Gibt Götz Werner das Grundeinkommen auf?

BGE-Demo Berlin 2010. Bild: Jörg Gastmann

Götz Werner, die Galionsfigur der BGE-Bewegung hat heimlich, still und leise Grundeinkommens-Website geschlossen

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Hätte der "Broken Link Checker" auf der Webseite "BGE Vergleich" nicht automatisch festgestellt, dass der Link auf unternimm-die-zukunft.de nicht mehr funktioniert, hätte es wohl erst einmal niemand bemerkt. Der letzte Snapshot im Web Archive stammt vom 26.11.2018 und zeigte keinerlei Ankündigung, dass die Website eingestellt werden soll.

Christian Grether, Seitenverantwortlicher laut Impressum und Mitarbeiter der Pressestelle der dm Drogeriemarktkette, erklärte mir telefonisch, dass man sich derzeit in einer Entscheidungsphase befinde, ob und wie es weiter geht.

Mal abgesehen von der Frage, warum man eine Website abgeschaltet, statt sie einfach stehen zu lassen, bis eine Entscheidung gefallen ist: Warum hat eigentlich noch niemand aus der BGE-Szene bemerkt, dass quasi ihr Flaggschiff gesunken zu sein scheint? Ist die Bewegung eingeschlafen?

Mittlerweile ist unternimmdiezukunft.de wieder online. Die Redaktion, 29.01.2019, 21:30

Vom Elfenbeinturm zur Bewegung

Beim Grundeinkommen kann es schon lange nicht mehr darum gehen, eine Diskussion anzustoßen. Die Grundidee ist ein halbes Jahrtausend alt, basierend auf dem Buch "Utopia" von Thomas Morus aus dem Jahr 1516. Götz Werner gebührt das Verdienst, die Idee in Deutschland vom akademischen Elfenbeinturm in die öffentliche Diskussion befördert zu haben.

Als Initialzündung könnte man sein Interview im Wirtschaftsmagazin "brandeins", Ausgabe 03/2005 betrachten. Darin erläuterte er sowohl die Philosophie als auch sein Modell. Was haben er und die Bewegung in den letzten 14 Jahren erreicht?

Die Petition im Jahr 2010 von Susanne Wiest beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags war für viele Anhänger der Höhepunkt der Bewegung in Deutschland. Trotz 52.973 Unterzeichnern der Petition und trotz so vieler bundesweiter Sympathisanten nahmen zur Unterstützung dieser Petition lediglich rund 2.000 Aktivisten an der Demo im Berliner Regierungsviertel teil (wo das Bild dieses Beitrags entstand), darunter auch ich mit vier weiteren Mitstreitern. Wir waren überrascht, dass so wenige Unterstützer bereit waren, bei der Demo Flagge zu zeigen.

Seitdem war der größte Erfolg der deutschen BGE-Bewegung die Teilnahme der Partei "Bündnis Grundeinkommen" an der Bundestagswahl 2017, deren einziger Programmpunkt nach wie vor ein Grundeinkommen ohne konkretes Modell ist. Das Wahlergebnis lag bei ernüchternden 0,2 Prozent, trotz der mit Abstand größten medialen Berichterstattung aller Kleinparteien, und obwohl laut Umfragen die Hälfte aller Wähler ein Grundeinkommen grundsätzlich befürwortet. Anders ausgedrückt: 99,6% aller BGE-Befürworter gaben ihre Stimme anderen oder gar keinen Parteien.

Susanne Wiest - nach Götz Werner die zweite Galionsfigur der Grundeinkommensbewegung - war bei der Bundestagswahl 2013 Spitzenkandidatin der Piratenpartei Mecklenburg Vorpommern, für 9 Monate rund um die Bundestagswahl 2017 Bundesvorsitzende der Partei "Bündnis Grundeinkommen", und trat danach zurück, um 2018 in die SPD einzutreten, wie eine Missionarin bei den Sentinelesen. Zum Rücktritt als Bundesvorsitzende erklärte sie: "Für mich hatte die Wahlteilnahme Aktionscharakter und war mit der Wahl dann auch abgeschlossen."

