Befriedung mit Killerinstinkt?

Ein Vergleich des Verhaltens der US-Truppen im Irak heute mit den Erfahrungen während des UN-Einsatzes in Somalia 1993 legt die Vermutung nahe, dass sich Hightech-Krieger grundsätzlich nicht für Befriedungsaktionen eignen

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Innerhalb einer Woche sind laut Agenturmeldungen im Irak 47 Soldaten der Koalitionstruppen und etwa zehn mal so viele Iraker getötet worden. Unmittelbarer Ausgangspunkt für die gegenwärtigen Wellen von Gewalt und Gegengewalt war die Ermordung amerikanischer Zivilisten und die Zurschaustellung ihrer verbrannten Leichen (Triumph der Grausamkeit). Der Vorgang erinnert stark an die Ereignisse im Oktober 1993, als ein toter US-Hubschrauberpilot in Mogadischu von lachenden Somalis durch die Straßen geschleift wurde. Es gibt mehr Parallelen zwischen dem Irak von heute und dem Somalia von damals.

Szene aus Ridley Scotts "Black Hawk Down". Bild: Columbia Pictures

Auf den ersten Blick scheinen die gegenwärtige Lage im Irak und in Somalia vor zehn Jahren wenig vergleichbar zu sein: Auf der einen Seite im Irak ein absichtlich von den USA herbeigeführter Krieg, mit dem Ziel, angeblich haufenweise versteckte Massenvernichtungswaffen zu finden und ein demokratisches System zu etablieren, das auf eine ganze Region heilsam ausstrahlen soll. Auf der anderen Seite in Somalia der Versuch der UN, einen mörderischen Bürgerkrieg und die dadurch verursachte Hungersnot notgedrungen mit einem militärischen Einsatz zu beenden, mit US-Truppen als Rückgrat. In beiden Fällen sieht es jedoch so aus, als wenn unsensibles und demütigendes Verhalten vor allem der US-Truppen der Bevölkerung gegenüber zur Eskalation mit beigetragen hätte. Rückblende.

Nach dem recht geräuschlosen Verschwinden des Ostblocks gab es eine sehr kurze Zeitspanne, in der vom baldigen Ende gewaltsamer, mit militärischen Mitteln ausgetragener Konflikte geträumt werden konnte. Das zerfallende Jugoslawien, Auseinandersetzungen in Armenien, Tschetschenien und nicht zuletzt Saddam Husseins Griff nach Kuwait beendeten den Traum jedoch recht unsanft. Somalia hatte während des Kalten Krieges marinestrategische Bedeutung infolge seiner geografischen Lage am Horn von Afrika. Mit dem Ende des Kalten Krieges wurde Somalia strategisch unbedeutend und die sowjetischen "Berater" verschwanden.

Der ausbrechende Bürgerkrieg nach dem Sturz von Siad Barre wurde von der Weltöffentlichkeit zunächst nicht beachtet. Erst nach der Wiedereroberung Kuwaits wurden Stimmen laut, wenn es denn stimme, dass Kuwait nicht nur wegen des Erdöls befreit worden sei, dann müsse der humanitären Katastrophe im wirtschaftlich belanglosen Somalia aus ethischen Motiven ebenfalls mit militärischer Macht Einhalt geboten werden. Die US-Administration folgte dieser Sichtweise, die UN konnte aktiv werden. Im Dezember 1992 landeten im Rahmen von UNITAF die US-Marines am Strand von Mogadischu. Die US-Truppen operierten jederzeit selbstständig und waren nicht dem UN-Kommando unterstellt. Der Medienrummel war beachtlich.

Der moralische Druck zur Beteiligung an der humanitären Intervention war dermaßen gewaltig, dass selbst die bis dahin stets zurückhaltende Bundesrepublik zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht nur Sanitäter, sondern ein Kontingent bewaffneter Soldaten als UN-Blauhelme in ein Krisengebiet schickte. Pioniere rückten in das Wüstennest Belet Huen ein. Der Krieg zwischen den Clans ebbte ab und die Lage beruhigte sich zusehends.

