Geister der Realität
Kriegsbilder und Inszenierungen: Iconic Worlds in Israel
Wer die Medien kennt, der inszeniert. Der neuen Macht der Bilder, dem "Iconic Turn", Thema einer prominent besetzten Vorlesungsreihe an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, wollte man an einem ganz besonderen Platz auf die Spur kommen, weswegen die Initiatoren, die Hubert Burda Media, zu einer dreitägigen Konferenz nach Israel luden.
"Iconic Worlds...more than what we see" lautete der Titel der Veranstaltung in einem Land, das wie kein zweites das Reden über Bilder einem hoch aufgeladenen Spannungsfeld aussetzt. Ein Land, in dem das traditionelle jüdische Bilderverbot und die gegenwärtige internationale Spitzenposition in der Erforschung bildgebender Verfahren - Imaging - nur die harmlosesten widersprüchlichen Pole markieren.
"Man sieht nicht fern in Mea She'arim, dem orthodoxen Viertel in Jerusalem", mokiert sich ein israelischer Nachwuchswissenschaftler. "TV ist dort verboten, Computer sowieso und Mobiltelefone auch. Aber Werbeplakate für Mobiltelefone, die sieht man dort an jeder Wand". Anderswo, in den Forschungslaboren des Weizmann-Instituts in Rehovot, blickt man mit neuesten Techniken in das Innere des menschlichen Körpers.
...more than what we see
Widersprüche, die mit Witzen über die anachronistische Lebensweise der Ultrareligiösen kommentiert wurden. Dass vor den medizinischen Vorträgen auch Bilder aus der militärischen Forschung präsentiert wurden - 3-D-Modelle, die Soldaten auf Einsätze in palästinensischen Gebieten vorbereiten; biometrische Verfahren zur Gesichtserkennung von Terroristen - evozierte zwar manch anerkennende Bemerkungen über die Rechnerleistung, déjà-vu Erlebnisse aus Computerspielen und einige Fragen zur Art der Überwachung, welche imstande sein sollte, Terroristen ohne körperliche Kontrollen an Flughäfen zu detektieren. Der Widerspruch, der sich hier andeutete, wurde in einigen Gesprächen am Rand erörtert: hochentwickelte Visualisierungstechniken auf der einen Seite, auf der anderen Seite die "Unsichtbarkeit" von Palästinensern außerhalb des "Terroristen-Framings".
So antwortete ein Konferenzteilnehmer, der in Israel lebt, auf die Frage, wie präsent die Palästinenser in der israelischen Öffentlichkeit - im Fernsehen, in Tageszeitungen und in Gesprächen - seien, damit, dass es nur eine "Medienstrategie" der Palästinenser gäbe, nämlich die, für möglichst viel Entrüstung in den westlichen Medien zu sorgen. Dafür nehme man die ganze Zivilbevölkerung als Geisel. Diese Art der Darstellung in den Medien, die man auf der "anderen Seite" dauernd suche, habe teuflische Auswirkungen für die Palästinenser selbst, weil man dadurch auf die Hilfe anderer angewiesen sei, statt selbst Initiativen zur Verbesserung der Verhältnisse zu ergreifen.
Everybody knows media
Offiziell wurden die politischen Implikationen des "Iconic Turn" am letzten Tag der Konferenz besprochen: "War of Images - Images of war?", hieß das Thema der Panel-Diskussion an der Ben-Gurion Universität in Beer Sheva.
"Bilder sind Geister der Realität und das bekannte Diktum, dass ein Bild mehr wert ist als tausend Wörter, ein Klischee." Jedes Bild benötige tausend Wörter, damit es verstanden werde, sagte Micha Bar-Am, Israels bekanntester Kriegs-Fotograf.
"Die eindrücklichsten Kriegsbilder sind inszeniert." Die Bilder, die in Erinnerung geblieben sind, hätten sich in ihrer Bildsprache oft an ikonischen Vorlagen - wie der Kreuzigung und der pietà - orientiert, Fotos von Robert Capa und anderen Großen zeigten dies ganz deutlich. "Heute hat beinahe jeder eine Digitalkamera, die Rolle von professionellen Fotographen, die einer Ethik folgen, wird weniger wichtig."
Everybody knows media. Jeder kennt heute die Medien und jeder bedient sich ihrer nach seinen Interessen.