Nicht wenige Mitstreiter sehen das anders, sollte die Wahlteilnahme doch nur ein erster Schritt Richtung Bundestag und Gesetzgebung sein. Auf die Frage, warum sie ausgerechnet in die SPD eingetreten ist, in der das Grundeinkommen ein hoffnungsloser Fall sei, erklärte sie, das sei ja das Spannende daran. Um bei der Analogie der Sentinelesen zu bleiben, deren Immunsystem durch den Kontakt mit der modernen Zivilisation gefährdet sein könnte: Das Immunsystem der SPD gegen neue Ideen ist so stark, dass die Gefahr einer Infektion recht gering ist.

Als ich Susanne Wiest 2012 beim Casting der ZDF-Show "Ich kann Kanzler" traf, hatte sie über die Finanzierungsfrage nachgedacht.

Screenshot: zdf.de, "Ich kann Kanzler" 2012

Wie man auf dem Screenshot sieht, schlug sie unter anderem vor, zur Finanzierung des Grundeinkommens die Renten auf 1.000 Euro zu kürzen, allen Politikern, Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst 1.000 Euro vom Gehalt abzuziehen und alle Angestellten der Arbeitsagenturen zu entlassen. Da werden die restlichen Wähler und die Sentinelesen der SPD sicherlich begeistert sein. Ihren Blog "Grundeinkommen im Bundestag" stellte sie inzwischen ein.

Den größten Erfolg der Bewegung in Europa erreichte Daniel Häni in der Schweiz, wo er immerhin einen Volksentscheid bewirkte - der dann mit 77 Prozent Ablehnung an seinen unbeantworteten Gegenargumenten scheiterte, wobei für 54 Prozent der Wähler das Thema zu unwichtig war, um teilzunehmen.

2018 schrieb sich Richard David Precht das Grundeinkommen auf die Fahnen und kürte es zur Lösung des Problems von Einkommens- und Arbeitsplatzverlusten durch Automation. Abgesehen davon, dass auch er nur ein Almosen statt einer Lösung anbieten möchte/könnte, gehört er zum Lager derer, die eine Finanzierung durch eine EU-weite Finanztransaktionssteuer wollen.

Diese Steuer hat als Tobin-Steuer seit 1972 den akademischen Elfenbeinturm nicht verlassen, weil sie nur funktionieren kann, wenn sie global umgesetzt wird. Sofern die Regierungen in der EU überhaupt bereit wären, eine Tobin-Steuer einzuführen, würden alle Investmentbanken sofort nach London, New York, Shanghai, Shenzen, Hong Kong, Seoul, Tokyo, Mumbai, Zürich, Singapur etc. abwandern. An den Börsen von Frankfurt, Paris, Rom und Madrid macht der Letzte das Licht aus. Bei den Grundeinkommens-Stammtischen, -Websites und -Facebookgruppen ist es ruhig geworden. Die Luft scheint derzeit raus zu sein. Die entscheidenden Fragen sind: Warum ist das so? Was kann man dagegen tun?

Festgefahren im eigenen Modell - oder im Ungefähren

Ob Schweizer Volksabstimmung oder Bündnis Grundeinkommen, ob Götz Werner oder Daniel Häni: Sie alle haben sich festgefahren, weil sie nicht bereit für eine ergebnisoffene Diskussion über Stärken und Schwächen der Modelle sind.

Wir sprachen mit Mitgliedern und Anhängern von Piratenpartei, Linken, SPD, FDP (Liberales Bürgergeld), CDU (Althaus-Modell) und vielen anderen Parteien. Schnell zeigte sich: Fast alle sind auf das eigene Modell festgelegt. Fast niemand ist bereit, die eigene Entscheidung infrage zu stellen und den Reset-Knopf zu drücken, um gegebenenfalls neue Wege zu gehen.

2006 sandte ich Götz Werner das Buch über das von der Wirtschaft finanzierte "Steuerspar-BGE" an sein Büro in der Konzernzentrale der dm Drogeriemarktkette sowie an seinen Lehrstuhl bei seinem "Karlsruher Institut für Entrepreneurship" mit der Bitte um eine Evaluierung. Keine Reaktion. Bei der Demo 2010 begegnete ich Götz Werner am Brandenburger Tor und fragte ihn, ob er offen für andere BGE-Modelle sei. Er verwies mich an sein Büro, das dann alle Mails, Briefe und Anrufe ins Leere laufen ließ.

Ein Mitstreiter fuhr nach München zur Gründung der Partei "Bündnis Grundeinkommen", um den Gründern einen Flyer über ein alternatives Grundeinkommensmodell zu überreichen. 31 der 32 Gründer weigerten sich, einen Flyer anzunehmen, obwohl sie dessen Inhalt gar nicht kannten. Bei diversen BGE-Stammtischen und Facebookgruppen gilt vor allem das Götz-Werner-Modell als Heiligtum. Ist das Offenheit für einen konstruktiven Diskurs zur Konkretisierung der Umsetzung?

