Genfer FN 303-Debakel

Gleich beim ersten Einsatz der nicht-tödlichen Aufstandsbekämpfungswaffe "FN 303" in der UNO-Stadt Genf wurde eine Person schwer verletzt, der verantwortliche Polizeikommandant trat zurück

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Anlässlich einer Demonstration gegen die Welthandelsorganisation WTO setzte die Genfer Polizei Ende März erstmals das "Markierungssystem" FN 303 ein. Dabei wurde eine Gewerkschaftsfunktionärin von einem Farbprojektil im Gesicht getroffen und schwer verletzt. Nach anfänglichen Dementi haben die Verantwortlichen den Einsatz der neuen nicht-tödlichen Aufstandsbekämpfungswaffe zugegeben. Als Konsequenz aus dem (Kommunikations)debakel musste der zuständige Polizeikommandant den Hut nehmen.

Es ging alles sehr schnell. Als Denise Chervet, Zentralsekretärin der Mediengewerkschaft comedia , anlässlich einer Demonstration gegen die WTO und den Irak-Krieg beobachtete, wie ihr 16-jähriger Sohn von der Polizei traktiert wurde, reagierte sie reflexartig. Sie warf den einzigen Gegenstand, den sie gerade in der Hand hielt - eine Bierflasche - in Richtung der Sicherheitskräfte. Die Reaktion folgte umgehend. Aus knapp sechs Metern feuerte ein Beamter zwei Markierungsprojektile aus Kunststoff und brüchigem Wismut ab.. Die erste Kugel traf die 45 jährige Frau an der Hüfte, die zweite im Gesicht. Trotz eines sofortigen chirurgischen Eingriffs, konnten nicht alle Splitter aus der Wunde entfernt werden, da sie sich zu nahe am Gesichtsnerv befanden und der behandelnde Arzt kein Risiko eingehen wollte.

Anfänglich wollte die Genfer Kantonspolizei von einem Beschuss der Gewerkschaftsfunktionärin nichts wissen. Es handele sich um "friendly fire", genauso wie im Irak, gab Polizeisprecher Eric Grandjean zu Protokoll. Erst als die Westschweizer Zeitung "Le Matin" Fotos mit den Splittern des Projektils vorlegte, kam das Eingeständnis. Es handele sich tatsächlich um Farbkapseln, abgefeuert von der Polizeiwaffe, Typ "FN303 less lethal launcher", gemäss dem belgischen Hersteller FN Herstal "eine echte Alternative zum Einsatz von tödlichen Waffen."

An jenem Samstag dem 29. März hatte die Genfer Kantonspolizei die "FN 303" offenbar zum ersten Mal im Einsatz. Wie sich später herausstellte, ist Genf der einzige Kanton, der gegenwärtig eine zeitgemäße Ergänzung zu Schlagstock, CS/CN-Gas und Gummischrot testet.

Nach Herstellerangaben dient der halbautomatische Druckluftwerfer unter anderem zum Markieren von gewaltbereiten Verdächtigen, dazu stand er auch in Genf im Einsatz. Bei Verhaftungsaktionen hätte die Polizei zwischen "bösen" und "lieben", respektive eingefärbten und farblosen Manifestanten unterscheiden können. Die Waffe hat ein Kaliber von rund 17 mm und eine Reichweite von bis zu 100 Metern. Ein Trommelmagazin fasst 15 Projektile, die mit Druckluft angetrieben werden. Mit vollem Druckbehälter können bis zu 110 Schuss abgegeben werden, die den Lauf mit einer Geschwindigkeit von 330 Stundenkilometern verlassen und so beim Aufprall eine Energiedichte von 15 Joule pro Quadratzentimeter entwickeln. Neben der Markierung von Verdächtigen ist denn das primäre Ziel der Waffe einen traumatischen Effekt bei den Getroffenen auszulösen. "Der Schock neutralisiert den Aggressor", so der Hersteller.

Als die Vertuschung nicht mehr zu halten war, war von "Kommunikationsproblemen" die Rede. Dies hat nun Konsequenzen. Christian Coquoz, Kommandant der Genfer Kantonspolizei hat am vergangenen Samstag mit sofortiger Wirkung sein Amt quittiert. Doch mit Coquoz' Demission sind längst nicht alle Probleme vom Tisch. In zwei Monaten findet im nahe gelegenen Evian in Frankreich der Gipfel der Regierungschefs der G8-Staaten statt. Schweizer Polizei und Armee sind ins Sicherheitskonzept miteingebunden, die Genfer Kantonspolizei an vorderster Front. Der Test mit der "FN 303"-Waffe habe nichts mit dem G8-Gipfel zu tun, wird betont. Dass angesichts der angekündigten Proteste gegen das Treffen von Bush, Blair & Co. bei den Sicherheitskräften eine gewisse Nervosität herrscht, ist nachvollziehbar. Wenn bereits bei einer vergleichsweise harmlosen Demonstration im Vorfeld die Sicherungen durchbrennen, ist dies ein denkbar schlechter und wenig Vertrauen erweckender Auftakt zu den bevorstehenden Ereignissen am Genfersee.