Gibt es Rinderpest in Somalia?

Fast erfolgreiche Ausrottung einer Seuche könnte an lokaler Politik scheitern

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Rinderpest ist die gefürchtetste Seuche, an der Rinder und Büffel erkranken können. Die Sterblichkeitsrate in den Herden ist extrem hoch. Allein die Epidemie Ende des 19. Jahrhunderts tötete achtzig bis neunzig Prozent der Rinderherden Afrikas. Für nomadisierende Völker bedeutet ein Ausbrechen der Seuche den Ruin.

Der New Scientist berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, dass die Krankheit international eigentlich ausgerottet ist – nur in Somalia gibt es noch Zweifel und die Experten streiten darüber, ob jetzt alle Rinder dort geimpft werden sollen oder nicht.

Tim Leyland, Rinderpest-Experte bei der Afrikanischen Union in Nairobi meinte es nur halb scherzhaft, als er erklärte: „Sagen Sie nicht, dass es Rinderpest in Somalia gibt, sonst tauchen bewaffnete Gangs von somalischen Warlords vor Ihrer Tür auf.“ Ganz so gefährlich ist es wohl nicht, aber sollte die Rinderpest tatsächlich am Horn von Afrika wieder ausbrechen, wären die wirtschaftlichen Konsequenzen für die Region gravierend – und die Warlords sind meistens auch Halter von Herden mit tausenden Kühen.

1897 wütete die Rinderpest in Südafrika (Bild: Sammlung Onderstepoort)

Die Rinderpest stammt aus Asien, vor 3.000 Jahren wurde sie bereits in China beschrieben. Aus Asien eingeschleppt, befiel sie auch die Herden in Europa, wo ihr allein im 18. Jahrhunderts etwa 200 Millionen Rinder zum Opfer fielen. Die Italiener sollen bei ihrer Invasion Eritreas 1888 den Virus nach Ostafrika eingeschleppt haben, weil sie Ochsenkarren für ihre Transporte verwendeten. Innerhalb kurzer Zeit breitete sich die Epidemie über den ganzen afrikanischen Kontinent aus.

Der Wohlstand der lokalen Königreiche beruhte auf den großen Herden, aber jetzt starben die Tiere wie die Fliegen. Schätzungen gehen davon aus, dass innerhalb kurzer Zeit 5,5 Millionen Wiederkäuer verstarben. Hunger und Verarmung waren die Folge und die Kolonialmächte hatte leichtes Spiel, als sie Landstriche wie Tansania, Kenia oder Südwestafrika übernahmen. Wie die UNO 1992 feststellte, gehört die Rinderpest zu den Krankheiten, durch die sich die Geschichte der Menschheit veränderte. Während des Zweiten Weltkriegs experimentierten verschiedene Nationen mit dem Erreger, um biologische Waffen herzustellen (Der biologische Krieg könnte zuerst in der Landwirtschaft stattfinden).

Hochinfektiöser Morbillivirus

Erreger ist ein Morbillivirus aus der Familie der Paramyxoviridae, zu denen auch der Masern- oder der Staupevirus gehören. Die Krankheit ist hochinfektiös, der Virus hält sich auch monatelang z.B. auf Stroh, mit dem erkrankte Tiere in Berührung kamen. Im Deutsches Kolonial-Lexikon von 1920 wird der Verlauf wie folgt beschrieben:

Die Krankheit beginnt beim heftigen Verlaufe mit Fieber (die Innentemperatur steigt auf 41 und 42°C), daneben bestehen: allgemeine Mattigkeit, bei Kühen Aufhören der Milchsekretion, gesträubtes Haarkleid, Trockenheit des Flotzmaules, Störung des Appetits und des Wiederkauens, Schüttelfrost, dunkle Rötung der sichtbaren Schleimhäute (Lidbindehaut, Nasenschleimhaut, Maul-, After- und Scheidenschleimhaut) und starker Durst. Der Kotabsatz ist zuerst etwas verzögert; später wird er dünnflüssig und schließlich stellt sich Durchfall unter Entleerung sehr übelriechender, zuweilen mit Blut gemischter Massen ein. Aus den Augen, aus der Nase, aus der Scheide stellen sich serösschleimige Ausflüsse ein. Ferner besteht Speicheln. Die Tiere magern stark ab. Auf der Schleimhaut der Lippen und des Maules bilden sich rote Flecke in Form von Platten und Striemen, die sich bald mit einem grauweißen, locker aufliegenden Schorfe bedecken, nach dessen Abstoßung leichtblutende Geschwüre entstehen. Der Tod tritt meist am 4. bis 7. Tage nach dem Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen auf.

