Generation Habermas
Seite 3: Der zwanglose Zwang des besseren Arguments
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Seit den Anfängen der frühen Sechziger entstanden über 40 Bücher: "Strukturwandel der Öffentlichkeit"; "Erkenntnis und Interesse", "Die neue Unübersichtlichkeit", "Die nachholende Revolution".
Sie alle markieren geistige und politisch-kulturelle Ereignisse in der bundesrepublikanischen Geschichte - oder sind sogar selbst welche, wie Habermas' unvergessene Intervention "Eine Art Schadensabwicklung", die 1985 den "Historikerstreit" auslöste.
Will man Habermas' Denkweg zusammenfassend charakterisieren, sind drei Punkte am wichtigsten: Erstens die Kritik irrationaler und ideologischer Strömungen der Ideengeschichte, das in Geschichtsbewusstsein wurzelnde unbedingte Festhalten an Vernunft.
Im Geiste der Aufklärung von Voltaire, Kant und Hegel tritt er für ein unbedingtes Festhalten an der Vernunft ein. (Hierfür steht das Buch "Der philosophische Diskurs der Moderne" und die Auseinandersetzung mit der Postmoderne und Dekonstruktivismus, später seine Streitschriften gegen Kommunitarismus und Religion).
Zweitens die Versöhnung der klassischen Vernunftphilosophie mit anderen Wissenschaften, Theorien und Forschungsergebnissen, vor allem den neuen Herausforderungen durch Soziologie, Psychologie und die Sprachkritik der Moderne von Hofmannsthal und Wittgenstein bis zur analytischen Philosophie, zuletzt mit Biologie und Religion. Dies unternimmt er in der zweibändigen "Theorie des kommunikativen Handelns", die heute als sein Hauptwerk gilt. Aber auch in den produktiven Anschlüssen an Richard Rorty, Karl Heinz Bohrer, Richard Sennett.
Credo der "Verwestlichung"
Drittens schließlich die Überführung dieser Theorie in Ethik, Recht und Politik, wie er sie in "Faktizität und Geltung" unternahm. Theorie und Praxis sind für ihn nicht zu trennen. Daher muss Philosophie in den Debatten der Gegenwart Partei ergreifen und ihre Ideen praktisch werden lassen. In dieser Praxis ist Habermas' Credo die "Verwestlichung", was sowohl Kritik des neuen Nationalismus und deutscher Sonderwege, wie linker Flirts mit dem Staatssozialismus meint.
Gegenüber Amerika bedeutet dies ein zwiespältiges Verhältnis, voller Dankbarkeit für offene Gesellschaft, Freiheit und liberale Kultur, voller Kritik an jedem Verrat der westlichen Ideale der Menschenrechte und der Demokratie, wie Habermas sie gerade in den letzten 15 Jahren wieder verstärkt bemerkt. "Der gespaltene Westen" heißt sein Buch hierüber, und wer je etwas von Habermas gelesen hat, weiß, dass er über diesen Befund nicht glücklich ist.
Genauso wenig über den neuen Nationalismus, das Gegenteil seines moderaten "Verfassungspatriotismus". Als im Frühjahr 2017 eine erneute Leitkulturdebatte aufkam, stellte Habermas fest: "Eine liberale Auslegung des Grundgesetzes ist mit der Propagierung einer deutschen Leitkultur unvereinbar." Vor dem "Einigeln auf der einen, Abriegeln auf der anderen Seite" hat er schon vor Jahrzehnten gewarnt.
Darum schaltet er sich bis heute in politische Debatten ein, meldet sich in Zeitungen zu Wort: Für Europa, gegen die Restauration auf allen Ebenen. Für den Herbst ist ein neues Werk angekündigt: Das zweibändige 1700-seitige "Auch eine Geschichte der Philosophie" - ein Buch über Wissen in Zeiten von Fake News.
Weil er weiß, dass Kommunikation und Aufklärung ihrem Wesen nach nie abgeschlossen, im besten Sinne unendlich sind, wird er diesem Land erhalten bleiben, als Mahner, Warner, als der Philosoph der liberalen Moderne und unser bester Kritiker. Eine Institution. Ein Weltbürger.
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