Gesundheitsversorgung unter Druck

Deutschland hat eines der weltweit teuersten Gesundheitssysteme. Es ächzt und knarzt jedoch immer deutlicher: Gesundheit wird zum knappen Gut. Ein Kommentar

Vielfach wird die Meinung vertreten, dass das deutsche Gesundheitswesen aufgrund der Privatisierung kommunaler Krankenhäuser leiden würde, was jedoch deutlich zu kurz gegriffen ist.

So ist die Versorgung über Haus- und Fachärzte in Deutschland grundsätzlich privaten Praxen überlassen und Kliniken müssen die Patienten üblicherweise in die Obhut der Hausärzte entlassen, wenn die klinische Versorgung beendet ist. Nur in wenigen begründeten Ausnahmefällen können die Patienten in der Folge eines Eingriffs in der Klinik ambulant weiterbehandelt werden.

Ein in allen Bereichen des Gesundheitswesens öfter zu hörende Schwierigkeit stellt sich durch ein gewisses Anspruchsdenken vieler Patienten. Sie gehen offenbar davon aus, dass ihnen geholfen werden muss, ohne dass sie sich am Heilungsprozess beteiligen. Beklagt wird auch, dass sie nicht das mindeste Verständnis für den Heilungsvorgang aufbringen. Die Patienten gehen laut Vorwürfen davon aus, dass sie einen Anspruch auf die bestmögliche Versorgung ohne eigene Anstrengungen haben, weil sie ja in die Krankenversicherung einbezahlt haben.

Eine Umstellung der eigenen Lebensweise, die nicht selten Auslöser für zahlreiche Krankheiten ist, werde grundsätzlich abgelehnt. Wozu gibt es denn Ärzte, die den Patienten schnellstens wieder auf die Beine stellen?

Mit dieser Haltung wird eine erfolgreiche Behandlung schwieriger. Zudem kann ein Patient, der sich mit seiner Situation nicht befasst, auch kaum bemerken, wenn eine ärztliche Behandlung nicht zielführend ist oder sogar kontraproduktiv. So kann etwa eine unangemessene Wundbehandlung letztlich dazu führen, dass nur noch eine Amputation der betroffenen Gliedmaßen übrig bleibt, um eine Sepsis zu verhindern, die tödliche Folgen haben kann.

Faktischer Lockdown aufgrund hohen Krankenstands

Vor Probleme stellt die Krankenhäuser gegenwärtig nicht nur die Zahl der mit Corona eingelieferten Patienten, für die dreimal so viele Pfleger benötigt werden, wodurch die Zahl der nutzbaren Betten reduziert wird, sondern auch der aktuelle Krankenstand unter dem ärztlichen und dem Pflegepersonal. So meldete das Handelsblatt dieser Tage:

Die Ärzteschaft warnt angesichts der zunehmenden Personalausfälle in Kliniken durch die Corona-Sommerwelle vor einer Überlastung des Gesundheitssystems. "Wir sehen Engpässe in Kliniken, insbesondere in Schleswig-Holstein mit seinen besonders hohen Infektionszahlen", sagte die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, dem Handelsblatt. "Aber auch in anderen Bundesländern können Stationen, Notaufnahmen und der Rettungsdienst wegen Personalmangels teilweise nicht mehr betrieben werden"

Handelsblatt

Der Krankenstand ist jedoch auch in anderen öffentlichen Einrichtungen mit regem Publikumsverkehr - und dazu gehören Schulen und Universitäten - ein Problem. Hier steigt der Krankenstand unter dem Personal in der aktuellen Sommerwelle drastisch an. Bei den Neuinfektionen wird Deutschland übrigens derzeit nur von den USA und Frankreich übertroffen.

Scheinbar selbständige Ärzte sind in zunehmendem Maße angestellt

Das wirtschaftliche Risiko einer eigenen Praxis erscheint zahlreichen Ärzten inzwischen zu hoch und so begeben sie sich in die Hände von Finanzinverstoren, die entweder gut gehende Praxen aufkaufen, deren Inhaber keinen Nachfolger finden oder gleich ein Franchisesystem von Facharztpraxen aufbauen und aufgrund ihrer Finanzmacht sich schnell zu regionalen Monopolen entwickeln.

