Geschickter Schachzug?

Hinter dem scheinbaren Eingeständnis der geringeren Gefährlichkeit Irans verbirgt sich genug Potential für weitere Drohungen seitens der USA

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Der gestern in Teilen veröffentlichte Bericht der 16 amerikanischen Geheimdienste (vgl. Keine Bombe vor 2010) hat für große Überraschung in der internationalen Öffentlichkeit gesorgt. Zentrale Aussagen des Berichtes weichen deutlich von der Einschätzung ab, wonach Irans Atomprogramm eine unmittelbare Bedrohung für andere Länder darstelle. Eine Einschätzung, auf die sich Bushs konfrontative Politik gegenüber Iran gründet. Mit der Veröffentlichung des Geheimdienstdossiers dürfte sich nun einiges ändern, wird derzeit spekuliert: Der Präsident und insbesondere die Hardliner dürften ab jetzt größere Schwierigkeiten haben, Verbündete zu mobilisieren, wenn es darum geht, eine Politik mit härteren Sanktionen gegen Iran zu betreiben. Ob die Rechnung allerdings so einfach aufgeht, ist ungewiß.

Der Bericht könnte ein Ausweg sein, aus dem Bedrohungs-Hype, der sich in den letzten beiden Jahren aufgeschaukeltb hat. Mit dieser Hoffnung, die sich zum Beispiel in dem gut unterrichteten Fachblog Iran Nuclearwatch findet, könnte man sich ebenso gut anfreunden wie mit der Erstdiagnose, die dem National Intelligence Estimate einige sympathische Punkte abgewinnt:

  1. Iran, dem obskuren "Mullah-Staat" der Achse der Bösen, wird endlich politische Vernunft attestiert
  2. Die Geheimdienste wollen offensichtlich nicht die alten Fehler aus der Zeit vor dem Irak-Krieg wiederholen
  3. Die Spitze gegen die kriegstreibenden Falken im Weißen Haus ist unübersehbar
  4. Der Bericht wahrt das Gesicht der derzeitigen Regierung nach dem Motto "Hartes Verhandeln bringt Erfolg" und kann damit als Aufruf zu verstärkten diplomatischen Anstrengungen verstanden werden: "The time for diplomacy is now!"

Und doch bleiben einige Ungereimtheiten. Zum Beispiel das Waffenprogramm, das Iran im Herbst 2003 eingestellt haben soll. Wie sehen die "besten Informationen", welche diese Behauptung der Geheimdienste stützen, denn genau aus? Wieso wurden sie nicht mit der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien geteilt, die immer wieder auf Mitarbeit mit den Geheimdiensten gerade in diesem Bereich drängte?

... aber noch nicht der Bau einer Bombe

Laut Iran-Kenner Martin Ebbing, der von Teheran aus ein kritisches Blog zur Iran-Krise führt, finden sich im veröffentlichten Teil des NIE-Dossiers nur Hinweise auf "Urankonversion und Urananreicherung", die aber noch kein militärisches Programm seien:

Es besteht kein Zweifel daran, dass Teheran ab Mitte der 80er Jahre solche Programme betrieben hat, ohne die IAEA davon zu informieren. Dies war ein klarer Verstoß gegen die Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag – aber noch nicht der Bau einer Bombe.

Auch die ersten offiziellen Reaktionen aus Iran widersprechen der Behauptung eines früheren Atomwaffenprogramms mit Verweis auf die IAEA:

These assertions were made while International Atomic Energy Agency (IAEA) had confirmed that the Islamic Republic of Iran has never had such a program. Proposition of such claims are made by certain groups with specific political objectives which from the very beginning their falsehood were revealed.

Iranische Nachrichtenagentur IRNA, 4.Dez.

