Gibt es einen Zusammenhang zwischen Corona-Impfungen und der Sterblichkeit?
Seite 2: Philosophische Schlussgedanken
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Der Denkfehler, dem manche hier erliegen, ist tatsächlich so alt, dass er in der Argumentationstheorie noch einen lateinischen Namen hat: Cum hoc ergo propter hoc. Auf Deutsch: danach, also deswegen. Damit ist der uns nun schon mehrfach begegnete Punkt gemeint, dass man aus einem zeitlichen Zusammenhang nicht automatisch einen kausalen ableiten kann.
Stellen wir uns ein ganz einfaches Beispiel vor: Tante Erna trinkt am Nachmittag einen Schnaps. Eine Stunde später putzt sie ihre Fenster im dritten Stock. Leider fällt sie dabei herunter und stirbt. Hat der Schnaps jetzt ihren Tod verursacht?
Wenn wir wissen, dass Erna schon seit 20 Jahren tagtäglich einen Schnaps trinkt und diese Menge Alkohol daher kaum noch Einfluss auf sie haben dürfte, wirkt die kausale Erklärung schon weniger überzeugend. Wenn wir jetzt auch noch wissen, dass die Frau fürs Fensterputzen auf einen hölzernen Hocker stieg, um die oberen Ränder der Fenster zu putzen, und von dem Hocker ein Bein brach, sieht die plausible Kausalerklärung schon ganz anders aus.
Mit anderen Worten: Je mehr wir wissen und je mehr Faktoren wir berücksichtigen, desto besser können unsere Erklärungen sein. Die Welt ist aber oft so komplex, dass wir nicht alle Faktoren kennen, gar nicht kennen können.
Tatsächlich könnte es trotzdem sein, dass das gebrochene Holz und der Alkohol zusammen den tödlichen Unfall verursacht haben. Denn vielleicht hat das Nervengift Ernas Reaktionsvermögen zwar nur minimal, aber doch so stark eingeschränkt, dass sie die Sturzrichtung nicht mehr nach innen abwenden konnte. Und sie war ja auch nicht mehr die Jüngste.
In einem realen Fall würden wir es niemals herausfinden können: Den kaputten Hocker wird man finden. Mit der toten Tante wird man aber keine psychologischen Tests mehr durchführen können, um ihre Beeinträchtigung durch den Schnaps einschätzen zu können. Und selbst dann hätte man es auch wieder nur mit einer Wahrscheinlichkeitsaussage zu tun, denn der tatsächliche Sturz war ein einmaliges Ereignis.
Das zeigt uns etwas Beunruhigendes über unser Kausalitätsdenken: Am liebsten wollen wir die Ursache kennen. Wir wollen insbesondere wissen, ob jemand an oder mit Covid gestorben ist, um die Gefährlichkeit des Coronavirus besser einschätzen zu können.
Die Realität in den Lebenswissenschaften ist aber, dass lebende Organismen komplexe Systeme sind, die man nicht mit dem Ursache-Wirkung-Modell eines Billardtischs vergleichen kann: Dort lässt sich genau berechnen, unter welchen Bedingungen die weiße Kugel wie viel Energie auf eine farbige Kugel überträgt. Doch wir Menschen sind keine Billardkugeln.
Wissenschaftlich wird man auch hier im Endeffekt nur über höhere oder niedrigere Wahrscheinlichkeiten sprechen können. Das schließt freilich nicht aus, dass Evidenzen so gut sein können, um alternative Möglichkeiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können.
Bescheidenheit
Das sollte uns aber bescheiden stimmen: Es ist gut, dass Leute wie Christof Kuhbandner kritisch auf die Daten über Impfungen und Todesfälle schauen; es ist gut, dass die Experten das für die Unstatistik des Monats kritisch überprüfen; und es ist gut, dass Institutionen wie das Paul-Ehrlich-Institut die Daten überhaupt erst erheben.
Weder besteht aber die Notwendigkeit, noch ist es gesellschaftlich sinnvoll, hier irgendjemanden als "Querdenker" oder gar "Verschwörungstheoretiker" abzustempeln. Der Internetphilosoph Sascha Lobo will den lautstarken Kritikern der Coronamaßnahmen jetzt eine "Denkpest" diagnostizieren – während er übrigens im selben Atemzug meint, sie in keine krankhafte Ecke stellen zu wollen.
Fakt ist auch, dass die Impfungen mit leichten und in seltenen Fällen auch mit schweren Nebenwirkungen einhergehen können. Das haben wir beispielsweise mit Blick auf das Risiko einer Herzmuskelentzündung schon näher diskutiert.
Im Großen und Ganzen scheinen aber selbst die schweren, doch seltenen Nebenwirkungen der Impfstoffe weniger schwer zu wiegen als die Folgen einer Covid-Erkrankung. Ob das und die Belastung des Gesundheitssystems eine allgemeine Impfpflicht rechtfertigen, debattiert zurzeit der Bundestag. Doch ob so eine Impfpflicht kommt, ist alles andere als eindeutig.
Werte statt Fakten
Inzwischen sollte hinreichend klar sein, dass es in der Diskussion mit Kritikern der Coronamaßnahmen meist gar nicht mehr um Fakten, sondern um Werte geht, um Intuitionen, um Gefühle. Selbst wenn es wichtig bleibt, Daten und Fakten kritisch zu überprüfen, lässt sich so ein festgefahrener Dissens nicht mehr nur mit Vernunftargumenten lösen, noch weniger mit der Verwendung stigmatisierender und weiter ausgrenzender Bezeichnungen.
Dass sich bei den Impfungen nach wie vor eine deutliche Spaltung zwischen dem Nordwesten und Südosten der Republik zeigt, die zudem mit dem Wahlverhalten korreliert, sollte uns zu denken geben. Die Demokratie kann wohl eine kleine Gruppe von Impfgegnern aushalten – ist sie aber gesund, wenn bald 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler gar nicht mehr wählen gehen oder für extreme Parteien stimmen?
Die Coronapandemie hat den Druck auf uns alle erhöht. Das Virus und sein epidemiologischer Verlauf haben dazu geführt, dass der Impfstatus heute politisch geworden ist. Ein politisches Problem sollte man aber nicht medizinisch und auch nicht mit Ausgrenzung und Beleidigen lösen wollen, sondern mit alle Menschen integrierenden gesellschaftspolitischen Mitteln.
Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.