Gentechnik-Gesetz: Bitte warten, bitte warten...

Nach Kritik von Wissenschaft, Biotech-Industrie und Opposition haben sich jetzt auch SPD-Länder gegen den Künast-Entwurf gestellt

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Der Vermittlungsausschuss hat am vergangenen Mittwoch die Beratung des Gentechnik-Gesetzes /Klarere Linien für den Gentechnik-Einsatz in der Landwirtschaft) überraschend von der Tagesordnung genommen. Damit konnte das Gesetz, das den Umgang mit der grünen Gentechnik und insbesondere wichtige Haftungsfragen regeln soll, nicht - wie ursprünglich geplant - noch diese Woche beschlossen werden. Umweltschutzorganisationen kritisieren die neuerliche Verzögerung heftig und befürchten Verwässerungen.

"Ich erwarte, dass Bundesrat und Bundestag noch in dieser Woche den Weg freimachen für das Gentechnikgesetz. Die von der EU-Kommission beschlossenen EU-weiten Zulassungen von gentechnisch veränderten Maissorten zeigen, wie dringend wir die Regelungen des Gentechnik-Gesetzes brauchen", ließ Verbraucherschutz-Ministerin Renate Künast noch zwei Tage vor dem Termin im Vermittlungsausschuss via Medien verkünden.

Innovation gefährdet?

Doch am Mittwoch kam es dann doch anders. Ausgerechnet der Koalitionspartner sperrte sich plötzlich. Genauer gesagt wollen das rot/rot regierte Mecklenburg-Vorpommern und die SPD/FDP-Regierung in Mainz nochmals "reden". Angeblich fürchten sie Nachteile für die Wissenschaft. Ein Argument, das auch die unionsgeführten Länder wiederholt gegen das geplante Gesetz vorgebracht hatten.

Rückenwind für diese Vorbehalte gab es von namhaften Wissenschaftsorganisationen, die erst vergangene Woche ihren Protest in einem gemeinsamen Schreiben an den Vermittlungsausschuss ausdrückten. Dazu hatten sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft sowie der Wissenschaftsrat zusammengeschlossen. Die Wissenschaftsorganisationen befürchten "fatale Signale für den Wirtschaftsstandort Deutschland", wenn Forscher ins Ausland abwandern oder erst gar nicht in die Bundesrepublik kommen. Fazit:

Die Zukunft eines der wichtigsten Innovationszweige wird in Deutschland gefährdet.

Im Detail werden insbesondere die im Gesetz vorgesehenen Haftungsregelungen kritisiert:

Die Wissenschaftsorganisationen der Allianz haben von Anfang an kritisiert, dass das neue Gentechnikgesetz keinen Unterschied macht zwischen Freilandversuchen zu Forschungszwecken und kommerziellem Anbau. Auf Ablehnung stößt vor allem die vorgesehene Haftung: Zwar regelt das Gesetz die - von der EU geförderte - Koexistenz zwischen unterschiedlichen landwirtschaftlichen Anbauformen. Doch fliegen Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen auf das Feld eines Ökobauern und kann dieser seine Ernte nicht mehr als ‚gentechnikfrei' vermarkten, muss der Landwirt, der das gentechnisch veränderte Saatgut angebaut hat, dafür haften. Lässt sich der Pollenflug nicht genau zuordnen, haften alle Bauern aus der Umgebung, die gentechnisch veränderte Pflanzen auf ihren Feldern kultivieren. Das gilt auch für Pflanzen genehmigter Freisetzungsversuche, die unbeabsichtigt minimale Anteile an gentechnisch verändertem Material enthalten.

Die Haftungsfrage hat es auch der Union angetan - und natürlich lässt hier die Biotech-Industrie auch nicht locker. Schließlich geht es bei der Gretchenfrage "Wer soll wie viel zahlen, wenn etwas schief geht" um sehr viel Geld und selbstredend auch darum, ob ein Landwirt sich überhaupt überreden lässt, GVOs anzubauen, wenn er ein hohes Haftungsrisiko zu tragen hat.

"Der Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen wird für Landwirte finanziell unkalkulierbar, mittelständische Pflanzenzüchter werden die Entwicklung neuer Sorten einstellen und selbst Grundlagenforschung ist nur noch unter extremen Auflagen möglich", richtete der Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB), Dr. Ricardo Gent, dem Vermittlungsausschuss bereits im Vorfeld aus.

Wer zahlt?

Nun soll voraussichtlich Ende Oktober neu verhandelt werden. Im Vermittlungsausschuss wollen die Unions-regierten Länder eine grundlegende Überarbeitung der Vorlage erreichen, um vor allem die Haftungsregelung für durch Anbau genmanipulierter Pflanzen entstandene Schäden zu entschärfen, wie der baden-württembergische Bundesratsminister Rudolf Köberle (CDU) nach der Sitzung des Vermittlungsausschusses gegenüber Medienvertretern betonte. Konsumentenschutzministerin Renate Künast wird im Vorfeld also einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten haben, wenn sie nicht überhaupt Abstriche an der Gesetzesvorlage zulassen muss.

