"Gezielte Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme in Europa"

Seite 2: Geheime Zirkel sind die neoliberale Speerspitze der globalen Wirtschaft

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In ihrem Buch richten Sie die Aufmerksamkeit nicht nur auf einzelne Akteure, sondern auch auf die Netzwerke. Sie führen Organisationen wie die Bilderberg-Gruppe, den European Round Table of Industrialists oder die Baden Badener Unternehmergespräche an. Was hat es damit auf sich?

Jürgen Roth: Besonders weise ich ja auf den "Entrepreneur Roundtable" in der Schweiz und Deutschland hin. Über den hatte bislang in Deutschland kein einziges Medium berichtet. Dort versammeln sich hochkarätige Banker, Wirtschaftsmagnaten und Medienmogule zu "informellen" Besprechungen, 7 bis 8 Mal im Monat. Es ist ein geheimes Bündnis. Und ich zeige, wer aus der Schweiz und Deutschland dazu gehört. Die deutschen Teilnehmer habe ich alle um Auskunft gebeten. Der einzige, der geantwortet hatte, war Martin Blessing, der CEO der Commerzbank. Die Antwort der Pressestelle: "Dazu können wir nichts sagen." Geheime Zirkel wie die Bilderberg-Gruppe oder der European Round Table of Industrialists sind die neoliberale Speerspitze aus der globalen Wirtschaft, die erfolgreich die Politik beeinflussen, ob in Berlin oder Brüssel. Sie sind diejenigen die vom stillen Putsch profitieren, und die ihre Interessen mit allen Mitteln durchsetzen und zwar über die Troika.

Die Machtstrukturforschung verweist seit Jahrzehnten darauf, dass sich anhand solcher Elite-Zirkel ein vorgelagerter politischer Formationsprozess erkennen lässt, demokratische Strukturen unterlaufen werden. Wie sehen Sie das?

Jürgen Roth: Man ist ja gerne schnell bei der These, dass sei alles Verschwörungstheorie. Wer sich jedoch die Liste dieser geheimen, vollkommen intransparenten Elite-Zirkel ansieht, wird sehr schnell sehen, dass - von wenigen Ausnahmen abgesehen - ihnen nur die kleine Elite der neoliberalen Machtstrukturen angehört - von Goldman Sachs über Deutsche Bank und Commerzbank bis hin zu McKinsey, Daimler oder Siemens. Und wenn dann - wie bei den Bilderbergern - einmal ein Politiker wie Jürgen Trittin eingeladen wird, dann ist er allenfalls so eine Art nützlicher Idiot für die Elite-Zirkel. Hingegen passen in diese Strukturen Männer wie Manuel Barroso oder Mario Draghi. Und genau die waren ja dort, ebenso wie die Chefin des IWF. Prachtexemplare konservativer Gralshüter.

Was meinen Sie: Warum werden diese Zusammenhänge von den großen Medien gar nicht, oder teilweise nur verharmlost, thematisiert?

Jürgen Roth: Das ist mir auch ein Rätsel. Entweder werden die Journalisten von ihren Herausgebern, die ja häufig Teilnehmer dieser Elitezirkel sind, ausgebremst, oder es ist einfach die Angst, in eine bestimmte Ecke gedrängt zu werden, eben der Verschwörungstheoretiker. Und manchmal ist Recherche, insbesondere was die Vergangenheit bestimmter Politiker und Wirtschaftsführer angeht, ziemlich aufwendig.

Zur Euro-Krise gab es viele Leitartikel, Kommentare und Talk-Shows. Von einem "stillen Putsch" war da, wenn ich mich recht erinnere, keine Rede. Woran liegt das?

Jürgen Roth: Dazu gibt es zwei Ursachen. Zum einen weil das Wort Putsch oder stiller Putsch ausschließlich mit einem Militärputsch verbunden ist. Und das Wort Putsch hört und liest sich so abenteuerlich an, dass der Zusammenhang zwischen dem eindeutigen Systemwechsel in Europa, hin zur neoliberalen autoritären Staatsform, anscheinend nicht begriffen wird. Und zum anderen denken auch die Leitartikelschreiber, die Kommentatoren, ganz zu schweigen von den Talkshow-Redakteuren, ausschließlich national. Sie sehen nicht den europäischen Gesamtzusammenhang. Das ist für sie alles viel zu kompliziert.

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