Gentests, Symbolkontinuität und Astronomie

Interview mit dem Archäologen Harald Meller

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Harald Meller ist Provinzialrömischer Archäologe und Prähistoriker, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt und Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt. Bekannt wurde er unter anderem durch die Erforschung der Himmelsscheibe von Nebra.

Welche Rolle spielen Gentests momentan für die Archäologie?

Harald Meller: Die modernen naturwissenschaftlichen Methoden werden es der Archäologie in der Zukunft ermöglichen, zahlreiche ihrer zentralen Fragestellungen nach Siedlungskontinuität, Herkunft und Bewegung von Bevölkerungsgruppen erstmals einigermaßen zuverlässig zu beantworten. In diesem Zusammenhang wird den Analysen der DNA prähistorischer Menschen eine zentrale Rolle zukommen. Erste Ergebnisse zeigen bereits beeindruckende Ergebnisse.

Es wird allerdings die Aufgabe der Forschung der nächsten Jahre sein, zu umfangreichen Vergleichsreihen zu kommen. Die Schwierigkeit dabei liegt in den problematischen Erhaltungsbedingungen. Nur in seltenen Fällen ist die Kern-DNA in den prähistorischen Skeletten erhalten, häufiger ist die mitochondriale DNA erhalten, die allerdings nur Auskunft über die mütterliche Linie gibt.

Bei modernen Ausgrabungen wird verstärkt darauf geachtet, noch auf dem Grabungsfeld selbst die empfindlichen Proben, zumeist menschliche Zähne, zu sichern, um sie möglichst zügig und unkontaminiert an die entsprechenden Labore weitergeben zu können. Leider steht meist nur die menschliche DNA im Blickpunkt. Es sollte nicht vergessen werden, dass uns auch die häufig wesentlich besser erhaltene DNA von Tieren ebenfalls wichtige kulturgeschichtliche Hinweise liefern kann.

Liefern die Gentests indirekt auch Anhaltspunkte über die Sprache und das Denken des bronzezeitlichen Menschen?

Harald Meller: Die bronzezeitlichen Menschen leben in einer schriftlosen Kultur. Deshalb sind Aussagen über Sprache und Denken nur indirekt über Bildwerke wie etwa die Himmelsscheibe von Nebra möglich.

Beim momentanen Stand der Analytik ist nicht zu erwarten, über Sprache oder Denken detaillierte Auskünfte zu erhalten. Allerdings ist der Forschungsfortschritt im Bereich der Genanalyse so erheblich, dass man hier mittelfristig entsprechend indirekte Aussagen nicht völlig ausschließen sollte.

Und geben sie uns Auskünfte über die Sozialordnung des bronzezeitlichen Menschen?

Harald Meller: Analysen des genetischen Materiales bronzezeitlicher Menschen können uns nur indirekt Auskünfte zur Sozialordnung der bronzezeitlichen Bevölkerung geben. Diese Aussagen sind allerdings äußerst wertvoll. Mittels genetischer Analysen ist es möglich, direkte Verwandtschaften und Abstammungsverhältnisse nachzuweisen. Diese Nachweise werden bei der Beurteilung von Gräberfeldern mit deren Reichtums- und damit Sozialgruppen eine wesentliche Rolle spielen.

Darüber hinaus wird es möglich sein, langfristige Siedlungskontinuitäten oder Diskontinuitäten von Bevölkerungsgruppen während der Bronzezeit zu belegen. Hier wird es besonders spannend sein zu sehen, ob sich "Brüche" im archäologischen Material in analogen "Brüchen" im genetischen Material widerspiegeln, also ob wir es tatsächlich mit neuen Menschengruppen und deren Einflüssen oder nur mit einem Wandel der materiellen Kultur zu tun haben.

