Gesteigerter Destruktionsfaktor

Wie man die Mützen deutscher Polizisten anzündet und mit einem "Grind" die Totenschädel zum Rollen bringt: Activisions "Tony Hawk's Underground 2"

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"Tony Hawk's Underground 2" ist trotz der "2" im Namen bereits der sechste Titel in Activisions Tony-Hawk-Serie, der vierte für die Next-Generation-Konsolen. THUG 2 für PS2, XBox, GameCube und PC, wird diesem offiziellen Kürzel stärker noch als der Vorgänger gerecht: Der Spieler zieht als Rowdy (der Duden-deutschen Übersetzung des englischen Wortes Thug) auf World Destruction Tour. Da gilt es die Mützen deutscher Polizisten anzuzünden und die Toten in New Orleans zu wecken.

Mitten auf der Straße wird ein Skater in einen Lieferwagen gezerrt, kurz darauf steht vor ihm ein maskierter Mann mit einer Kettensäge. Auftakt zu einem Horrorspektakel? Weit gefehlt: "Tony Hawk goes MTV Jackass" umschreibt passend die Story in THUG 2. Trotz des gesteigerten Destruktionsfaktors hat sich am grundlegenden Konzept wenig geändert: Bestimmte Tricks müssen an vorgegebenen Objekten ausgeführt, kombiniert und sauber gelandet werden. Um die Toten aufzuwecken, muss der Skater beispielsweise mit einem Grind an der Gruft die Totenschädel ins Rollen bringen.

Freak out

Eine Aufgabenliste erklärt für die Großzahl der Herausforderungen den benötigten (Spezial-)Trick und genauen Ort. Einige Aufgaben besitzen einen gewissen Rätselcharakter, der durch detaillierte Tipps der umstehenden Spielfiguren minimalisiert wird. Als Beispiel sei hier die Aufgabe, einen Kranführer zu wecken, herangezogen: Der nebenstehende Bauarbeiter weist freundlicherweise auf den Hydranten hin, den der Spieler dann mit einem Natas Spin, einem der neuen Tricks, öffnen muss. Üblicherweise erhält der Spieler bereits beim Anwählen einer Aufgabe eine detaillierte Beschreibung inklusive der benötigten Moves, sodass sich der Spieler auf die saubere Ausführung der Tricks konzentrieren darf.

In der Trickpalette hat sich wenig geändert, die Vorgänger belegten ohnehin schon eine Fülle möglicher Steuerungskombinationen beliebiger Gamepads. Tricktechnisch ist THUG2 vermutlich das Spiel der Serie mit den wenigsten Neuerungen - so entspricht der als Neuigkeit beworbene Sticker Slap dem Wall Plant aus THUG. Wie dieser dient er zum Wenden an einer Wand, ohne die Combo zu unterbrechen, hinterlässt lediglich einen - wenn gewünscht selbst gestalteten - Aufkleber, ein Extra, das der Story-Modus für einige Aufgaben nutzt. Die größte Erweiterung ist der Fokus-Modus: Hat der Spieler mit einigen Tricks seine Spezial-Anzeige gefüllt, kann er mit dem Fokus-Modus auf Zeitlupe schalten und so präziser drehen und genauer landen. Eine witzige Ergänzung der Trickpalette ist der Freak out, den der Spieler nach einem Sturz aktivieren kann. Mit dem so ausgelösten Wutausbruch des Skaters darf der Spieler gleich in die nächste Combo starten.

Wut über den Sturz: Freak out

Wie bereits im ersten Tony Hawk's Underground (vgl Pistensau und König der Straße) dreht sich der Story-Modus um einen vom Spieler erstellten Boarder, statt wie in den frühen Tony-Hawk-Spielen einen Profi-Skater in den Mittelpunkt des Geschehens zu setzen. PS2-Besitzer können dem Protagonisten ihr eigenes Gesicht entweder mittels per E-Mail versandtem Digitalfoto oder über die Eye-Toy-Kamera geben. Neben der eigenen Figur findet und steuert der Spieler pro Level noch drei weitere Boarder: einen Profi - darunter der Namensgeber, einen "Stargast" von Skate-Jungstar Ryan Scheckler bis zu Benjamin Franklin, und schließlich den Besitzer eines speziellen Fahrzeugs wie einen australischen Aborigine mit Gokart. Jede Figur hat ihre eigene Aufgabenliste, die zum Großteil, aber nicht zwingend von der jeweiligen Figur absolviert werden muss. Gerade anfangs bietet sich der Profi-Skater für die meisten Herausforderungen an, da er die besten Stats hat.