BGE unter dem Brennglas: Das "Podcast-Desaster"

Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade.

Johann Heinrich Pestalozzi

Beim Grundeinkommen gibt es verschiedene Gruppen: Vertreter des Grundsatzgedanken, Vertreter konservativer Modelle, Vertreter alternativer Modelle, Gegner, Befürworter und Neutrale.

Beim "Podcast-Desaster" kann man wie unter einem Brennglas studieren, was passiert, wenn die Vertreter dieser Gruppen aufeinandertreffen. Die Neulandrebellen (Tom Wellbrock und Roberto De Lapuente) luden zur Diskussion ein. Moderiert von Tom Wellbrock waren die weiteren Gäste Ronald Blaschke (aus dem Büro von Katja Kipping, Vertreter des BGE-Modells der Linken), Daniel Häni (Initiator des Schweizer BGE-Volksentscheids, expliziter Gegner konkreter Modelle) sowie die BGE-Gegner Jens Berger (Nachdenkseiten), Roberto De Lapuente (ebenso wie Neulandrebellen-Kollege Tom Wellbrock neutral bis kritisch, hängt vom Modell ab) und ich (als Vertreter eines alternativen Modells). Eine leidenschaftliche Diskussion war also vorprogrammiert.

Als es konkret wurde und über pro und contra einzelner Modell gesprochen werden sollte, brachen Ronald Blaschke und Daniel Häni die Diskussion ab. Aber hören Sie es sich selbst auf YouTube an. Zwischen den Minuten 46:18 - 47:12 und 57:00 - 57:11 können Sie nachhören, wie erst Ronald Blaschke und dann Daniel Häni einfach gegangen sind, als es konkret wurde. Sie wollten nicht einmal zuhören.

Als Jens Berger begann, die Finanzierung des "durchgerechneten" Modells der Linken zu kritisieren, erklärte Ronald Blaschke genervt, dass man auf der Website der Linken nachlesen könne, dass alles durchgerechnet sei und dass er keine Lust auf eine Diskussion über Modelle und Gegenargumente habe. Und Tschüs. Dass das Modell der Linken auf einer nicht mehrheitsfähigen Einkommensteuer für alle (auch für Geringverdiener) von 33 Prozent sowie hohen Energiesteuern basiert und am Ende ein Almosen herauskommt, ist typisch für die Zwickmühle der meisten Grundeinkommensmodelle: Entweder ist es so hoch, dass man davon nicht nur überleben, sondern wirklich leben und an der Gesellschaft teilhaben kann. Dann ist es unfinanzierbar. Oder es ist finanzierbar. Dann ist es ein Almosen.

Ein ganz wesentlicher Mangel fast aller Grundeinkommensmodelle ist die Resignation vor Arbeitslosigkeit, Automation, Renditedruck und Produktivitätssteigerungen. Auch darüber sollte man sprechen und sich Alternativen öffnen.

BGE-Finanzierung à la Götz Werner

Werden wir bei der Finanzierungsfrage einmal konkret. Susanne Wiest bereitete sich für ihre Diskussion mit dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags im Rahmen der Möglichkeiten des Götz-Werner-Modells gut vor und vertrat das BGE sympathisch und eloquent. "Im Rahmen der Möglichkeiten" bedeutet allerdings, dass sie ins Diffuse ausweichen musste, als es konkret und die Finanzierungsfrage gestellt wurde.

Dr. Markus Kerber von der Grundsatzabteilung des Bundesfinanzministeriums erläuterte, dass seine Abteilung einen Mehrwertsteuersatz von 130 Prozent errechnete, sofern ein Grundeinkommen von 1.500 € durch die Mehrwertsteuer finanziert werden müsste. Je höher die Mehrwertsteuer ist, desto stärker steigen die Preise, was wiederum zu einer Abwärtsspirale aus sinkenden Konsumausgaben, steigender Schwarzarbeit, steigenden Steuersätzen und Steuerausfällen führen würde (siehe unter anderem Italien und Griechenland). Nun hätte Susanne Wiest zumindest entgegnen können, dass Götz Werner 2008 auf 1.000 Euro Grundeinkommen zurückruderte, was zur Gegenfinanzierung einem Mehrwertsteuersatz von rund 100 Prozent entsprechen würde.