Wer für die "falschen Informationen" zuständig gewesen sein könnte, darüber spekuliert Informed-Comment-Blogger Juan Cole, der zwei berüchtigte Namen nennt, Ali-Reza Asgari, der frühere Verteidigungsminister und General der "Revolutionären Garden", der im Januar dieses Jahres in den Westen übergelaufen sein soll (siehe Hick-Hack der Kampfhähne) und die Volksmudschahedin (vgl. Böse Iraner und gute Iraner im Irak), die noch zu Zeiten Saddam Husseins Informationen über die iranischen Nuklear-Anlagen in Natanz an die USA geliefert haben sollen.

Misstrauen und Druck bleiben bestehen

Die Rezeption des Geheimdienstberichtes, die sich vor allem an der modifizierten Behauptung, wonach Iran mit einiger Wahrscheinlichkeit momentan an keinem nuklearen Waffenprogramm arbeitet, orientiert, verstellt offenbar völlig den Blick auf die andere, nicht unwichtige Feststellung: Dass es nämlich ein solches iranisches Atomwaffenprogramm gegeben habe – und auf Fragen nach der genaueren Art dieses Programms.

Möglicherweise, so spekuliert etwa ein Autor der Asia Times mit teilweise plausiblen Gründen, lässt sich aus der nicht näher belegten Behauptung eine Argumentation entwickeln, die durchaus im Sinne der Falken wäre. Würde nämlich der vorliegende Bericht ebenfalls neu überprüft und die Schlüsse neu überdacht,.so hätte man ein Land, welches das eingestellte Atomwaffenprogramm wieder aufnimmt - mit all den daraus folgenden politischen und allzu bekannten Konsequenzen in neuer Schärfe:

(George Bush) may have managed a mini-coup with the intelligence community by procuring a new report that confirms an Iranian nuclear weapons program, albeit one that it claims has been "halted".

If complemented by a follow-up report that Iran is now poised to change course and resurrect its halted activities, then theoretically speaking, that gives ample justification for Washington's planned "pre-emptive strikes" on Iran, not to mention added sanctions.

Die Weisheit, das vor allem politischer Druck hilft, dürfte der gegenwärtigen amerikanischen Regierung durch das Geheimdienstdossier nicht genommen werden. Selbst wenn eine andere zentrale Behauptung ebenfalls nicht so sehr von der Realität abgedeckt wird, wie es den Anschein hat.

So stellt der Bericht zwar fest, dass Iran viel mehr einer politischen Vernunft folgt als einem irrationalen Hang zur Militarisierung, der gerne mal unterstellt wird:

Our assessment that Iran halted the program in 2003 primarily in response to international pressure indicates Tehran’s decisions are guided by a cost-benefit approach rather than a rush to a weapon irrespective of the political, economic, and military costs.

Aber laut Teheranexperte Ebbing gibt es da ein kleines Problem mit der Realität:

Im Jahr 2003 existierte kein nennenswerter politischer oder wirtschaftlicher Druck – nur die üblichen unbelegten Vorwürfe der USA, der Iran betreibe den Bau einer Atombombe. Ende 2002 war bekannt geworden, dass Teheran im Geheimen ein Nuklearprogramm betreibt. Einen ersten Eindruck vom Umfang und der Art dieses Programms erhielt IAEA Generaldirektor Mohammed ElBaradei bei einem Besuch im Februar 2003. Danach gab es viele Spekulationen und Aufregung, aber von einem koordinierten Druck auf den Iran kann nicht die Rede sein.

Möglich, dass der Bericht wie kein anderer Geheimdienstbericht zuvor die außenpolitischen Debatten in Washington schlagartig verändert, wie die New York Times heute beobachtet. Möglich aber auch, dass dies am Kurs von Präsident Bush nichts ändert. So wenig wie ein Bericht, der zwei wichtige Säulen der Iran-Politik beinahe unberührt stehen lässt: das Misstrauen und den Druck. Man darf gespannt sein, wie sich der Bericht auf die Politik der internationalen Gemeinschaft auswirkt: Laut einer Reuters-Meldung von gestern soll sich China mit neuen Sanktionen gegen Iran einverstanden gezeigt haben.