Die Verzögerung behagt auch den Umweltschutzorganisationen ganz und gar nicht, zumal sie "Landwirte, Verbraucher und die Natur" als "Verlierer dieser Verzögerungstaktik" sehen. So kritisiert der Naturschutzbund:

Als Konsequenz daraus (Anm. Verzögerungstaktik) könnten weiterhin gentechnisch veränderte Organismen (GVO) prinzipiell ausgesät werden, ohne dass durch ein öffentliches Kataster oder ein Monitoringverfahren Transparenz geschaffen worden sei.

Wissenschaftliche Schaumschlägerei?

Greenpeace wiederum greift die Allianz der Wissenschaftsorganisationen massiv an:

Was da betrieben wird, kann man getrost als Schaumschlägerei einstufen. Schon jetzt ist es bestehendes Recht, dass ein nicht zugelassenes Gen-Produkt auch nicht in Verkehr gebracht werden darf. Wenn also eine illegale Gen-Pflanze gegenwärtig ihre Pollen auf herkömmliche Pflanzen verbreitet, dann darf die nicht verkauft oder verarbeitet werden. Daran ändert sich ja nichts. So steht es jetzt auch schon in der Kennzeichnungsverordnung oder der Freisetzungsrichtlinie. Außerdem ist es scheinheilig, wenn Wissenschaftler nicht für einen verursachten Schaden einstehen wollen. Einige Firmen begreifen die Schadenshaftung als Behinderung bei der Markteinführung ihrer Gen-Produkte. Eine solche Haltung zeigt jedoch nur, das sie auf Kosten anderer planen. Sie wollen nicht, dass andere ihnen die Folgen ihrer Produkte in Rechnung stellen dürfen.

Dass es in der Debatte den Gesetzesgegnern weniger um so hehre Werte wie Innovations- und Arbeitsplatzsicherung geht, denn eher um den schnöden Mammon, sehen auch einige Medien so. So kommentiert die Frankfurter Rundschau treffend: "Statt die Produzenten zahlen zu lassen, wenn Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen Nachbarfelder "verunreinigen", sind verschiedene Varianten von Fonds im Gespräch - am liebsten solche, in die der Staat möglichst viel einzahlt. Da hofft Künast allerdings die EU auf ihrer Seite zu haben, die solche Beihilfe genehmigen müsste, im Zweifel aber verbieten würde. So läuft auch dieser ökologische Konflikt auf die alte Frage hinaus: Wer zahlt?"

Nationaler und überregionaler Streit vorprogrammiert

Übrigens: Im Nachbarland Österreich wurde ein Gentechnik-Gesetz erst kürzlich auf den Weg gebracht. Auch dort gibt es Kritik von Seiten diverser Umweltschutzorganisationen. Global 2000 etwa kritisiert, dass gerade in der Haftungsfrage, das österreichische Gesetz hinter dem deutschen Ansatz zurück bleibe.

Da es in Österreich aber einen - auch von der Bevölkerungsmehrheit und den Landwirten getragenen - Konsens zwischen den Regierungsparteien (ÖVP/FPÖ) und der Opposition (SPÖ/Grüne) darüber gibt, dass man Gentechnik im Land überhaupt nicht haben will, könnten sich diverse Schwächen im Gesetz möglicherweise weniger dramatisch auswirken als dies in Deutschland der Fall wäre, wo Gentech nicht unisono abgelehnt, sondern im Gegenteil von manchen Lobbys massiv forciert wird. Der konservative österreichische Umweltminister Josef Pröll macht jedenfalls aus seiner Abneigung gegen Gentech-Pflanzen keinen Hehl:

Wir wollen trotz der Zulassung gentechnisch veränderter Produkte in der EU das Land möglichst gentechnikfrei halten.

In Österreich wird deshalb an Richtlinien für freiwillige gentechnikfreie Zonen gearbeitet. Pröll rechnet aber mit einem offensiven Gentech-Anbau in den neuen EU-Ländern (vgl. Geht die Gen-Saat im Osten auf?), was das gentech-unwillige Österreich aber in Bedrängnis bringen könnte, zumal das Land klein ist und der Pollenflug bekanntlich vor Landesgrenzen nicht Halt macht. Auskreuzungen sind somit selbst in gentechfreien Zonen möglicherweise nicht zu verhindern (Kaum zu kontrollieren).

Deshalb haben sich erst vor wenigen Wochen die Umweltminister von Liechtenstein, Österreich, der Schweiz und Deutschland in Potsdam getroffen und sich darauf verständigt, dass zumindest diese Länder die Haftungsfrage bei grenzüberschreitender Verbreitung von GVOs gemeinsam lösen wollen. Wie das gehen soll, wenn es schon auf nationaler Ebene nur schlecht funktioniert, sei einmal dahin gestellt.

Schuld an den endlosen Debatten über Haftungsfragen ist aber primär Brüssel. Dort wurden zwar Freisetzungsrichtlinien beschlossen. Der Ball der entscheidenden Koexistenz- bzw. Haftungsfrage wurde aber den Mitgliedsstaaten zugespielt, die sich jetzt je nach aktueller, nationaler Interessenslage (bzw. entsprechend momentaner innenpolitischer Kräfteverhältnisse und Einflussnahme finanzstarker Interessensverbände) zunächst innerstaatlich und in weiterer Folge überregional um eine Lösung raufen dürfen.