Beim Workshop des 3. Grundeinkommenskongresses 2008 der Humboldt Universität Berlin versuchte Werner das Argument explodierender Preise durch die Mehrwertsteuerfinanzierung zu entkräften. Von Minute 3:23 bis 6:40 ließ er seinen Mitstreiter Günter Sölken vorrechnen, wie in seinem Modell die Lohnkosten so weit sinken sollen, dass diese Kostensenkung die Nettopreise halbiert. Unter dieser Annahme würden die Preise gleich bleiben, wenn man 100 Prozent Mehrwertsteuer aufschlägt. Auch der Wikipedia-Eintrag des bedingungslosen Grundeinkommens greift diese Behauptung auf. Hier nennt man es "50 Prozent Staatsquote", die angeblich in allen Preisen enthalten sein sollen, und die entfallen würden. Wie Importgüter auf eine deutsche Staatsquote von 50 Prozent kommen, bleibt unbeantwortet.

An der Humboldt Universität Berlin rechnete Günter Sölken wie folgt: In einem Beispiel mit 3.000 Euro Bruttogehalt (das über dem mittleren deutschen Einkommen / Gehaltsmedian liegt) kalkuliert er mit 3.600 Euro Bruttolohnkosten. Davon streicht er 600 Euro Arbeitgeberanteile der Sozialversicherung, 650 Euro Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherung (also auch die Krankenversicherung) und 650 Euro Lohnsteuer (was neue Löcher in die öffentliche Haushalte reißt). Insgesamt werden also 1.900 Euro Abgaben gestrichen. Bei 3.000 Euro Bruttolohn rechnet er (bei Steuerklasse 1) mit einem Nettogehalt von 1.750 Euro. Davon zieht der Arbeitgeber 1.000 Euro ab, da der Arbeitnehmer das Grundeinkommen erhält.

Anders ausgedrückt: Das Grundeinkommen landet als Kombilohn komplett beim Arbeitgeber, der dann nur noch 750 Euro statt 3.600 Euro Lohnkosten hat. Mit Götz Werners Modell würden die Lohnkosten für den Arbeitgeber um rund 80 Prozent sinken. Deshalb sind übrigens Leiharbeitsunternehmen große Freunde des Götz-Werner-Modells. Der Niedriglohnsektor und Leiharbeit werden damit boomen. Professor Christoph Butterwegge kritisiert das als "Kombilohn für alle".

Von den 1.750 Euro muss der Arbeitnehmer noch die Krankenversicherung und Pflegeversicherung zahlen, an der sich kein Arbeitgeber mehr beteiligt, also 325 Euro. Lassen wir die Kirchensteuer außen vor, läge damit (bei heutigem Lohnniveau) das Nettogehalt für mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer bei maximal 1.425 Euro. Zieht man davon noch die Miete ab, bleibt für über die Hälfte der Arbeitnehmer ein mittlerer dreistelliger Betrag zum Leben. Für Erwerbslose bedeutet das Götz-Werner-Modell 1.000 Euro minus ca. 200 Euro Krankenversicherung minus Miete, also Armut. Unklar ist das Grundeinkommen für Kinder. Letzter mir bekannter Stand der Dinge auf der abgeschalteten Götz-Werner-Website waren 300 Euro, die das Kindergeld ersetzen.

Gegen die Preissteigerungen durch 100 Prozent Mehrwertsteuer argumentiert Dr. Christoph Strawe als Mitstreiter von Götz Werner, dass die Arbeitgeber die 80 Prozent Lohnkostenersparnis weitergeben müssten. Da zweifelhaft ist, ob die Arbeitgeber die niedrigen Lohnkosten nicht einfach (wie die gestiegenen Profite durch Produktivitätssteigerungen) in die eigene Tasche stecken, müsse es einen "Sozialpakt" geben, bei dem alle Unternehmen gezwungen werden müssten, ihre Kalkulationen offenzulegen (man stelle sich an dieser Stelle Alarmsirenen bei allen Vorständen und Geschäftsführern vor) und die Preise zu halbieren (und noch einmal Alarmsirenen).