So hat sich bei den Augenärzten die 2018 gegründete Kette bereits offenbar mehr als 200 Standorte in Deutschland und der Schweiz etabliert. Vorteil dieser Ketten ist für den einzelnen Augenarzt, dass er das wirtschaftliche Risiko vermeiden kann und sich auch nicht mit der Gewinnung von Helfer:innen plagen muss.

"Insgesamt gehören in Deutschland inzwischen mehr als 500 Augenarztpraxen internationalen Private-Equity-Gesellschaften", meldete die Tagesschau am 5. April dieses Jahres. Diese Ketten werden vielfach von einem Investor zum nächsten weitergereicht, ohne dass dies in der Öffentlichkeit bemerkt wird.

Auch bei Zahnarztpraxen haben sich große Investoren aus den USA, Schweden und der Schweiz etabliert, welche die Praxen nach dem Modell eines Fastfoodkette betreiben und die zahnärztliche Versorgung auf die großen Städte konzentrieren, wo das Patientenpotential groß ist.

Angesichts von Online-Apotheken, die sich häufig in der Hand ausländischer Investoren befinden, wird die Luft für ärztlich geführte Praxen und lokale Apotheken zunehmend dünner.

Der Nachwuchs fehlt nicht nur bei Ärzten und Pflegern

Man will jetzt die Zahl der Studienplätze für Medizinstudenten erweitern, muss dafür jedoch auch die benötigten Lehrkräfte ausbilden und sollte berücksichtigen, dass längst nicht jeder nach einem abgeschlossenen Medizinstudium auch Arzt wird.

Der Arbeitsmarkt hält attraktivere Stellen bereit und so verschwinden etwa 50 Prozent aus der Statistik. Wer einen Termin bei einem Facharzt benötigt, kann sich auf Wartezeiten von mehreren Monaten einstellen und muss dazu in die nächste größere Stadt fahren. Auf dem Land sind seit Jahren schon Hausärzte knapp und die Kommunen müssen sich intensiv und mit viel Geld um die gewünschten Ärzte bemühen.

Es fehlt inzwischen jedoch nicht nur an Ärzten, sondern an der gesamten medizinischen Lieferkette. Was die Ärzte verordnen, ist mitunter mehr als das, das in der Apotheke zu erwerben oder als App auf das Smartphone geladen werden kann. Es fehlt inzwischen auch an Ortopädietechnikern, die in andere Berufe abwandern, wo sie mehr verdienen. Auszubildende werden in dieser Situation händeringend gesucht.

Die Hilfsmittel selbst kommen in zunehmendem Maße aus China, weil ihre Produktion in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich ist oder einfach qualifizierte Zulieferer fehlen. Wer aktuell einen Podologen sucht, steht vor gewaltigen Herausforderungen.

Die qualifizierten, früher als medizinische Fußpfleger, bezeichneten Kräfte nehmen vielfach neue Patienten nur noch an, wenn aus dem Bestand jemand verstorben ist. Auch in der Physiotherapie, bei der die Therapeuten nahe am Patienten arbeiten müssen, übersteigt die Nachfrage das Angebot bei weitem.

Patienten müssen sich an der Heilung beteiligen

Das Anspruchsdenken zahlreicher Patienten, die der Ansicht sind, mit ihrem Versicherungsbeitrag hätten sie ihre Gesundung bezahlt und erwarteten, dass die Ärzte sie wieder "reparieren", wie es die Autowerkstatt mit ihrem Auto macht, führt nicht zu einem besseren Gesundheitswesen.

Anders als bei einem technischen Gerät, das über eine umfangreiche Dokumentation verfügt, können viele Heilungsprozesse letztlich nur im Dialog zwischen Ärzten und Patienten erfolgreich sein. Einen digitalen Dialog zur Analyse wie beim Auto gibt es beim Menschen (noch) nicht. Den Arzt gewissermaßen im Dunkeln stehenzulassen, mit der Aufforderung "nun mach mich mal gesund, ich habe ja dafür bezahlt", ist wenig erfolgversprechend.

Wenig zielführend ist auch die konsequente, unbegründete Ablehnung ärztlicher Maßnahmen, wie die Einnahme von Medikamenten oder die Impfung gegen Krankheiten oder zumindest gegen schwere Verläufe dieser Krankheiten. Wer sich beispielsweise der Impfung gegen Corona aus weltanschaulichen Gründen verweigert, muss mit dem Risiko rechnen, im Ernstfall nicht behandelt zu werden.