Covid-Impfung: Mediziner-Debatte über Risiko von Herzmuskelentzündung

Paul-Ehrlich-Institut trägt Verdachtsfälle von Impf-Nebenwirkungen zusammen. Dissens unter Experten bei Risikobewertung. Psychologischer Effekt bei Individualbewertung wichtig

Allein in Deutschland wurden inzwischen über 100.000.000 Impfungen gegen die Covid-19-Erkrankung durchgeführt. Genauer gesagt berichtet das unter anderem für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut 107.888.714 Impfungen bis zum 30. September 202, davon 82.341.579 mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer.

Das Paul-Ehrlich-Institut nimmt auf einer eigens dafür eingerichteten Website Verdachtsfälle von Nebenwirkungen entgegen. Diese können nicht nur von medizinischem Personal, sondern auch von Geimpften oder deren Angehörigen abgegeben werden.

Für alle Impfstoffe zusammen wurden bisher 1,6 Verdachtsfälle pro 1.000 Impfungen gemeldet, davon 0,2 schwerwiegende Reaktionen pro 1.000 Impfungen. Anders gesagt: Bei jeder fünftausendsten Impfung wurde eine schwere Nebenwirkung gemeldet.

Ob diese wirklich im Zusammenhang mit der Impfung steht, muss in wissenschaftlichen Studien untersucht werden. Denn auch ohne Impfungen treten solche Symptome oder Krankheiten auf.

Schwerpunkt Herzmuskelentzündung

In einer Meldung vom 8. Dezember berichtet nun das Herz- und Diabeteszentrum der Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum über das Risiko einer Herzmuskelentzündung für Kinder und Jugendliche nach einer Covid-Impfung. Schon seit dem Sommer wird diskutiert, ob diese Nebenwirkung insbesondere bei jungen Männern häufiger auftritt.

Medizinprofessor Klaus-Dieter Kolenda zog noch am 1. Oktober auf Telepolis ein zurückhaltendes Fazit zu Covid-Impfungen bei gesunden Kindern und Jugendlichen.

In der neuen Meldung spricht nun Professor Stephan Schubert, Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler am genannten Herz- und Diabeteszentrum, von "weniger als fünf Fällen von Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündungen bei 100.000 Impfungen von 12- bis 17-Jährigen". Dabei seien Jungen und junge Männer häufiger betroffen.

Gesunde Kinder und Jugendliche hätten durch die Impfung aber einen nahezu 100-prozentigen Schutz vor einem schweren Covid-Verlauf. Bei Vorerkrankungen müsse man Nutzen und Risiko im Einzelfall abwägen.

Laut dem Experten macht sich eine Herzmuskelentzündung durch Rhythmusstörungen oder Schmerzen in der Brust bemerkbar. Die betroffenen Kinder fühlten sich in ihrer Belastbarkeit deutlich eingeschränkt.

Der Zusammenhang mit einer Impfung lasse sich aber schwer nachweisen, da die Erkrankung auch als Folge einer Virusinfektion oder genetischer Veranlagung auftreten könne.

Kinder und Jugendliche mit dieser Erkrankung würden an einem von 29 Kinderherzzentren und Kinderkliniken in Deutschland für mindestens zwölf Monate untersucht. Stephan Schubert leitet hierfür ein Forschungsprojekt über Impfnebenwirkungen, das vom Bundesgesundheitsministerium finanziert wird. Bisher habe man Daten von über 550 Patientinnen und Patienten gesammelt.

Der Medizinprofessor zieht das Fazit, dass das Risiko für eine Herzmuskelentzündung durch eine Covid-Impfung im Vergleich zum Risiko von schweren Folgeschäden der Covid-Erkrankung "deutlich geringer" ist. Auch durch die COVID-Erkrankung selbst könne es zu dieser Erkrankung des Herzens kommen.

Das beobachte man tatsächlich zurzeit bei stationär behandelten Kindern mit Covid-19. Eine Herzmuskelentzündung lasse sich in der Regel aber gut behandeln:

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Wir wollen mit dieser Studie gerade beweisen, dass selbst wenn man diese Nebenwirkung erleben sollte, diese aber auch – laut internationalen Daten – in der großen Mehrheit der Fälle vollkommen ausheilt. Dazu muss man wissen, dass auch eine durch andere Viren verursachte Herzmuskelentzündung, je frühzeitiger sie erkannt und medizinisch versorgt wird, in aller Regel gut behandelt werden kann.

Prof. Dr. Stephan Schubert, Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler am Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen

Impfpsychologie

Aus psychologischer Sicht möchte ich ergänzen, dass Menschen die Folgen menschlichen Handelns – also auch Nebenwirkungen einer Impfung – oft als schwerwiegender bewerten als die Folgen von Naturvorgängen, also auch Gesundheitsschäden durch eine Covid-Erkrankung. Denn im ersten Fall hätte man selbst oder hätten Fachleute sich ja anders entscheiden können, während die Infektion mit dem Virus einen eher überkommt.

Zudem schätzen Menschen Impfungen unterschiedlich ein. Das hat nicht nur mit der Bildung, sondern auch mit der politischen Haltung zu tun. Da der öffentliche Druck, sich impfen zu lassen, immer weiter zunimmt, ist der Impfstatus inzwischen politisch geworden.

Erst am 4. Dezember diskutierte Telepolis-Autor und Journalismus-Dozent Sebastian Köhler in dieser Hinsicht, warum die Impfquote im neuen Bundesland Sachsen so niedrig ist.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.