Deutsches Kolonial-Lexikon (1920), Band III, S. 175 f.

In Europa wurde die Rinderpest im 19. Jahrhundert ausgerottet, in Deutschland ist sie seit 1881 nicht mehr aufgetreten. Impfungen sind das Mittel der Wahl, um Epidemien zu verhindern. Letzte Seuchenherde gab es Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts noch in verschiedenen Gebieten der Welt (FAO ruft zur Ausrottung der Rinderpest auf). In den letzten Jahren erklärten sich dann Länder wie Pakistan, Yemen oder der Sudan, wo es die letzten Ausbrüche gegeben hatte, für definitiv rinderpestfrei (Cleaning out rinderpest's last reserves).

Das sind konkrete Erfolge des Global Rinderpest Eradication Programme (GREP) der Vereinten Nationen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die Erkrankung bis 2010 überall auf der Welt ausgemerzt zu haben. Dabei wird geimpft und dann beobachtet, denn wenn zwei Jahre lang danach in der Region kein Fall von Rinderpest auftritt und Bluttests keine Antikörper zeigen, gilt der Erreger dort als ausgerottet (Surveillance System for Rinderpest). GREP hat bislang 270 Millionen Dollar gekostet.

Somalia

Letzte Zweifel gibt es im Süden Somalias). In dem Bürgerkriegsland (Befriedung mit Killerinstinkt?) gibt es keine funktionierende Zentralregierung. Kontrolle ist unter diesen Bedingungen schwierig. In Somalia leben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung von der Rinderzucht, der Handel mit den mindestens 5,2 Millionen Tieren hat jährlich einen Wert von 4 Millionen Dollar. Am Horn von Afrika gibt es insgesamt mehr als 100 Millionen Rinder.

2002 gab es Hinweise auf erkrankte Tiere in Herden in Südwesten Somalis. Bei Blutuntersuchungen zeigten sich Antikörper gegen den Erreger bei sehr jungen, nicht geimpften Kühen. Dann brach ein Streit zwischen den Laboren aus, die die Tests durchgeführt hatten. Die einen waren sich sicher, dass es sich um „klassische Rinderpest“ handelte, die anderen diagnostizierten einen neuen, bislang nie entdeckten und sehr viel harmloseren Stamm des Erregers. Seither gab es keinen weiteren Bericht von Erkrankungen.

Dennoch diskutieren die Experten heftig, ob im Süden Somalias die Rinderpest immer noch virulent ist und ob eine Massenimpfung aller Tiere durchgeführt werden soll (Global rinderpest now reduced to one area, but risks breaking out, FAO warns).

Die Nichtregierungsorganisation Terra Nuova, unterstützt von der Europäischen Union, will die Impfung aller Rinder und vertritt die Ansicht, nur so könne sichergestellt werden, dass das Land in fünf bis sechs Jahren frei von dieser Pest sei. Andere Experten wie Tim Leyland halten das für utopisch und schon im Ansatz für gefährlich. Eine Massenimpfung sei in Somalia aus logistischen Gründen gar nicht realisierbar, so argumentieren sie, und gleichzeitig würde ein falsches Gefühl von Sicherheit unter den Rinderzüchtern entstehen, die anschließend mögliche Symptome eines Ausbruchs nicht mehr frühzeitig beobachten und melden würden. Peter Roeder, Leiter des GREP in Rom, ist tendenziell auch gegen eine neue breite Impfkampagne:

Wenn wir innehalten, beobachten und warten, werden wir sehen, ob die Krankheit in der Rinderpopulation wieder auftaucht. Wenn wir die Rinder ungeimpft lassen, gibt das der Krankheit die Möglichkeit an der Oberfläche aufzutauchen, und wenn das passiert, können wir in der Region der Infektion gezielt impfen.

Außerdem sei auch nach einer möglichst flächendeckenden Impfung weiterhin ein breites Überwachen notwendig – der Zeitpunkt würde letztlich als nur verschoben. Dafür müsste allerdings eine bessere Infrastruktur und Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen aufgebaut werden. Ein Netzwerk, das eine flächendeckende Beobachtung garantiert.

Sollte es so oder so gelingen, die Rinderpest international wirklich auszurotten, wäre das die zweite gefährliche Krankheit, die durch weltweite gemeinsame Anstrengungen besiegt wird. In der Vergangenheit ist das nur mit den Pocken gelungen.