Konservative Ader

Stats beschreiben beispielsweise, wie stabil der Skater einen Grind ausführt und wie hoch er springt. Jeder Skater besitzt unterschiedliche Werte, traditionell kann der Spieler die Werte des eigenen Skaters verbessern. Im Klassik-Modus sammelt der Spieler wie in alten Tony-Hawk-Titeln Stat-Punkte innerhalb der Levels, die er beliebig auf die Eigenschaften verteilt, im Story-Modus verbessert die Anwendung von Tricks die jeweilige Eigenschaften: Ein langer Grind verbessert den Rail-Stat, hat aber keine Auswirkung auf die Sprungfähigkeit. Die Steigerung erfolgt anders als in Rollenspielen nicht kontinuierlich, sondern zu jedem Stat gibt es spezifische Aufgaben, deren Erfüllung levelunabhängig die Eigenschaft je einmal verbessert.

Das bewährte Punktesystem, bei dem lange Combos der Weg zu hohen Wertungen sind, bleibt dem Spieler erhalten, jedoch sind die Punkte im Story-Modus mehr eine persönliche denn eine vom Spielverlauf vorgegebene Herausforderung. Zwar besteht eine Aufgabe in jedem Level darin, einen bestimmten Highscore innerhalb eines Zeitlimits zu schlagen, doch fehlt hier das alte Punktjagd-Feeling der ersten drei Tony-Hawk's-Pro-Skater-Spiele. Damals, in der grauen Steinzeit des Extremsportspiels, als es keine Rahmenhandlung gab und bevor mit dem vierten Teil (vgl. Das Brett, das die Welt bedeutet) das Zeitlimit und damit auch das traditionelle Tony-Hawk-Konzept fielen.

Eine Tradition, die nun wieder auflebt: Bei aller Rowdy-Fassade der Spiele, besitzt der typische Tony-Hawk-Gamer offensichtlich eine konservative Ader, so dass Entwickler Neversoft ein Herz hat für diejenigen, die sich nach dem guten alten "2:00"-Timer sehnen. Jene zwei Minuten, in denen drei Punktevorgaben erreicht werden müssen (wozu hat man schließlich die schönsten Kombinationsmöglichkeiten eines Levels entdeckt), sowie jeweils die Worte S-K-A-T-E und C-O-M-B-O Buchstabe für Buchstabe - letzteres selbstredend innerhalb einer Trickkombination - eingesammelt werden wollen. In der auch für die anderen Ziele je genau zwei Minuten ausreichen müssen, die immer selben zwei Minuten, mit dem immer selben Startpunkt. Auch die versteckten Tapes findet der Spieler im klassischen Modus wieder. Wem gar Tony Hawk's Pro Skater 3 mit seiner Einführung der Manuals zur Verlängerung der Combos zu modern ist, darf in den Optionen diese Bodentricks ebenso deaktivieren wie Reverts und das Laufen mit dem Brett unter dem Arm. Ein "Tony Hawk's Pro Skater 2" (vgl. Skateboard-Fieber) hat er damit jedoch nicht, denn die heutigen Level sind schlichtweg nicht für die alte Steuerung konzipiert.

Der Deutsche in der Wahrnehmung von Neversoft

Sehnsucht nach dem guten alten Board

Laufen und andere Fahrzeuge bleiben die Archillesferse: Die Steuerung ohne Brett hat Neversoft leider zu wenig verbessert. Der Skater gelangt mit ein paar geschickten Sprüngen und Grinds auf einen Balkon, von dem er dann im Fußgängermodus aufgrund der unsäglichen Steuerung wieder herunterfällt. Auch die Steuerung der Spezialfahrzeuge lässt keine wirkliche Spielfreude aufkommen, sondern wecken lediglich die Sehnsucht nach dem guten alten Board.

Leveldesign war dagegen schon immer eine, wenn nicht die wichtigste Zutat im Erfolgsrezept der Serie und etwas, bei dem die meisten anderen Extremsportspiele mit ähnlichem Konzept nicht mithalten konten. THUG2 nutzt stärker noch als der Vorgänger die Vertikale mit befahrbaren Dächern und Balkonen. Zudem verändern bestimmte Ereignisse die Levels: Nachdem der Skater in Barcelona einen Stier freilässt, zerstört dieser zunächst einige Objekte - wodurch neue Trickmöglichkeiten entstehen - und läuft anschließend wild durch die Stadt. Eine der Aufgaben besteht nun darin, eine Combo zu landen, die damit beginnt, dass der Skater vom Stier in die Luft befördert wird.

Tony Hawk's Underground 2 bleibt die Referenz für Extremsportspiele, hat aber in seiner aktuellen Auflage nicht viel Neues zu bieten. Level und Steuerung sind - solange der Skater in seinem Element also auf dem Board ist - nach wie vor hervorragend. Lobenswerter als der Schnickschnack zum Aufpeppen des Spiels ist - und hier darf man konservativ sein -, dass es Neversoft dem Spieler überlässt, ob er den Story- oder den Klassik-Modus bevorzugt. THUG2 ist das spielerische Pendant zum Album einer in die Jahre gekommenen Rockband im Spagat zwischen modernen Strömen und der Rückkehr zu den eigenen Wurzeln.