Generation Habermas

Seite 2: Warnung vor dem "Linksfaschismus"

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Zweifellos aber waren Kant und Hegel für Habermas immer wichtiger als Marx. Dessen Theorien hatte sich Habermas durch ein intensives Studium von Lukacs "Geschichte und Klassenbewusstsein" angeeignet.

Unvergessen ist auch Habermas' Auseinandersetzung mit den protestierenden Studenten 1968, die in die Warnung vor dem "Linksfaschismus" mündete, an die erst kürzlich im zweiten Band seiner Erinnerungen ("Jetzt", Suhrkamp 2017) Habermas' persönlicher Freund und politischer Widersacher Karl Heinz Bohrer erinnerte.

Den Begriff des "Linksfaschismus", gefallen in einer emotional aufgeladenen Debatte auf einem Kongress im Juni 1967 in Hannover, unmittelbar nach dem Mord an Benno Ohnesorg, und gemünzt auf eine der üblichen pathosgeladenen, aktionistischen Reden von Rudi Dutschke, dürfte Habermas später bereut haben. Er hätte es nicht sagen sollen.

Denn der Begriff wurde falsch benutzt, für Falsches und von den falschen Leuten. Und doch hatte Habermas recht, um die Mischung aus Revoluzzer-Narzissmus und Gewaltvoluntarismus zu bezeichnen, der in die RAF mündete.

Das freundschaftliche Verhältnis zu Bohrer erzählt mehr über Habermas als viele andere Freundschaften. Denn auch wenn Oskar Negt jetzt in der ZEIT treffend charakterisiert: "Wenn er einen gemeinsamen Grund sieht, auf dem man mit ihm steht, es eine grundsätzliche Anerkennung der Persönlichkeit gibt, dann ist Jürgen sehr nachsichtig."

Auch wenn Habermas mit guten Gründen aller "Ästhetisierung" misstraut, ist es nicht nur eine ironische Volte, dass Bohrer ihn nun als intellektuelles, paradoxes "Intensitätsphänomen" preist: "Es sind der Habermassche Stil - nicht einfach sein Argument - und der Ausdruck seiner intellektuellen Erscheinung, die das erklären."

Habermas’ Kritik an Nietzsches Kunstmythologie, der das Emanzipatorische verloren gehe, und umgekehrt seine lobende Auffassung von Baudelaires Verständnis der zeitgenössischen Kunst als einer historischen entpuppen sich als ein geradezu intuitiver Sinn für die Kunst. Ja, die Kunst selbst ist es, die ihn so sehr fesselt! ... seit unseren Gesprächen über den Surrealismus verließ mich die Gewissheit nicht, einen 'plötzlichen' Denker vor mir zu haben. Was wäre ein stärkerer Ausdruck des Ungewöhnlichen in den häufig biederen Geisteswissenschaften?

Karl Heinz Bohrer

Dieses Urteil wäre vor allem deshalb überraschend, käme es nicht von Bohrer, weil einer der wenigen blinden Flecken dieses Philosophen doch offensichtlich im Ästhetischen liegt. Man kann sich Habermas kaum bei einem Kinobesuch vorstellen, und wenn, dann eher im "Bildbuch" von Godard, aber gewiss nicht in der letzten Folge der "X-Men", obwohl diese doch Teambuilding und Pluralismus idealtypisch praktizieren und Habermas durchaus Züge von Professor Xavier aufweist und auf seine Art auch ein unabhängiger Schüler von Magneto ist.

Man blicke aber noch einmal in die Einleitung der "Stichworte": Habermas lobt hier sogar die "Jungkonservativen", nennt Jünger, Heidegger, Schmitt, nur um ihnen gegenüber Bohrer zu loben "der Einzige der sich heute politisch unbefangen und souverän etwas von der Radikalität und der neuromantischen Intelligenz eines Jungkonservativen bewahrt hat".

Bohrer beschwöre "das unbezähmbare Subjektive, das schockierend Entdeckerische, die Rebellion gegen das Normative also Grunderfahrungen der ästhetischen Moderne". Gegen verblasenen Idealismus seien es, schreibt er "die surrealistischen Erscheinungen die vielleicht doch nicht nur Regressionen anzeigen, sondern Suchbewegungen".

Solche Überlegungen liest man von Habermas zu selten. Als sehr bürgerlich erweist er sich in seinem Hang zur Bändigung der Paradoxien, zur Zähmung aller Widersprüche - wo andere, ein Karl Heinz Bohrer wie Alexander Kluge sie neugierig aushalten, mitunter gar genüsslich ausleben. Erst in der hellwachen Reizbarkeit sind diese drei wieder verbunden.

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