Geschichte des Bundesnachrichtendienstes
Vom Nazi-durchwirkten Auslandsgeheimdienst bis zur Verwicklung in dunkle Geschäfte und der Erweiterung der Befugnisse nach dem 11.9.
Über die Arbeit deutscher Geheimdienste ist nur wenig bekannt. Nur bei gelegentlichen Skandalen gelangen vereinzelte Fakten an die Öffentlichkeit - oder wenn der BND seinen neuen Fan-Shop vorstellt. Die beiden Autoren Michael Mueller und Peter F. Müller haben mit Unterstützung des Geheimdienst-Experten Erich Schmidt-Eenboom nun eine Geschichte des Bundesnachrichtendienstes BND vorgelegt. Sie skizzieren den Weg des BND von den letzen Tagen des Dritten Reiches bis nach den Terror-Anschlägen vom 11. September.
Das Buch ist weitgehend der Versuch, einzelne Aktionen des Geheimdienstes anhand von Interviews, Protokollen oder anderen Quellen zu rekonstruieren. Es liegt in der Natur der Sache, dass es schwierig ist, den vollständigen Zusammenhang dieser Einzelheiten zu rekonstruieren. Zu viele Erklärungen müssen im Dunkeln bleiben, weil die Quellen entweder nicht existieren, oder ihnen nicht zu trauen ist. In einigen Fällen kommen Müller/Mueller zu anderen Einschätzungen konkreter Spionageaktionen als andere Autoren, denn sie konnten sich für ihr Buch vieler neue Quellen bedienen, die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zugänglich wurden (und die sie auch alle belegen). Auch in den USA wurden in jüngerer Zeit Dokumente freigegeben, die die Ursprünge des BND nach dem Ende des zweiten Weltkriegs dokumentieren.
Aufklärung im Kalten Krieg
Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Niederlage des deutschen Reichs fing Reinhard Gehlen an, sich Gedanken über die Zeit nach dem Krieg zu machen. Er ließ Akten des von ihm geleiteten Geheimdienstes "Fremde Heere Ost" beiseite schaffen, um mit diesem Kapital später bei den Alliierten für den Aufbau eines neuen Geheimdienstes zu werben. Die Kontaktaufnahme nach Kriegsende gelang, doch die Amerikaner waren zunächst wenig interessiert. Schon hier überschätzte Gehlen seine eigene Bedeutung - meinen die Autoren -, aber der Pragmatismus der Amerikaner setzte sich durch und sie ließen Gehlen gewähren, hatten sie doch praktisch keine geheimdienstlichen Informationen über die Sowjetunion. So konnte er sehr schnell, noch vor der Gründung der Bundesrepublik, einen Geheimdienst aufbauen, der zunächst noch von den Amerikanern (zuerst durch die Army, später durch die neugründete CIA) kontrolliert wurde, aber von Anfang an versuchte, möglichst autonom zu arbeiten.
Der erwähnte Pragmatismus ließ die Aufpasser auch darüber hinweg sehen, dass Gehlen viele Führungsstellen nicht nur mit ehemaligen Wehrmachtsangehörigen, sondern auch mit SS-Führern besetzte. Es ergab sich eine nationalkonservative Grundhaltung des BND, die dann ab den späten vierziger Jahren im Kalten Krieg, im Kampf gegen den Kommunismus, aufging. Gehlen konnte schließlich sein Ziel verwirklichen und seinen Geheimdienst als Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik etablieren. Der Schwerpunkt lag dabei in der "Aufklärung" gegenüber der Sowjetunion und anderen sozialistischen oder kommunistischen Staaten.
Als der hochrangige BND-Mitarbeiter Felfe 1963 als KGB-Spion enttarnt wurde, brach praktisch der gesamte Spionageapparat des BND in der Sowjetunion zusammen, und der Gehlen-Dienst geriet in die Krise. Doch dank guter Beziehungen, vor allem zur unionsgeführten Regierung und zu den Unionsparteien selbst konnten sich Gehlen und der BND behaupten. Ob es eine eigenständige politische Ideologie innerhalb des BND gab, wird wohl weiter Raum für Spekulationen bieten, doch zumindest personell waren Nazi-Führungspersönlichkeiten bis in die späten sechziger Jahre in maßgeblicher Position.
Nach 25 Jahren ging Gehlen schließlich in den Ruhestand und die von vielen Seiten, auch von BND-Mitarbeitern gewünschte Reform des Dienstes konnte einsetzen. Es folgten eine Reihe weiterer BND-Präsidenten, unter ihnen der spätere Außenminister Klaus Kinkel. Der Versuch, den Dienst transparenter zu machen und von Seiten der Regierung mehr Kontrolle auszuüben, musste jedoch letztlich scheitern, denn schließlich liegt die Geheimhaltung im Wesen eines Geheimdienstes. Und angesichts der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten verdeckter Operationen hatten viele Politiker parteiübergreifend daran tatsächlich auch wenig Interesse. Im Zweifelsfall war es so immer möglich, die politische Verantwortung für aufgeflogende illegale Aktionen auf den BND selbst abzuwälzen.