Das personifizierte Böse im Somalia

Gewisse Hoffnungen der UN ruhten nicht zuletzt auf dem mächtigsten Clanchef, Mohammed Farrah Aidid. Er hatte sich zwar schon öfters als gewaltbereit gegenüber Freund und Feind gezeigt und galt als unberechenbar, er war aber auch gebildet, sprach mehrere Sprachen. Seine vierzehn Kinder lebten in den USA. Einer seiner Söhne diente sogar bei der Marineinfanterie und war im Dezember als Mitglied der Interventionstruppen mit in seinem Heimatland gelandet. Als die Lage nach wenigen Monaten stabil erschien, zog das Gros der US-Truppen wieder ab, die international gemischte Blauhelmtruppe blieb, darunter ein großes Kontingent aus Pakistan.

Aidid baute seine Macht wieder aus und ging auf Konfrontationskurs. Am 5. Juni 1993 ermordete seine Miliz 24 pakistanische Soldaten, zerstückelte und häutete die Leichen. Jonathan Howe, altgedienter US-Admiral und in Somalia mit leitenden UN-Aufgaben betraut, war außer sich. Er setzte unter Ausnutzung alter Verbindungen schließlich durch, dass US-Spezialtruppen nach Somalia verlegt wurden, um Aidid zu fassen. Die Entscheidung fiel gegen den erklärten Willen von Pentagon und Colin Powell, damals noch Chairman Joint Chiefs of Staff.

Aidid war das personifizierte Böse geworden, das beseitigt werden musste, um Frieden zu schaffen. Am 3. Oktober versuchten die zu der Zeit dann schon sechs Wochen im Land operierenden US-Ranger und Delta Force Einheiten Vertraute von Aidid gefangen zu nehmen - und das ausgerechnet mitten in Mogadischu. Zwar wurde das Ziel erreicht, jedoch zu einem hohen Preis: fast die gesamte Stadt schien sich gegen die Amerikaner zu erheben, in Windeseile entstanden improvisierte Straßensperren und blockierten Ausfallstraßen, Tausende herbeigeeilter Milizionäre feuerten von den Dächern mit automatischen Waffen und tragbaren Raketenwerfern. Zwei Black Hawk-Hubschrauber wurden abgeschossen. Viele US-Soldaten mussten sich über Nacht verschanzen und konnten sich erst am nächsten Morgen zurückziehen, nachdem in der Nacht ein pakistanischer UN-Rettungskonvoi hektisch zusammengestellt worden war. Manche GIs mussten um ihr Leben schlicht rennen - "The Moga Mile", wie es von den Rangern mystifizierend überliefert wurde.

19 amerikanische Soldaten waren tot, ebenso wie eine sehr viel höhere, unbekannte Anzahl von Somalis (Schätzungen gehen von bis zu 1.000 Toten aus). Die Bilder der jubelnden, den toten US-Soldaten über den Boden schleifenden Somalis gingen um die Welt. Zwei Wochen später ordnete Clinton den Rückzug aus Somalia an. Damit war die UN-Mission gescheitert, ihr fehlte das militärische Rückgrat. Das Land am Horn von Afrika ist seitdem von der politischen Bildfläche verschwunden (no internationally recognized government, CIA Factbook). Die unmittelbare Lehre, die vorschnell gezogen wurde, war eine grundsätzliche Skepsis gegenüber humanitären Interventionen. Somalia erklärt, wieso ein halbes Jahr später niemand bereit war, gegen den Völkermord in Ruanda einzuschreiten.

Kollektiv aufgefrischt wurden die Erinnerung an die Kämpfe vom 3. Oktober durch Ridley Scotts Film "Black Hawk Down" (2001) (Was, zur Hölle, ist ein Antikriegsfilm?). Er basiert auf dem gleichnamigen Buch von Mark Bowden, der als Journalist die Kämpfe akribisch recherchiert hat. Im Gegensatz zum Film wird in dem Buch auch die Vorgeschichte des Einsatzes ausführlich dargestellt und kommen Somalier zu Wort, die selbst gegen die Amerikaner gekämpft hatten. Viele von ihnen hatten die Intervention der UN ursprünglich ausdrücklich begrüßt, wurden aber vom zunehmenden Besatzungscharakter der Operation abgestoßen.

Wiederholt sich die Geschichte?

