Gemeinsame Armee und abgeschafftes Einstimmigkeitsprinzip
Ursula von der Leyen hat bei einer Anhörung in Straßburg ihre Vorstellungen für die Zukunft der EU offenbart
Voraussichtlich am Dienstag stimmt das EU-Parlament über die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als neue EU-Kommissionspräsidentin ab. Gestern präsentierte sie den Abgeordneten dort ihre Vorstellungen für die Zukunft der EU.
Eine davon ist, dass sie die EU-Mitgliedsländer auffordern will, ihr nicht nur jeweils einen Kandidaten für ihren Kommissarsposten zu benennen, sondern zwei: Einen Mann und eine Frau. Das dürfte nicht nur Anhänger von Quoten locken, sondern auch Staats- und Regierungschefs. Sie können damit ihre Chance erhöhen, einen Kommissar unterzubringen, der eher ihren politischen Ideen als denen Brüssels folgt, wenn sie ihr vorgeschlagenes Paar entsprechend gestalten.
Macrons Marionette?
Ein zweites Ziel, das Ursula von der Leyen verwirklichen will, ist eine "gemeinsame" europäische Armee. Die ist ein besonderes Anliegen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der den Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach bei der Nominierung der deutschen Verteidigungsministerin die entscheidende Rolle spielte. Mit ihm hat sie auch Pläne für Rüstungsvorhaben wie das Luftkampfsystem FCAS gemein (vgl. Deutsch-französisch-spanisches "Luftkampfsystem der Zukunft").
Mit der "gemeinsamen Armee" könnte die EU von der Leyen zufolge größere verteidigungs- und sicherheitspolitische "Verantwortung" tragen, die Brüssel künftig auch ohne einstimmige Entscheidungen übernehmen soll. Den Schengenraum will die CDU-Politikerin (ebenso wie die Eurozone) um weitere Länder vergrößern, aber gleichzeitig "gemeinsame Regeln" für die Migration und das Asylrecht aufstellen. Darauf, wie diese Regeln aussehen könnten, gab sie keinen Hinweis.
Ihrem alten netzpolitischen Kurs treu
Ob es unter ihrer Präsidentschaft weitere Vorstöße für Immaterialgüterrechtsänderung geben wird, wollte sie ebenfalls nicht sagen. Die zuletzt verabschiedete umstrittene Urheberrechtsänderung mit faktischer Uploadfilterpflicht verteidigte sie mit den Worten, es gebe dazu in der Bevölkerung ein "wahnsinniges Informationsdefizit". Fragen nach einer weiteren Vorratsdatenspeicherungspflicht beantwortete sie ausweichend mit Ausführungen zu "Sicherheit" (vgl. EU-Kommission: von der Leyen bleibt bei Überwachung und Urheberrecht auf Kurs)
Definitiv einführen will die Politikerin aus der Albrecht-Dynastie dagegen neue Steuern für Amazon, Apple, Facebook und Google. Hier schwebt ihr anscheinend ein Ausweiten eines französischen Vorstoßes aus dem März vor, der dem französischen Haushalt Mehreinnahmen von etwa 500 Millionen Euro bescheren soll. Dieser Vorstoß könnte sich allerdings als ähnlicher Rohrkrepierer erweisen wie die deutsche "Ausländermaut", bei der mit einer ähnlich symbolischen Summe gerechnet wurde: US-Präsident Donald Trump lässt Medienberichten nach nämlich gerade prüfen, ob er als Gegenmaßnahme neue Zölle verhängt.
Mehrheit noch nicht sicher, aber gut möglich
Außerdem verlautbarte von der Leyen, sie wolle aus Europa den "ersten klimaneutralen Kontinent machen", und zwar bis 2050. Dafür will sie unter anderem Kohlendioxidsteuern einführen, einführen lassen oder ausdehnen. Den Abgeordneten der Grünen war das nicht genug. Ihre Sprecher verkündeten nach der Anhörung, die Fraktion werde am Dienstag nicht für die Deutsche stimmen.
Für die Liberalmacronisten meinte der rumänische Fraktionsvorsitzende Dacian Ciolos dagegen, man wolle sich zwar noch nicht festlegen, sehe dem Wahltermin aber "sehr positiv" entgegen. Voraussetzung für die Wahl von der Leyens sei, dass die Dänin Margrethe Vestager, die Quasi-Spitzenkandidatin der Liberalmacronisten, wieder einen wichtigen Posten in der Kommission bekomme. Dabei legte er sich jedoch nicht auf ihr altes Wettbewerbskommissariat fest, das der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte nach eigenen Angaben für sein Land erhandelte (vgl. EU-Kommission: Wer kriegt was und für wen?)
Stimmen Christdemokraten und Liberalmacronisten für sie, benötigt von der Leyen am Dienstag nur noch die Stimmen von etwa der Hälfte der insgesamt 154 Abgeordneten aus der sozialdemokratischen S&D-Fraktion. Dass die 16 deutschen und die fünf österreichischen Sozialdemokraten gegen sie stimmen wollen, bedeutet also nicht, dass sie scheitern wird. Die Sozialdemokraten aus den anderen europäischen Ländern, wo man die im deutschsprachigen Raum mit zahlreichen Affären aufgefallene Verteidigungsministerin nicht so gut kennt (vgl. Von der "Powerfrau", die Europa guttut" bis zur "German EU superstate fanatic"), haben für ihre Zustimmung unter anderem einen wichtigen Kommissionsposten für ihren gescheiterten Spitzenkandidaten Frans Timmermanns gefordert, was von der Leyen bereits garantierte. Endgültig entscheiden will sich ihre baskische Fraktionschefin Iratxe García Pérez aber erst nächste Woche.
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