Geschlechtspopulismus
Seite 4: Andere Parlamente mit anderen Abgeordneten
- Geschlechtspopulismus
- "Mann sein" ist keine politische Kategorie
- Strukturelle Benachteiligung?
- Andere Parlamente mit anderen Abgeordneten
- Auf einer Seite lesen
Wenn schon, dann bräuchten wir andere Parlamente, ausgestattet mit anderen Kompetenzen und anders ausgewählten Abgeordneten, bei denen das Geschlecht nicht an erster Stelle steht. Doch Alternativen werden gar nicht mehr diskutiert, nur noch, ob quotiert werden soll und wie.
Andere Parlamente mit anderen Abgeordneten - das finge schon bei der Auswahl der KandidatInnen an. Wer stellt sie auf? Real werden diejenigen, die in den Parlamenten politische Entscheidungen treffen sollen, den WählerInnen von den Parteien vorgesetzt. Mit der Partei kriegt man zugleich den Kandidaten mitgeliefert, mit der Kandidatin muss man zugleich die Partei schlucken. Man muss akzeptieren - oder es bleiben lassen.
Panaschieren beispielsweise, also Kandidaten auf eine andere Liste setzen und wählen, gibt es für die Bundestagswahlen nicht.
Ist es keinen Gedanken mehr wert, wie man dafür sorgen könnte, dass Kandidaten, die für soziale oder politische Projekte stehen - Mieterinitiativen, Flüchtlingshelfer - in ein Parlament einziehen, völlig außerhalb einer Partei?
Abgeordnete werden im derzeitigen System vor allem diejenigen mit den größeren Ressourcen und dem kleineren Mut. Gebildete, begüterte und angepasste Bewerber sind eher im Parlament zu finden, als solche ohne Abitur, aus unteren sozialen Schichten und mit eher ungezügeltem Widerspruchsgeist. Das gilt für beide Geschlechter, übrigens auch für die AfD-Frauen
Wie die Frage, wer eigentlich zur Wahl steht, wird auch die, wer überhaupt wählen darf, gar nicht mehr gestellt.
Etwa ein Viertel der Bevölkerung ist von den Wahlen ausgeschlossen, in Deutschland 20 Millionen Menschen. Kein Stimmrecht vor allem für Jugendliche, Kinder und Migranten. Zumindest die schwer körperlich und geistig Behinderten sowie die gerichtlich Betreuten sollen nach dem jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes nicht mehr von der Wahl ausgeschlossen werden dürfen.
Warum kein Stimmrecht für alle von Geburt an? Ein Mensch - eine Stimme. Auch Babys und Kinder haben Bedürfnisse, Jugendliche sowieso, denen politisch Rechnung getragen werden muss. Ausgeübt würde es natürlich von denjenigen, die für diese Minderjährigen Verantwortung tragen - die Eltern. Eine fünfköpfige Familie hätte demnach fünf Stimmen.
Wo bleiben die anderen Formen der Demokratie: Direkte Teilhabe, Volksentscheide? Sie gehörten nicht nur ausgebaut, sondern auch reformiert, z.B. ebenfalls nach der Formel: Ein Mensch, eine Stimme.
Stattdessen könnte in Berlin das Abgeordnetenhaus bald zu einem Tatort der besonderen Art werden. Einerseits wollen die üblichen Verdächtigen - Rot-Rot-Grün - auch in der Hauptstadt ein Frauen-Männer-Paritätsgesetz verabschieden. Zugleich plant eine rote Partei aber ein Gesetz, nach dem auch das Parlament selber Volksabstimmungen durchführen kann. Das Besondere: Die Abgeordneten müssten sich nicht an das Votum halten, sondern könnten trotzdem entscheiden, wie sie wollen. Zur Erinnerung: In Berlin wurde durch einen erfolgreichen Volksentscheid verhindert, dass der frühere Flughafen Tempelhof, der eine riesige Freifläche darstellt, bebaut werden kann.
Was die regierende SPD plant, wäre ein Anschlag eines Parlamentes auf die direkte Demokratie. Die Bemächtigung eines Instrumentes des Souveräns samt dessen Enteignung. Und das dann eben mit der Hälfte Frauen. Mit Frauen gegen Frauen könnte man sagen. Mittels Paritätsgesetzen wird also die Frauenfrage benutzt zur Aufmöbelung der real-existierenden demokratie-schwachen Repräsentanz-Demokratie. Frauen sollen die Parlamente besser machen, als sie sind.
Paritätisch besetzte Organe - der Vorschlag ist nicht neu und hat durchaus seinen Reiz. Ein Prinzip, das zum Beispiel auch bei den Rundfunkräten Anwendung findet, wenn auch in kritikwürdiger Weise. In meinen Universitätszeiten wurde Drittel-Parität gefordert. In den Gremien sollten zu je einem Drittel Vertreter der Professoren, des Mittelbaus, sprich: sonstigen Personals und der Studenten sitzen. Wie man sieht, ist Parität nicht dasselbe wie Quotierung, bei der die Studenten aufgrund ihrer Anzahl alle Gremien majorisieren würden.
"Soziale Parität" findet in den deutschen Parlamenten nicht statt
Die entscheidende Frage ist: Was sind die relevanten Gruppen, die paritätisch vertreten sein sollen? Die Geschlechter? Ausschließlich?
Hier spricht wohl eher der Zeitgeist als der Notstand. Käme irgendjemand auf die Idee, Demonstrationen zu gendern und eine Frauen-Männer-Gleichheit zu verlangen? Jeder und jede hat das gleiche Recht, man muss es nur in Anspruch nehmen, mit allen Chancen und Risiken ("kalte Füße"). Bei den freitäglichen Schülerdemonstrationen gehen Klassen geschlossen auf die Straße, Jungs und Mädchen, und niemand rechnet nach oder vergleicht.
Sind "Wessis" und "Ossis" relevante Gruppen? Die Stimmen, die bei der Besetzung von Führungspositionen im Osten eine Ost-Quote vorschlagen, sind nicht verstummt - 30 Jahre nach der Wende.
Oder Generationen? Junge wie Alte sind in den vorfindlichen Parlamenten mindestens so unterrepräsentiert wie Frauen. Die demonstrierenden Schüler argumentieren explizit mit ihrer Jugend. Da sie am lebenslängsten mit den politischen Entscheidungen von heute konfrontiert seien, wollen sie gefragt werden und rufen: "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!"
Sind Religionen oder Migranten relevante Gruppen?
Und wie wäre es mit sozialen Lagen und Schichten? Wo ist da das Abbild der Gesellschaft? Würde man das soziale Gefälle im Bundestag repräsentieren wollen, bliebe von den 700 Plätzen für die oberen Schichten wahrscheinlich nur ein Quotenabgeordneter übrig. "Soziale Parität" findet in den deutschen Parlamenten nicht statt.
Alle diese Fragen, wie sollte Demokratie organisiert sein, damit sie gerecht und wirkungsvoll ist, in welchem Verhältnis sollten Legislative und Exekutive, Parlamente und Regierungen stehen, tauchen in der Debatte nicht auf. Sie ist reduziert auf Frauen und das Merkmal Geschlecht.
Die Geschlechterfrage verdrängt die soziale Frage. Und man könnte auf die Idee kommen, das sei bezweckt.