Geld schafft keinen Wohlstand

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Der wirtschaftliche Aufschwung steckt fest. Schuld daran ist jedoch nicht die Corona-Pandemie, sondern eine Wirtschaftspolitik, die Investitionen blockiert. Gastbeitrag

Obwohl sich die deutsche Wirtschaft noch längst nicht von dem Einbruch durch die Corona-Krise erholt hat, steckt sie nun in einer konjunkturellen Abkühlung. Der ifo-Geschäftsklimaindex, der die Stimmung in der deutschen Wirtschaft wiedergibt, ist im zweiten Monat in Folge gesunken. In den Industrieunternehmen werden Geschäftslage und obendrein die Geschäftserwartungen so schlecht bewertet wie zum Beginn der Industrierezession im Jahr 2018.

Auch die Exporterwartungen der Unternehmen sind im letzten Monat deutlich gefallen. Die "deutsche Exportwirtschaft verliert an Dynamik", schreibt das ifo Institut.

Dabei hatte alles so gut ausgesehen. Noch im Juni frohlockte Bundesbankpräsident Jens Weidmann, dass schon in diesem Sommer "die Wirtschaftsleistung wieder das Vorkrisenniveau erreichen" könne.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier äußerte sich ähnlich optimistisch, denn "dank umfangreicher Staatshilfen von fast 300 Milliarden Euro" habe die deutsche Wirtschaft das Schlimmste überstanden.

Er rechne damit, dass die Wirtschaft bis Ende des Jahres um bis zu vier Prozent wachsen werde. Damit wäre der von der Corona-Krise verursachte Rückgang der Wirtschaftsleistung um 4,8 Prozent im Jahr 2020 fast aufgeholt worden.

Hamsterkäufe statt Aufschwung

Daraus wird jedoch nichts. Ein gewichtiger Grund dafür sind die aus dem Takt geratenen Lieferketten. Bei vielen Vorprodukten für die industrielle Fertigung, wie etwa bei Mikrochips, gibt es infolge pandemiebedingter Schließungen in Produktion und Logistik erhebliche Versorgungsengpässe, die viele Unternehmen schon seit Monaten dazu zwingen, die eigene Produktion zu drosseln. Unter den deutschen Unternehmen, die Halbleiter benötigen, sind aktuell mehr als 80 Prozent von Lieferengpässen betroffen.1

Die Versorgungsengpässe sind jedoch nicht ausschließlich eine Folge der Pandemie. Ursächlich hängen sie mit der konjunkturellen Abkühlung der Weltwirtschaft zusammen, die seit 2018 einsetzte und die deutsche Industrie und insbesondere die Automobilindustrie schon lange vor dem Beginn der Corona-Pandemie in eine Rezession stürzte.

Um sich in diesen Phasen vor wirtschaftlichen Verlusten zu schützen, reagieren die Unternehmen mit dem Abbau ihrer Lagerhaltung. Sie signalisieren den Lieferanten von Vorprodukten sinkende Bedarfe, die - abhängig von der Qualität des Lieferkettenmanagements - deutlich über den tatsächlichen Rückgang der Bedarfe hinausgehen können. Dies wiederum induziert Stilllegungen oder sogar den Abbau von Produktionskapazitäten bei den Lieferanten. In dieser Phase bewirkte die Corona-Pandemie eine plötzliche und zudem ungewisse Verschärfung des Rückgangs, so dass das gesamte Gefüge im Moment des Wiederanlaufs aus dem Takt geriet.

Die Lieferketten sind offenbar so durchgerüttelt worden, dass es einer Studie des Kreditversicherers Euler Hermes zufolge zu weltweiten Hamsterkäufen gekommen ist, die nun für eine Verknappung sorgen und die Preise treiben.

Das Hamstern deutet darauf hin, dass ein erheblicher Teil der hohen Auftragszuwächse, die auch die deutschen Unternehmen in den letzten Monaten verbuchen, dazu dienen, die Lagerbestände über den tatsächlichen Bedarf hinaus aufzufüllen - aus Angst vor weiteren Engpässen. Die aus dem Takt geratenen Lieferketten täuschen demnach einen anstehenden konjunkturellen Aufschwung vor, der weit stärker scheint, als er tatsächlich ausfallen wird.

Blutarme Wirtschaft

Mit der aktuellen konjunkturellen Abkühlung rücken die schnelle Erholung der deutschen Wirtschaft und das Erreichen des Vorkrisenniveaus in weite Ferne. Das dürfte auch für den Fall gelten, dass weitere gravierende pandemiebedingte Restriktionen für die Unternehmen ausbleiben. Der Hauptgrund für die schleppende Erholung sind die schwächelnden Unternehmensinvestitionen.