Noch vor Eintreffen der Verstärkung versuchten Interventionstruppen nach dem Massaker an der pakistanischen Einheit, Aidid gefangen zu nehmen. Der entwischte immer wieder. Im Juli griffen sie das Haus eines seiner Getreuen an, in dem eine Versammlung stattfand. Beteiligte US-Hubschrauber feuerten mit TOW Panzerabwehr-Raketen in das Haus. Dutzende Anwesende starben, darunter auch Jugendliche und Kinder. Dieses Ereignis, schildert Bowden, bewirkte offenbar bei einem Großteil der Somalis ein Umdenken. Der mörderische, skrupellose Aidid wurde zunehmend als Volksheld und Freiheitskämpfer gesehen, ähnlich wie jetzt Muktada al Sadr im Irak.

Als im August die von Howe angeforderten Ranger und Delta Force Soldaten in "Moga" eintrafen, spitzte sich die Lage weiter zu. Bowden beschreibt, wie die Soldaten mit Begeisterung mit ihren Hubschraubern im Tiefflug über die vor allem aus staubigen Straßen und Lehmhütten bestehende Stadt hinwegbrausten, der aufgewirbelte Staub alles bedeckte, Bäume entwurzelt wurden und zur Freude der Soldaten einer Frau durch den Wind auch schon einmal das Gewand vom Leib gerissen wurde. Möglichst martialische Durchsuchungen waren den Elitesoldaten lieber, als das Herumsitzen in ihrer Basis am Flughafen. Als sie dann am Nachmittag des 3. Oktober von ihren Maschinen im Zentrum der Stadt abgesetzt wurden, entlud sich die aufgestaute Wut der Einheimischen schlagartig und überraschend schnell selbst organisierend.

Die Schlacht vom 3. Oktober zeigt, dass sich ein kleiner, mit weit überlegener Waffentechnik ausgestatteter Verband, gegen einen Gegner durchsetzten kann, der zahlenmäßig 40 bis 50 Mal überlegen ist. Diese Lehre wurde von Donald Rumsfeld, dem das "lean'n mean"-Denken während seiner Unternehmerzeit ans Herz gewachsen ist, offensichtlich gerne aufgegriffen und perfektioniert. Was er jedoch wohl nicht sah oder nicht sehen wollte, ist die zweite Lehre. Soldaten, die gegen einen zahlenmäßig vielfach überlegenen Gegner antreten, müssen bereit sein, auch sehr viele von diesen zu töten. Mit einer "kill rate" von nur 25%, wie sie für Infanteristen im 2. Weltkrieg typisch war, können Hightech-Kämpfer nicht überleben (die "kill rate" ist der Anteil der Soldaten einer Kampfeinheit, der im Gefecht wirklich auf einen Feind feuert). Für sie ist es nicht mehr wie für ihre Vorfahren im Zweiten Weltkrieg, als die Soldaten trotz allem doch hoffen konnten, um das Töten herum zu kommen. Vier irakische Soldaten in 20 Sekunden getötet zu haben, das ist der Schnelligkeitsrekord eines US-Marineinfanteristen währende des Irakkriegs des letzten Jahres. Die Psychologie eines Hightech-Kämpfers muss notwendiger Weise die eines Killers sein, nicht die eines Soldaten. Mit Killern kann nur leider kein besetztes Gebiet befriedet werden.

Berichte über chauvinistisches, unsensibles, arrogantes und unnötig martialisches Vorgehen der US-Streitkräfte im Irak sind in den letzten zwölf Monaten zahlreich gewesen. Das Pentagon hatte sich Mitte der 90er Jahre sehr für das interessiert, was Bowden über die Ereignisse rund um den 3. Oktober 1993 herausgefunden hatte. Er wurde mehrmals zu Vorträgen eingeladen.

Erschreckend ist jedoch, dass es nicht nur keinen detaillierten Nachkriegsplan für den Irak gab, sondern dass trotz der Erfahrungen in Somalia niemals substantielle Bestrebungen des US-Militärs unternommen wurden, spezielle Einheiten zu schaffen, die nicht für das Hightech-Killing optimiert sind, sondern für Polizei- und Befriedungseinsätze. Das rächt sich jetzt im Irak. Und diesmal ist kein schneller Rückzug möglich.