Himmelsscheibe von Nebra (Bild: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt/Juraj Lipták)

Anhand von Zähnen wurde festgestellt, dass der mutmaßliche "Erbauer" von Stonhenge aus dem Alpenraum kam. Was verraten uns die neuen Methoden über Wanderungsbewegungen in der Vor- und Frühgeschichte?

Harald Meller: In Zähnen und Knochen des Menschen lagern sich Strontiumisotope ab, die noch nach Jahrtausenden Auskunft über die Herkunft, über den ursprünglichen Lebensraum des ausgegrabenen Skelettes und damit des ehemals bronzezeitlichen Menschen geben können.

Hintergrund dafür ist, dass der Strontiumgehalt in Europa regional differiert. Während der Kindheit wird das Strontium der Umgebung in die sich neu bildenden Zähne eingebaut. Während der letzten Lebensjahre findet es Niederschlag im übrigen Skelett. Weist der Tote einen von der Umgebung abweichenden Strontiumgehalt in den Zähnen auf, so lebte er während seiner Kindheit in einer anderen Region. Weichen auch die Strontiumgehalte des Skelettes ab, so lebte er auch während der letzten fünf Jahre in der Fremde. Durch die Strontiumanalyse zahlreicher prähistorischer Skelette wird es möglich sein, grundsätzlich neue Aussagen zur Mobilität prähistorischer Bevölkerungsgruppen zu geben.

Die kegelförmigen bronzezeitlichen Goldblechhüte sind mit Symbolen geschmückt, die häufig als "Sonne, Mond und Sterne" interpretiert werden. Möglicherweise dienten sie ebenso wie die Himmelsscheibe von Nebra zu kalendarischen Berechnungen. Die Form der Hüte und die Symbole erinnern sehr an die des Zauberers in der populären Kultur. Halten sie so etwas wie Symbolkontinuität für möglich?

Harald Meller: Bei den hohen bronzezeitlichen Goldkegeln handelt es sich vermutlich tatsächlich um Hüte, die wohl im Zusammenhang mit rituellen Handlungen eingesetzt wurden. Nur in einem Fall ist dort ein „liegender Mond“ abgebildet, jedoch sind Kreispunzen und Strahlen zweifellos auch als Sonnensymbole zu interpretieren. Das Material Gold ist ebenfalls mit der Sonne zu assoziieren.

Ob es sich bei den Goldhüten um Instrumente zur kalendarischen Berechnung handelt, darf nach den neuesten Untersuchungen des Astronomen Wolfhardt Schlosser mit Fug und Recht bezweifelt werden.

In der Tat erinnern die bronzezeitlichen Goldhüte stark an Zauberhüte in populären Darstellungen. Ich halte hier allerdings eine Symbolkontinuität für extrem unwahrscheinlich, da die bronzezeitlichen Hüte mindestens dreitausend Jahre alt sind und sich zwischen den heutigen Darstellungen und den damaligen Goldhüten keine adäquaten Bindeglieder über einen längeren Zeitraum belegen lassen.

Die französische Ethnologin Chantal Jègues-Wolkiewiez fand in steinzeitlichen Höhlenmalereien wie denen von Lascaux Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei manchen Tierdarstellungen um symbolische Darstellungen von Sternbildern halten könnte. Halten Sie das für möglich?

Harald Meller: Die konkrete Beweisführung der von ihnen angesprochenen französischen Kollegin, Frau Chantal Jègues-Wolkiewitz ist mir nicht näher bekannt. Die im Internet bislang publizierten Aussagen reichen mir für eine Beurteilung dieser These nicht aus.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die paläolithischen Höhlenmalereien die verschiedensten Deutungen erfahren haben, darunter auch die Deutung als Himmelsdarstellungen. Keine dieser Interpretationen als Himmelsdarstellungen ist aus meiner Sicht bislang überzeugend, vielmehr halte ich die gängige Forschungsmeinung, dass es sich bei den zahlreichen Tierdarstellungen um Abbildungen im Bereich der Jagdmagie handelt, für wesentlich plausibler.