Triumph der Grausamkeit
Die Aggression gegen die US-Besatzungsmacht ist in Falludscha in einer Gewaltorgie explodiert - und wie fast immer waren die Medien dabei und liefern die Bilder
Manchmal werden Konflikte durch Bilder entschieden. Das ist vornehmlich bei den sogenannten asymmetrischen Konflikten so, in denen eine hochgerüstete und überlegene militärische Macht einem weitaus unterlegendem, dafür aber kaum fassbaren und oft grausam vorgehenden Gegner gegenübersteht - und die Medien immer dazwischen sind. Als in Somalia 1993 18 US-Soldaten im Rahmen der UN-Mission "Restore Hope" durch den Abschuss eines Hubschraubers vom Typ "Black Hawk" getötet und die Leichen von einigen von einer johlenden Menge durch den Dreck der Straßen gezerrt wurden, war damit der Schluss des Einsatzes eingeleitet. Wiederholt sich nun Ähnliches im Irak?
Gestern wurde außerhalb von Falludscha ein Fahrzeug des US-Militärs durch einen Sprengsatz an der Straße zerstört. Es kamen 5 US-Soldaten ums Leben. Damit sind im Irak bereits 600 US-Soldaten gestorben.
Viel schlimmer, weil grausamer und, wie es heute üblich zu sein scheint, durch Live-Aufnahmen dokumentiert, war jedoch ein Überfall auf einen Konvoi von Zivilfahrzeugen, die aus einem amerikanischen Militärstützpunkt kamen und ins Zentrum der Stadt fahren wollten. Zwei Fahrzeuge wurden in einer belebten Einkaufsstraße von Granaten getroffen und gingen in Flammen auf. Die Angreifer durchsiebten dann die Fahrzeuge mit Schüssen. Mindestens vier Ausländer kamen ums Leben, davon drei Amerikaner, die für die Besatzungsmacht arbeiteten. Möglicherweise aber handelte es sich auch um US-Soldaten. Von den Angreifern wurde keiner festgenommen.
Wie aus Fotos, Filmaufnahmen und Berichten von Augenzeugen zu erfahren war, tanzte eine johlende Menge in einem ekstatischen Ritual der Grausamkeit und Demütigung der Opfer um die Autos und trampelte in einer gespenstischen Szene des Triumphes auf ihnen herum. Darunter auch Kinder und Jugendliche. Die verkohlten Leichen wurden aus den Fahrzeugen gezogen und mit Schaufeln und Tritten verstümmelt. Drei der noch blutenden Körper wurden durch die Stadt geschleift, während andere auf ihn mit Stangen einschlugen. Schließlich wurden zwei der verstümmelten Körper an einer Brücke kopfüber aufgehängt und mit Steinen beworfen. Ein Mann ein Mann trug ein Schild mit einem Totenkopfsymbol und der Aufschrift "Falludscha ist der Friedhof der Amerikaner."
Die US-Regierung und das Militär versuchen, den Vorfall herunter zu spielen. Scott McClellan, der Sprecher des Weißen Hauses, versicherte, dass sich die US-Regierung nicht von ihrem Kurs abbringen lasse und dem Irak Freiheit und Demokratie bringen werde. Tatsächlich ist der Vorfall zwar eine Höhepunkt der Grausamkeit, aber keineswegs im Hinblick auf die Sicherheitslage wirklich bedeutsamer als andere Anschläge und Morde. Doch die Bilder und die auf ihnen zu sehende unverhohlene Freude und die bestialische Grausamkeit, mit der die Menge die Leichen behandelt hat, werden sich in die Köpfe der Iraker und der Besatzungssoldaten einbrennen und Schrecken, Ungläubigkeit und Wut auslösen. Aber sie werden auch der Weltöffentlichkeit noch einmal vor Augen führen, dass die Befreiung des Irak nicht auch eine Befriedung ist. Erschreckend ist nicht nur, diejenigen zu sehen, die am grausamen Ritual aktiv teilgenommen haben, sondern auch diejenigen, die unbeteiligt oder neugierig als Zuschauer dabei gewesen sind - und nicht eingegriffen haben, ob nun aus Angst, Gleichgültigkeit oder stiller Befürwortung.