Selbst wenn die Arbeitgeber ihre um angeblich 80 Prozent niedrigeren Lohnkosten über die Preiskalkulation weitergeben wollten, ginge die Rechnung nicht auf, denn der Anteil der Lohnkosten an den Preisen ist dazu viel zu gering. An den umsatzsteuerpflichtigen Inlandsumsätzen in Deutschland in Höhe von 7.012 Milliarden Euro haben die Bruttolohnkosten einen Anteil von 1.485 Milliarden Euro (aktuellste amtliche Zahlen des Statistischen Bundesamts von 2014). Lässt man die umsatzsteuerfreien Branchen (öffentlicher Dienst, Bildung, Soziales, Kultur, Gesundheitswesen) außen vor, liegen die Bruttolohnkosten der Wirtschaft bei 21 Prozent Anteil an den Preisen.

Wenn man 21 Prozent Lohnkosten um 80 Prozent reduzieren würde, lägen die Preise um 17 Prozent niedriger. Damit kann man keine 100 Prozent Mehrwertsteuer ausgleichen. Im Handel ist es noch extremer: Bei Aldi, Lidl und anderen Discountern liegen die Personalkosten bei 6,8 Prozent vom Umsatz, in den dm-Filialen von Götz Werner bei etwa 9 Prozent, bei Volkswagen und Daimler bei etwa 14 Prozent. Da geht die Rechnung nicht auf. Selbst bei lohnintensiven Branchen wie dem Handwerk geht die Rechnung nicht auf.

Götz Werners ungenutzte Möglichkeiten

Götz Werner ist als Gründer und Inhaber der dm-Drogeriemarktkette prominent und hat Zugang zu allen Medien. Das Manager Magazin schätzt sein Vermögen auf etwa 1,1 bis 1,2 Milliarden Euro.

Wenn er wirklich an das Grundeinkommen glaubt: Warum setzt er dann nicht seine Möglichkeiten ein? Seine dm-Anteile hat er in eine Stiftung eingebracht, über deren Zweck nichts bekannt ist. Wikipedia schreibt hierzu: "Laut Werners PR-Referent betreibt die Stiftung ... keinerlei Öffentlichkeitsarbeit. Über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus gäbe es laut PR-Referent keine Veröffentlichungen über die Projekte, die von der Stiftung unterstützt werden."

Man weiß nicht, welche liquiden Mittel die Stiftung hat, wie die Satzung formuliert ist, und ob man sie auch rückabwickeln könnte. Sollte Letzteres möglich sein, könnte er dm an die Börse bringen (bei etwa 12 Euro Stundenlohn haben die Angestellten in den Filialen dadurch nichts zu verlieren), eine Summe von etwa 2 Milliarden Euro erzielen und das Geld in eine Stiftung einbringen, die keinen anderen Zweck hätte, als dem Grundeinkommen zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Stiftung könnte die cleversten PR-Genies anheuern, die am besten vernetzten Lobbyisten auf die Regierungsparteien loslassen, psychologisch geschickte Kampagnen umsetzen und so weiter. Götz Werner könnte sich den Durchbruch des Grundeinkommens wahrscheinlich kaufen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Er muss es wollen und das System muss funktionieren.

Warum zieht er sich stattdessen zurück? Sollte es gesundheitliche Gründe geben: Warum übergibt er sein Projekt nicht an die besten Leute, die man für Geld bekommen kann? Warum ist er zu keiner ergebnisoffenen Evaluierung aller Modelle bereit, um dann das beste umzusetzen? Warum investiert jemand, der über sehr hohe finanzielle Mittel verfügt, kein Geld in ein Projekt, wenn es ihm wichtig ist? Will er in der Geschichte keine großen Spuren hinterlassen? Welche andere Erklärung gibt es, als dass er nicht an sein Projekt glaubt?

Wird die Grundeinkommensbewegung in sich gehen und ergebnisoffen darüber nachdenken, ob sie den Wählern ein problemlösendes, umsetzbares und mehrheitsfähiges Modell anbieten will?

Jörg Gastmann ist Sprecher der NGO economy4mankind.org, die das alternative Wirtschaftssystem Economic Balance System vertritt. Bereits in den 80er Jahren wunderte er sich beim Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum über die Widersprüche zwischen Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft. Disclaimer: Der Autor ist nicht Modell-neutral, denn das Steuerspar-BGE ist Teil des Unterkapitels 2.2 seines bereits 2006 erschienenen Buches "Die Geldlawine" über Arbeitsmarkt, Rentensystem, Finanzmarkt, Gesundheitssystem und öffentliche Haushalte.

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