Gerd, nu regier doch mal!
60 Jahr, kein graues Haar: Viele gute Ratschläge für unseren knackigen Seniorkanzler Schröder anlässlich seines runden Geburtstags
Da soll noch mal einer sagen, die Massenmedien seien nachtragend. Die Bild-Zeitung gratulierte Gerhard Schröder zu seinem 60. Jubeltag gestern mit einer ganzen Seite 1, obwohl der "Medienkanzler" nicht mehr mit dem Springer-Blatt spricht. Satire pur verbirgt sich zwar dahinter, aber doch: ein Annäherungsversuch. Weniger gute Nachrichten hatten dagegen Experten beim "Medien Gipfel" Berlin-Brandenburg für den Jubilar parat.
Unser Gerd wird sich gefreut haben, als ihm seine Göttergattin Doris beim Frühstück im heimeligen Feier- und Urlaubsnest in der Toskana das lustige Ständchen der Bild-Zeitung vorgelesen hat. Zum "Kanzler auf Lebenszeit" hat ihn die Redaktion ernannt, dessen Geschicke künftig die ehemalige aufstrebende Focus-Journalistin Köpf (damals noch ohne Schröder) leiten wird.
Die Sonderseite ist reich gespickt mit weiteren grandiosen Geschenken: Schumis Ferrari wird künftig sozialdemokratisch rot leuchten. Der frühere SPD-Chef und Schröder-Kritiker Oskar Lafontaine verpisst sich nach Frankreich. Berlusconi schenkt dem Kanzler einen Sandstrand, wo vorher noch Steine und Dornen das Verhältnis zwischen den beiden Spitzenpolitikern belastete. Aber das Allerbeste: Sat.1 überträgt die Agenda-2010-Reformrede zur besten Sendezeit im TV, um Schröders Hauptwerk endlich entsprechend zu würdigen und dem Volk zu vermitteln.
Spätestens nach dem Osterwochenende dürften Schröder die Sorgen allerdings wieder einholen. Denn seine Partei steckt auch nach der Stabübergabe an Franz Müntefering in der tiefsten Krise in der Nachkriegsgeschichte. In schier allen Bundesländern rücken in diesem Jahr die Wahlen bedrohlich näher - und damit die Vertreibung noch verbliebener Regierungsbeteiligungen der Sozen. Schröders Verhältnis zu vielen Medien - neben der Bild fühlt sich auch der Stern vom Kanzler geschnitten - ist zerrüttet und die Agenda versteht immer noch keiner.
Die Mehrheit der Deutschen sei der Ansicht, wusste der forsa-Chef Manfred Güllner gestern auf dem "Medien Gipfel" des media.net berlinbrandenburg zu berichten, dass die unter Schröder eingeleiteten Reformen gar nicht weit genug gehen: "Die Menschen sind bereit, einen Veränderungsprozess mitzugehen." Die SPD müsse endlich wieder an ihre 18,5 Millionen Wähler auf Bundesebene denken, nicht nur an ihre paar Tausend Mitglieder. Die Menschen würden gern sehen, dass sich die Regierung um sie und nicht um sich selbst kümmert.
"Die Leute erwarten, dass jetzt regiert wird", befand auch Gabor Steingart, Leiter des Hauptstadtbüros vom "Spiegel". Ein ewiger Wahlkampf allein bringe nichts. Eigentlich sieht er aber Hopfen und Malz verloren. Es würden einfach immer noch viel zu viel Kohle aus dem Westen nach Ostdeutschland transferiert, ohne dass dort Arbeitsplätze und sich selbst tragende Strukturen entstünden. Das gefährde auf Dauer "alle sozialen Standards" und die von der SPD viel im Mund geführte "soziale Balance" werde nur noch auf den Parteitagen "schön illuminiert". Die Agenda 2010 sei komplett ohne ökonomische Analyse gestartet worden. Die Reform sage den Leute nichts, da sie nur auf die sich nicht zu ihrer Zufriedenheit einstellenden Ergebnisse schauen würden.
Kurz vor der Bruchlandung
"Sie haben noch nie zu einer Wahl gestanden", warf Matthias Machnig, Ex-Bundesgeschäftsführer der SPD und inzwischen in der Geschäftsleitung beim Beratungshaus Booz Allen Hamilton, dem Parteiverräter angesichts der Kritik pampig vor. Deutschland habe zwar tatsächlich einen "Innovationsrückstand". Schuld sei aber vor allem ein allgemeines "Motivationsproblem in der Politik". Radikalere Programme würden daran nichts ändern. Trotzdem ist Machnig auch klar, dass man nicht weiter mit "symbolischen Handlungen" wie der Ausbildungsplatzabgabe regieren könne: "Wir brauchen eine zweite Agenda mit klaren Schwerpunkten". Welche das sein könnten, ließ der spin doctor offen.
Das Schlimmste, was Schröder tun könnte, ist nach Steingarts Sicht jedenfalls, sich den Medien weiter zu entziehen: "Eine Regierung, die sich wegsperrt, ist kurz vor der Notlandung." Auch auf der Seite der Journalisten machte er aber eine "enttäuschte Liebe" aus und forderte die Kollegen auf, sich aus lauter Ungeduld über das Steckenbleiben Deutschlands nicht so stark an der Führungsspitze "abzuarbeiten". Handwerkliche Fehler müssten natürlich kritisiert werden, aber sonst müsse die "vierte Gewalt" auch Verantwortungsbewusstsein in der Mediendemokratie zeigen.
Einen letzten Hoffnungsschimmer zeichnete Güllner schließlich noch auf. Denn seinen Umfragen zufolge "wird die Union letztlich nicht als Alternative betrachtet". Die CDU/CSU habe trotz der Misere der SPD nicht an Kompetenz gewonnen. Für dumm verkaufen lasse sich der Wähler nämlich nicht mehr, er sei vielmehr "politikmündig" geworden. Dem Internet, der "Bild" und dem "Spi egel" sei Dank.