keine Nervenfaseraktivierungen). Ich schaue auf den Aktenschrank in der gegenüberliegenden Ecke meines Büros und könnte nicht sagen, zu welchen Anteilen seine abgestrahlte Farbe aus allen sichtbaren Wellenlängen zusammengesetzt ist: Er ist für mich einfach weiß. (Goethe weigerte sich bekanntlich standhaft zu glauben, dass Weiß überhaupt zusammengesetzt sein solle. Physikalisch hatte er Unrecht. Aber er interessierte sich nicht für die Physik, sondern für die Wahrnehmung.)

Falls ich nun mit allen verfügbaren oder auch nur denkbaren Methoden mein Gehirn untersuchen könnte, während ich hier sitze, seinen Energieverbrauch, elektrische und magnetische Aktivitäten, Feuermuster von Einzelzellen, . . . - alles -, dann könnte ich sicherlich herausbekommen (prinzipiell), welche neuronale Aktivität den Aktenschrank repräsentiert, und, ja sogar, welche Aktivität repräsentiert, dass er weiß ist.

Aber: Diese Aktivität wäre nicht weiß. Sie wäre das Korrelat meiner Weiß-Wahrnehmung, wäre wahrscheinlich sogar (aber hier kommen wir in die metaphysische Todeszone) ihre Ursache. Und trotzdem bliebe unklar, wie aus dem Feuern von Neuronen meine völlig andersartige, unmittelbare, nicht zerlegbare Erfahrung von "weiß" wird. Wir hätten den einzigartigen und verwirrenden Fall, dass eine Kausalerklärung ihren Gegenstand nicht erklärt.

Und überdies wäre das nur meine Wahrnehmung. Ich kann dieses Gedankenexperiment nur mit mir selbst veranstalten. Sobald ich meinen Leser anspräche und sagte: "Sie nehmen nicht ein Wellenlängengemisch wahr, sondern weiß", würde ich etwas Falsches sagen. Denn ich kann es nicht wissen.

Gewiss, die meisten Zuhörer würden nicken und bekunden, dass sie verstanden haben, was ich mit "Qualia" oder "subjektiver Wahrnehmung" gemeint habe. Aber das täte (wenn er nicken könnte) auch Eugene Goostman, der Chatbot, der vielleicht den Turing-Test bestanden hat. Und wenn nicht er, dann ein Chatbot der nächsten Generation. Das ist wieder nur Mitteilung über das Erlebte - nicht das Erleben selbst.

Dieses Problem kann man nicht, wie Stephan Schleim und auch einige Forenkommentatoren unterstellen, einfach mit noch mehr interdisziplinärer Forschung und neuen Methoden lösen. Es ist kein neurobiologisches Problem, sondern ein metaphysisches. Es benennt einen logischen Fehler des Physikalismus, und Logik braucht weder Zeit noch Maschinenparks.

Ist das überhaupt relevant?

An dieser Stelle leugnet Stephan Schleim im Absatz "Eigenschaften psychischer Prozesse" rundheraus, dass das subjektive Erleben (die ominösen "Qualia") überhaupt relevant wären:

Hier kommt ein wesentlicher Beitrag der Philosophie ins Spiel. Was ist denn, je nach Vorliebe der (Fremd-) Sprache, Geistiges, Mentales (von lat. mens) oder Psychisches (von gr. Psyché)? Eben dasjenige, das sich auf etwas bezieht, in der Fachsprache: intentionaler Gehalt. Der Gedanke an ein Auto, genauer gesagt der gedankliche Prozess als etwas sich in der Zeit Vollziehendes, bezieht sich eben auf dieses Auto. Oder auch die Erlebnisqualität eines Prozesses, in der Fachsprache: phänomenaler Gehalt. Das ist das, was etwa beim Betrachten des blauen Himmels als Qualität der Blauwahrnehmung erlebt wird. Damit fallen auch die mysteriösen "Qualia" vom Tisch […]

Stephan Schleim

Das Argument erschließt sich mir hier nicht. Warum dadurch, dass wir Geistiges als einerseits intentional und andererseits phänomenal beschreiben, die "Qualia" vom Tisch fallen sollen, ist unklar.

Doch nachdem er das Problem des subjektiven Erlebens auf diese Weise vom Tisch gewischt hat, kann Schleim dann behaupten, dass er an mentaler Verursachung "nichts Mysteriöses" finden kann, weil alltäglich psychische Prozesse physische Wirkungen hätten. Hier verwechselt er die subjektive Wahrnehmung eines psychischen Zustands mit ihrer Mitteilung.

Man braucht sich nur einen Wald vorzustellen, schon entstehen entsprechende Gehirnaktivierungen; diese lassen sich ebenfalls messen, sonst würden Computer-Gehirn-Schnittstellen überhaupt nicht funktionieren.

Stephen Schleim

Alles richtig. Aber um zu ergründen, welche Gehirnaktivität mit der Vorstellung eines Waldes korreliert, muss es darüber zuvor auf irgendeine Weise eine Kommunikation gegeben haben. Ebenso im zweiten Beispiel:

Dabei geht es beispielsweise um die Prüfung (intentionaler Gehalt) und das Erleben von Unruhe oder gar Angst (phänomenaler Gehalt). Solche Prozesse können wir gar nicht anders beschreiben als psychisch! Und doch sind sie kausal wirksam in der Welt.

Stephan Schleim

Hier werde ich, ganz gegen meine Neigung, zum Behaviouristen und weise darauf hin, dass wir über das "Erleben von Unruhe oder gar Angst" der Versuchsperson nur dann etwas wissen können, wenn wir körperliche Anzeichen dafür feststellen können: Pulserhöhung, Schwitzen, Zappeligkeit, oder einfach die Mitteilung des Studenten: "Ich habe eine Scheißangst." Wie sich diese Angst für ihn anfühlt, ist uns hingegen unzugänglich.

Und damit bleibt das Problem der phänomenalen Wahrnehmung ungelöst - jedenfalls so lange, wie wir uns einig sind, dass eine Eigenschaft unseres Erlebens, über die wir reden können ("Der Tee hat einen rauchigen Geschmack, und seine Farbe nehme ich nicht als Gemisch von Wellenlängen wahr, sondern als 'braun'."), für die philosophische Diskussion auch dann relevant ist, wenn wir sie nicht objektiv beobachten können.