Das Land ist durch jahrzehntelange Diktatur, die sich alles erlauben konnte und jeden Widerstand grausam gebrochen hat, durch zwei Kriege und durch lange Jahre der Sanktionen und der Armut gleichgültig und brutalisiert, aber auch zusammen gehalten und gebändigt worden. Ein Menschenleben ist nicht viel wert, auch nicht das der Befreier, die als Besatzer oder gar als Verlängerung der Unterdrückung angesehen werden. Es sind nicht nur Terroristen und die Anhänger der Diktatur, es sind auch die "normalen" Menschen, die die Befreiung nicht als Gewinn erleben und für sich eine gute Zukunft sehen können, die Sündenböcke benötigen, um noch etwas wie Triumph in der Unmenschlichkeit zu erleben. Eine solche Kultur, eine solche Stimmungslage, die durch Mord, Krieg, Gewalt und Verzweiflung gekennzeichnet ist und die sich ähnlich auch in Afghanistan findet, lässt sich nicht durch einen Regimewechsel schnell in eine friedliche Gesellschaft verändern, zumal wenn die Menschen weiter in Armut leben. Es wird viele Jahre brauchen, bis wirklich eine Veränderung eintritt und die Wunden verschorft sind.
Für US-Präsident Bush ist besonders die Analogie zu dem ähnlichen Vorfall in Mogadischu, der zum Wendepunkt der militärischen Mission wurde, unangenehm. Am 1. November hatte Bush in seiner wöchentlichen Rundfunkansprache die Besatzung im Irak in Verbindung mit Beirut und Mogadischu gebracht, nachdem gerade Anschläge auf vier Polizeistationen und en Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Bagdad sowie ein Anschlag mit zahlreichen Toten in Falludscha geschehen war. Vizeverteidigungsminister war gerade einem Anaschlag in Bagdad entkommen. Einen Tag später, am 2.11.2003, wurde ausgerechnet ein Transporthubschrauber in der Nähe von Falludscha abgeschossen, wobei 16 Soldaten getötet wurden.
Falludscha bzw. Bagdad, so wollte Bush sagen, werden kein Beirut oder Mogadischu werden. In beiden Fällen - 1983 starben bei einem Selbstmordanschlag in Beirut 240 US-Soldaten, 1993 in Mogadischu (nach dem ersten Anschlag auf das World Trade Center) 18 US-Soldaten - haben sich die Amerikaner unter Ronald Reagan bzw. Bill Clinton zurückgezogen. Bush sagte, dass Amerikas Feinde während der letzten Jahrzehnte glaubten, sie könnten die USA durch harte Schläge zum Rückzug zwingen:
Five years ago, one of the terrorists said that an attack could make America run in less than 24 hours. They have learned the wrong lesson. The United States will complete our work in Iraq. Leaving Iraq prematurely would only embolden the terrorists and increase the danger to America. We are determined to stay, to fight and to win.
So sicher aber ist das nicht mehr, gerade in Wahlzeiten. Zudem beginnen die Alliierten, allen voran Spanien und Polen zu wanken. Bilder, wie sie jetzt von Falludscha gekommen sind, untergraben die Bereitschaft, für "humanitäre Interventionen", für Freiheit und Demokratie Leben zu opfern, überdies in einem Krieg, der mit Lügen und ungeheurem Druck durchgesetzt und legitimiert wurde.
Inzwischen ist nicht nur Afghanistan wieder gefährdet, sondern flammen auch Unruhen in Usbekistan auf, einem US-Alliierten, der gerade das Gegenteil einer Demokratie ist, aber von der US-Regierung im klassischen Stil des Kalten Kriegs unterstützt wird, weil das Regime gegen al-Qaida vorgeht. So ähnlich hatten die USA auch al-Qaida und Taliban geschaffen. Der autoritäre Herrscher Islam Karimov ist bekannt für seine Missachtung der Menschenrechte. Sein Regime hat gnadenlos auch friedliche Muslems verfolgt. Eben ist ein Bericht von Human Rights Watch veröffentlicht worden, der darauf hinweist, dass "die usbekische Regierung Tausende von Muslimen, die in Usbekistan friedlich ihren Glauben ausüben, verhaften und foltern lässt".
Die Organisation spricht von einer "religiösen Verfolgung" und einer "gnadenlosen Kampagne gegen friedliche muslimische Andersdenkende". Gemeint ist damit die - auch in Deutschland verbotene - Organisation Hizb ut-Tahrir, die in Usbekistan und in der ganzen Region einen Gottesstaat errichten will, aber bislang angeblich friedlich war und nicht mit der militanten, angeblich mit al-Qaida verbündeten Islamistengruppe "Islamischen Bewegung Usbekistans" (IMU) zusammen hängt, die früher Terroranschläge durchgeführt hat. Möglicherweise also hat erst das brutale Vorgehen gegen Muslims jetzt zu einer neuen Gewaltwelle geführt, die (noch) nichts mit al-Qaida zu tun hat, aber die trotzdem militante islamistische und antiamerikanische Bewegungen stärkt. Der Pfad zwischen Freiheit und Unterdrückung bzw. der Stützung von autoritären Regimen ist schwierig und komplex, auf keinen Fall aber in einem Schwarz-Weiß-Denken zu führen, das die Bush-Regierung mit der Parole "Mit uns oder gegen uns" propagiert und wieder in die Tat umgesetzt hat.