Wie es soch für einen Geheimdienst gehört, bleibt vieles im Dunklen
Die frühen Jahre des BND sind im Buch naturgemäß detaillierter dargestellt, da aus dieser Zeit wesentlich mehr Material zugänglich ist. Je mehr die Autoren sich der Gegenwart nähern, umso dünner wird auch die Beweislage. So sind die Verwicklungen des BND in illegale Waffengeschäfte mit Libyen, dem Irak oder Afghanistan nie wirklich aufgeklärt worden, auch wenn die Indizien eine recht deutliche Sprache sprechen. Die Rolle des BND beim Zerfall Jugoslawiens bleibt im Dunkeln, seine Verwicklungen mit südamerikanischen Militärdiktaturen (Chile, Argentinien, ..) können von den Autoren nur angedeutet werden.
Aus ähnlichen Gründen streifen die Autoren wohl nur den Komplex der elektronischen Überwachung und Aufklärung. Am Rande erwähnen sie die Spionageeinrichtung von Bad Aibling, ohne weiter auf ECHELON einzugehen (Inside Echelon), auch wenn sie die immer größere Bedeutung des "SIGINT" (signal intelligence) genannten Bereiches betonen.
Auch welchem Wert für die Bundesregierung die vom BND erworbenen Erkenntnisse tatsächlich hatten, kann nicht endgültig geklärt werden. Die Autoren sehen allerdings Reinhard Gehlens eigene positive Einschätzung eher als Schönfärberei an. Der einzige Zweck vieler Spionageaktionen war letztlich nur die Erhaltung des Dienstes selbst. Gleichzeitig wird klar, dass der BND zu einem großen Teil eher Parteinteressen wahr nahm, als die Interessen der Bundesrepublik, beispielsweise bei der Finanzierung befreundeter politischer Parteien in anderen Staaten. Doch am Ende lässt sich wohl alles wieder als Dienst am Vaterland verkaufen. Der illegale Waffenhandel, in den der BND bis in die jüngste Zeit immer wieder verwickelt war, kommt letztlich auch der einheimischen Wirtschaft zu gute, und kann vielleicht irgendwann wieder politisch opportun genutzt werden.
Das Buch wurde zum großen Teil schon vor dem 11. September 2001 geschrieben, und so gehen die Autoren auch nur im Vorwort und im Nachwort darauf ein. So bietet nun, nach dem Wegfall der angeblich Bedrohung aus dem Osten, der internationale Terrorismus ein neues, notwendiges Feindbild. Das erklärt, zusammen mit der Unterstützung der heutigen "Schurkenstaaten" durch westliche Geheimdienste, weshalb sie davon sprechen, dass die "Entwicklungslinien" der Anschläge vom 11. September 2001 weiter in die Geschichte zurück reichen. Auch der Bundesnachrichtendienst hat nun neue Aufgaben: Bisher war er ein Auslandsgeheimdienst, nun darf er auch im Inland terrorverdächtige Ausländer beobachten, eine Aufweichung der Trennung geheimdienstlicher und polizeilicher Tätigkeit, wie die Autoren meinen - wenn auch schon bisher illegale Praxis des BND.
Nach dieser Bestandsaufnahme stellt sich eher die Frage, ob dieser Dienst nicht mehr schadet als nützt. Es ist allerdings anzunehmen, dass angesichts der angeblich neuen Bedrohung durch den internationalen Terrorismus der BND sich noch weiter jenseits der Grenze zur Illegalität bewegen wird. Zur Eindämmung des neuen Schreckensszenarios "Proliferation" müssen vor allem dubiose Geschäfte getätigt werden, denn nur so ist an die Hintermänner heranzukommen. Da mag sich die Erfahrung des BND im illegalen Waffenhandel noch bezahlt machen. Einen Vorgeschmack davon kann die fragliche Beteiligung des BND im sogenannten Plutonium-Skandal geben. Der eingesetzte Untersuchungsausschuss konnte dessen Rolle letzlich nicht klären, die Parlamentarische Kontrollkommission für die Geheimdienste zeigte sich wieder einmal als untaugliches Instrument. Zur endgültigen Aufklärung müssen wir uns wohl noch einige Jahre gedulden, bis einer der beteiligten Agenten nach seiner Pensionierung den verstärkten Wunsch nach medialer Aufmerksamkeit in sich spürt.
Peter F. Müller, Michael Mueller (mit Erich Schmidt-Eenboom): Gegen Freund und Feind. Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte, rowohlt Verlag, 700 Seiten, 24,90€
Weitere Literatur:
Erich Schmidt-Eenboom, Undercover - wie der BND die deutschen Medien steuert., aktualisierte Ausgabe München 1999
Andreas von Bülow, Im Namen des Staates - CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste, München 1998