Er sei zufällig Zeuge einer Szene gewesen, bei der eine Frau aus einem Haus, das von der israelischen Armee abgerissen werden sollte, heraus gerannt kam, die Haare raufend, mit lauten Klagegeschrei. Da sei ihr Mann auf den Plan getreten und habe ihr gesagt: "Es sind nur Reporter und Fotografen hier. Hebe dir deine Stimme fürs Fernsehen auf."
Who shot the boy?
Die Spielarten des Verhältnisses von Wort und Bild beherrschten die Diskussion. "Ein Bild ist keine tausend Wörter wert; es kann tausend Bedeutungen annehmen. Bilder haben kein Leben aus sich selbst heraus", bemerkte Dov Shinar, der Leiter des Departments für Communication Studies der Ben-Gurion-Universität. Erst die Bildunterschrift liefere die Bedeutung; den Rahmen dafür setze die Politik.
Arie Naor, ehemaliges Mitglied der Begin-Regierung, machte in diesem Zusammenhang geltend, dass sich das Image von Israel in der Welt auf den Kopf gestellt habe. Sei Israel früher der David gegenüber dem Goliath der arabischen Staaten gewesen, sei es mittlerweile umgekehrt. Niemand frage mehr "who shot the boy?", wenn man auf das berühmte Foto des palästinensischen Jungen in den Armen seines Vaters verweise, die spontane Antwort laute immer gleich: "Israel" (Die Politik der Behauptung).
Die Kritik an den Medienmachern nahm Dagmar Engel, Chefredakteurin der Deutschen Welle-TV auf und reichte sie mit einer Spitze gegen die Politik weiter:
Wir sind nicht hier, um zu urteilen. Wir sind hier, um fair zu sein. Bei einem asymmetrischen Krieg platziert man sich eher auf Seiten der Opfer.
Paul Frosch, Dozent für Kommunikationswissenschaft und Journalismus, bemängelte die journalistische Berichterstattung, welche mehr und mehr auf eine Illusion des Live-Ereignisses abziele. Als Beispiel erwähnte er das Video eines israelischen Fernsehsenders, in dem Rettungsaktionen und Chaos unmittelbar nach einem Sprengstoffattentat auf einen Bus zu sehen waren habe, das viele Stunden später in der abendlichen Nachrichtensendung völlig "roh" präsentiert wurde, redaktionell unbearbeitet, so dass beim Zuseher der Eindruck entstehen musste, die Bilder seien live (Die Macht der (grausamen) Bilder). Für Frosch ein Indiz der Ideologie einer unmittelbaren Präsenz, ein Trend bei TV-Nachrichtenpräsentationen, der dazu führe, dass die für Reflexion nötige Distanz aufgehoben werde.
Fälschung und Wahrheit
Der Ästhetikprofessor Bazon Brock machte schließlich darauf aufmerksam, dass der Streit um die Beweiskraft von Bildern von den Medien selbst gar nicht gelöst werden könne. Der dauernd geforderte Evidenzbeweis könne logisch innerhalb der Medien nicht geführt werden, weil die Medien selbst erst diese Fragen produzierten. Für diese Diskussion müsse eine andere Ebene hereingeholt werden: die theologische Tradition, die auf lange Erfahrungen im Streit darüber verfügt, wie viel Wahrheit einem Bild zugestanden werden kann. Im Zentrum der Frage, welche Macht Bilder besitzen, stünden theologische Argumente. Die neuen Medien seien dazu gezwungen, die alte Geschichte wiederzuentdecken.
Das traditionelle Bilderverbot fordere, dass ein Verzicht geleistet werde: das Wegsehen. Bestimmte Bilder, so Brock, seien nur dazu da, vom Betrachter zu fordern, dass er wegsehen solle. Die Demütigungen, die auf den Bildern von Abu Ghuraib zu sehen sind, würden nach theologischen Maßstäben verbieten, das Bild anzusehen, da man durch die Betrachtung das Opfer erneut entwürdige und damit die Demütigung wiederhole. So gesehen, meint Brock, seien die gefälschten Bilder, welche der englische Mirror veröffentlicht habe, um vieles intelligenter als die amerikanischen Bild-Trophäen aus Abu Ghuraib (vgl. Wahrheit und Täuschung im Medienkrieg).