Wie aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, steigen sie seit dem Durchschreiten des Tiefpunktes im zweiten Quartal 2020 nur schleppend. Insbesondere die für die Einführung neuer Technologien wichtigen Ausrüstungsinvestitionen entwickeln sich kaum.

Im ersten Halbjahr 2021 lagen sie noch deutlich unter dem Niveau, das vor dem Beginn der Industrierezession 2018 erreicht worden war. Die geringen Investitionen sind demnach ein wichtiger Faktor, der nicht nur für das Stocken des Aufschwungs mitverantwortlich ist, sondern auch verhindern kann, dass die deutsche Wirtschaft in absehbarer Zeit wieder das Vorkrisenniveau erreicht.

Ansteigende Unternehmensinvestitionen sind nach der Überwindung einer wirtschaftlichen Krise entscheidend. Denn die dazu fähigen Unternehmen zielen mit Investitionen in neue Maschinen und Anlagen darauf ab, sich wettbewerblich gegenüber der Konkurrenz abzusetzen.

Indem sie dies tun, schaffen sie neue Jobs in Hochtechnologie-Bereichen. Zudem erhöhen sie mit besserer Technologie die Arbeitsproduktivität, so dass sie mit gleichem Arbeitseinsatz mehr und qualitativ verbesserte Produkte erzeugen. Das stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, nutzt aber gleichzeitig allen Erwerbstätigen.

Die gesamtgesellschaftliche Steigerung der Arbeitsproduktivität bewirkt steigende Reallöhne, denn es muss immer weniger Arbeit aufgewendet werden, um die gleiche Masse an Gütern zu erzeugen.

Wirtschaftsdepression

Das Ausbleiben von Unternehmensinvestitionen nach der Überwindung wirtschaftlicher Krisen ist in den entwickelten Volkswirtschaften und so auch in Deutschland zu einem typischen Muster geworden. Besonders deutlich hatte sich diese Problematik nach der Finanzkrise 2008 in Europa gezeigt.

Damals gelang es in der gesamten EU nicht, die wichtigen Ausrüstungsinvestitionen wieder auf das Vorkrisenniveau zu steigern. Sogar in Deutschland erreichten diese Investitionen in neue Maschinen und Produktionsanlagen erst 2015 wieder das Niveau von 2008.2 Die Folge war ein wirtschaftliches Siechtum in den meisten EU-Ländern mit heftigen sozialen Auswirkungen und insbesondere dauerhaft hoher Arbeitslosigkeit.

Die ausbleibenden Investitionen führten dazu, dass sich die Gesamtwirtschaft, insbesondere aber die industrielle Wertschöpfung nach dem Krisenjahr 2009 kaum erholte. In Spanien und Italien war sie um etwa 25 Prozent eingebrochen. Danach hatte sich die Industrie nur kurzzeitig etwas aufgerappelt, aber nie wieder das Vorkrisenniveau erreicht.

Zu Beginn der Corona-Krise, also etwa zehn Jahre später, hatten beide Länder erst 80 Prozent des Vorkrisenniveaus erreicht. Ähnlich dramatisch ist die Entwicklung in Frankreich. Dort brach die industrielle Wertschöpfung 2009 auf etwa 80 Prozent des Vorkrisenniveaus ein und übertraf seitdem nicht wieder die 90-Prozent-Marke.

In Deutschland gelang der Gesamtwirtschaft und auch in der industriellen Wertschöpfung nach der Finanzkrise zwar ein V-förmiger Verlauf. Die Industrieproduktion erreichte in kurzer Zeit wieder das Vorkrisenniveau, stagnierte danach über mehrere Jahre und stieg bis 2018 sogar leicht an. Doch danach ging es abwärts. Zum Beginn der Corona-Pandemie lag die Industrieproduktion wieder auf dem gleichen Niveau, das sie bereits vor der Finanzkrise 2008 erreicht hatte.

Während die meisten EU-Länder seit Jahrzehnten einen sich beschleunigenden Deindustrialisierungsprozess durchleiden, ist dieser nun auch in Deutschland im Gang. Die niedrigen Investitionen haben dazu geführt, dass der Kapitalstock im Verarbeitenden Gewerbe von 1995 bis 2016 nur noch um insgesamt 2,4 Prozent angewachsen ist, also im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung schrumpft.

In energieintensiven Branchen nimmt der Kapitalstock inzwischen rapide ab. Zwischen 2000 und 2016 verringerte er sich in der Baustoffindustrie um knapp 39 Prozent, in der Papierindustrie um 31 Prozent, in der Metallerzeugung und -bearbeitung um 16,1 Prozent sowie in der Chemieindustrie um 12,4 Prozent.

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