Gezielte Tabubrüche

Die Äußerungen führender Unionspolitiker nach dem Überfall von Potsdam sind bewusst kalkulierte symbolische Politik

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Der Überfall auf einen Deutschen äthiopischer Herkunft hat nicht nur die Zivilgesellschaft heftig erregt. Fast fühlt man sich ins Jahr 2000 zurück versetzt, als die damalige Bundesregierung nach einem Anschlag auf jüdische Auswanderer aus Russland den Aufstand der Anständigen ausgerufen hat. Die Zivilgesellschaft wurde zum Kampf gegen rechts aufgerufen. Breite Kreise der Bevölkerung aber auch Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmerverbände fühlten sich angesprochen und haben sich engagiert. Allerdings gab es am konservativen Flügel der Unionsparteien Stimmen, die sich diesem Aufstand der Anständigen verweigerten. Sogar Vergleiche mit staatlich verordneten Kampagnen in der DDR wurden gemacht. Einer der Wortführer dieser konservativen Kritiker war damals der CDU-Politiker Jörg Schönbohm.

Viele sahen an diesen Äußerungen vor allem die Bestrebung der Union, sich gegen Rot-grün als Opposition zu profilieren. Doch die Reaktionen auf den Potsdamer Überfall zeigt, dass mehr dahinter steckt. Ausgerechnet von Jörg Schönbohm, der sich schon in seiner Zeit als Berliner Innensenator gegen Hausbesetzer und Linke als Law and Order-Politiker profilierte, hört man jetzt auf einmal ganz andere Töne.

„Wir hätten diese Straftat in Brandenburg auch allein aufklären können und auch alleine aufklären müssen", wiederholte er auch am Sonntagabend in der Talkshow von Sabine Christiansen seine schon am Vortag heftig kritisierten Äußerungen. Er hatte in Interviews Generalbundesanwalt Nehm sogar beschuldigt, zur Stigmatisierung Brandenburgs beizutragen, indem er den Fall an sich gezogen hatte. Dass es dabei nicht einfach um ein Kompetenzgerangel ging, zeigte sich an weiteren Nuancen in Schönbohms Reden. Er bezweifelte auch, ob es sich bei dem Überfall überhaupt um eine Tat mit rassistischen und rechtsradikalen Hintergrund gegangen sei. Selbst dass die eingeschaltete Mailbox des Opfers bewiesen hat, dass das Opfer als Nigger beschimpft wurde, reichte dem Innenminister nicht aus, um die Tat als rassistisch und rechtsradikal einzustufen. Er konterte mit Gerüchten, dass das Opfer die Täter als „Schweine“ bezeichnet hatte. Ob er damit nicht auf die Angriffe auf ihn reagierte, wird bei ihm gar nicht erst in Erwähnung gezogen. Schönbohm gab auch zu bedenken, dass es sich bei dem Überfall um einen Streit zwischen Betrunkenen handelte, der eskalierte. Dabei ist es normalerweise eher ein Indiz für die besondere Verwerflichkeit der Tat, wenn das Opfer betrunken ist.

Mit seinen Äußerungen, die letztlich zur Diskriminierung des Opfers beitragen, geriert sich Schönbohm als Aufklärer, der erst urteilen will, bis alle Fakten auf den Tisch liegen. Dabei macht er sich die Tatsache zu Nutze, dass es zum Tathergang noch viele Fragen gibt, was nicht zuletzt darin liegt, dass das Opfer auf Grund seiner schweren Verletzungen nicht vernehmungsfähig ist.

Blonde Opfer

Dass Schönbohm mit seiner Lesart nicht allein steht, zeigt die Unterstützung von führenden Politikern der Unionsparteien. So zweifelte auch Wolfgang Bosbach einen rassistischen Hintergrund der Tat an. Zuvor hatte schon der Bundesinnenminister mit seinem Kommentar zu den Überfällen für Kritik gesorgt. Er hatte nicht nur davor gewarnt, den Überfall von Potsdam in eine rechte Ecke zu stellen, sondern noch hinzugefügt: "Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser." Nicht nur aus der SPD, auch aus der Umgebung von Merkel kam Kritik an dieser Lesart, so dass Schäuble später seine Wortwahl relativierte, den Inhalt aber weiter verteidigte.

Es sei richtig und notwendig, „jede Form von Extremismus, von Gewalttätigkeit, Fremdenhass“ zu bekämpfen. Die Bundesregierung nehme alle Formen von Gewalt ernst. Alles andere sei „Betroffenheits- und Erregungsrhetorik", sagte der Innenminister.

Gleichzeitig machte Schäuble wie andere Unionspolitiker die Politik der DDR für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verantwortlich. Allein diese Verbindung zeigt, dass es sich bei den Äußerungen nicht um Fettnäppchen handelt, in die Politiker bei Interviews gestolpert sind. Schließlich hatten ähnliche Schuldzuweisungen noch im letzten Sommer im Vorwahlkampf für heftige Debatten gesorgt. Damals hatte Schönbohm die „erzwungene Proletarisierung der SED“ für den Babymord in Brandenburg verantwortlich gemacht. Auch damals musste sich der Politiker nach der Intervention der Unionsspitze entschuldigen. Schließlich wollte man im Wahlkampf die Ostdeutschen nicht zu sehr vor den Kopf stoßen.

Doch trotz aller Abschwächungen, Klarstellungen etc. erfüllen die gezielten Tabuverletzungen ihren Zweck. In der aktuellen Debatte wollen die Unionspolitiker Signale an den konservativen Parteiflügel aussenden. Wenn man auch in einer großen Koalition die Politik zur Mitte hin ausrichten muss, will man zumindest bei symbolischen Fragen Flagge zeigen. Am Wochenende machte Schönbohm einmal mehr deutlich, dass er mit dieser symbolischen Politik fortfahren will. Bei einer Rede zum 61. Jahrestag der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Sachsenhausen brüskierte er Überlebende mit seiner Erklärung, dass er in sein Gedenken auch die Häftlinge des Sowjetlagers einschließt, das bis 1950 auf dem Gelände von Sachsenhausen eingerichtet wurde. Kritiker weisen darauf hin, dass sich darunter zahlreiche NS-Funktionsträger befanden, und befürchten, die Vermischung von Tätern und Opfern. Schon seit langem gibt es in Kreisen Rechts von den Unionsparteien Bestrebungen, statt von Opfern des NS-Regimes vom Terror der „beiden Diktaturen auf deutschem Boden“ zu reden. Schönböhm dürfte diese Debatten kennen. Schließlich war er schon Interviewpartner der Jungen Freiheit, einer Wochenzeitung, die diese Bestrebungen immer wieder vorantreibt.