Gigantisches Schwarzes Loch in unerwarteten Gefilden
Astronomen finden supermassives Schwarzes Loch in ultradichter Zwerggalaxie und vermuten, dass Schwarze Löcher im lokalen Universum weitaus häufiger vorkommen
Die aus toten massereichen Sternen geborenen Gebilde oder Phänomene, die den irreführenden Namen Schwarze Löcher tragen, zählen zu großen Geheimnissen des Universums, vor allem die größten Exemplare unter ihnen. Ein solches hat ein internationales Astronomenteam inmitten der 300 Lichtjahre großen Zwerggalaxie M60-UCD1 entdeckt. Sie fanden ein extrem massereiches Schwarzes Loch, das fünfmal schwerer ist als das im Zentrum der Milchstraße. Die Zwerggalaxie weist noch einige astronomische Besonderheiten auf. Die Zahl der supermassiven Schwarzen Löcher im lokalen Universum könnte nunmehr doppelt so hoch sein, vermuten die Forscher in der aktuellen Ausgabe des "Nature".
Schwarze Löcher sind keine Hirngespinste. Ihr indirekter Nachweis gelingt am besten, wenn Astronomen gezielt Binärsysteme observieren, weil ein stellares Schwarze Loch sich in Doppelsternsystemen mit Vorliebe als unsichtbare Begleiter eines noch leuchtenden Sternes zu erkennen gibt. Dabei zwingt es diesen auf eine Kreisbahn um sich und absorbiert sein Gas aus der Oberfläche. Dort konzentriert sich die Materie auf der Akkretionsscheibe, die das Schwarze Loch ringartig umgibt, um sich zu guter Letzt sukzessive Bahn für Bahn langsam ins Innere des Zentrums zu verlieren.
Während der Akkretion heizt sich die rotierende Scheibe und Region auf unvorstellbar hohe Temperaturen auf und gibt als letztes Lebenszeichen noch einen Röntgenstrahlungsblitz ab, bevor es für immer in ein wie auch immer geartetes dunkles Nichts fällt. Aus der Intensität dieses Blitzes und der Umlaufzeit des Begleiters können Astronomen auf die Masse des Schwarzen Loches schließen.
Supermassive Schwarze Löcher und Galaxien
Für die Entstehung und Entwicklung von Galaxien sind supermassive Schwarze Löcher von immenser Bedeutung. Sie hausen in den Zentren von Galaxien, sind dort schon sehr früh entstanden, sind hundert Millionen mal schwerer als unsere Sonne und verdanken ihre Existenz ehemaligen Sternleichen. Da Masse im Universum nicht verloren geht, hört ihre Schwerkraft niemals auf zu wirken. Als sich Galaxien bildeten, entstanden in ihren zentralen Bereichen sehr viele Sterne und aus ihnen entwickelten sich zahlreiche kleinere Schwarze Löcher.
Viele von ihnen verschmolzen miteinander und wurden dabei immer schwerer und wirkungsvoller. Mit ihrer Masse aber wuchs auch ihr Hunger auf Gas, wovon im Zentrum einer Galaxie jede Menge vorhanden war. Jahr für Jahr nahm eine solche Schwerkraftfalle mindestens die Gasmasse einer Sonne in sich auf. Das Endresultat waren Schwarze Löcher von mehreren Millionen Sonnenmassen, die sich in den Zentren nahezu jeder Galaxie breitmachten.
So verwundert es nicht, dass Astronomen heute im Universum supermassive Schwarze Löcher mit einer Million bis zu mehreren Milliarden Sonnenmassen oft antreffen. Sie finden in fast allen normalen Galaxienzentren solche Exemplare. So groß ihre Bedeutung für die Galaxienbildung in kosmischer Frühzeit auch war - wie diese sich jedoch in kosmo-archaischer Zeit dereinst dort genau formierten, ist eine der großen offenen Fragen in der Astrophysik.
Handfeste Überraschung
Seit einigen Jahren rätseln Astronomen darüber, ob auch in weitaus kleineren extragalaktischen Sternsystemen oder in den Zentren stellarer Populationen supermassive Schwarze Löcher existieren. Einer von ihnen ist Anil Seth von der Universität in Utah in Salt Lake City (USA). Er untersuchte unlängst mit einem internationalen Astronomenteam mit dem 8,1-Meter-Spiegel des Gemini-Nord-Teleskops auf dem Vulkan Mauna Kea in Hawaii (USA) eine starke Röntgenquelle.
Genau vor einem Jahr lokalisierten Seth und weitere Astronomen mit dem Hubble-Weltraumteleskop und NASA-Röntgenteleskop Chandra bereits eine sehr dichte und sternreiche Zwerggalaxie, die bis dahin dichteste und zugleich erdnächste ihrer Klasse. Aus dem Zentrum von M60-UCD1, so die Katalognummer des Systems, emittierte Röntgenstrahlung in einer Intensität, die man von einem zentralen Schwarzen Loch erwarten würde. Doch die Daten reichten nicht aus, um eine stringente, auf handfesten Indizien beruhende Theorie zu formulieren.
Im Februar und im Mai dieses Jahres jedoch wurden die Karten neu gemischt. Neben dem Gemini-Nord-Teleskop kam auch das Hubble-Weltraumfernrohr zum Einsatz. Nachdem Hubble die Region fotografierte und die Forscher das Material mit den Gemini-Daten verglichen, erlebten sie eine handfeste Überraschung.
Inmitten der von der Erde nur 54 Millionen Lichtjahre entfernten Zwerggalaxie M60-UCD1 lokalisierten sie im optischen und Infrarotlicht ein ungewöhnlich massereiches Schwarzes Loch, eines, das dort eigentlich nicht hingehört.
"Das Schwarze Loch in M60-UCD1 ist 21 Millionen Mal schwerer als unsere Sonne. Es wiegt mehr als fünfmal so viel wie das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße. Das Erstaunliche daran ist, dass unsere Milchstraße jedoch etwa 1000-mal schwerer ist als M60-UCD1. Es ist eigentlich viel zu groß für seine Wirtsgalaxie", erklärt Nadine Neumayer vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA, Co-Autorin und eine der 14 Astronomen der Studie, die das Wissenschaftsmagazin Nature (Bd. 513, Nr. 7518, S. 398-400) in seiner aktuellen Ausgabe vorstellt.
Ultradicht und weitere Superlative
Die Zwerggalaxie ist nicht irgendein Zwerg unter Zwergen, sondern eine so genannte ultradichte Zwerggalaxie. Derlei Galaxientyp haben Astronomen mit dem Akronym UCD (engl.: Ultra-Compact Dwarf) versehen.
Im Gegensatz zu den normalen Zwerggalaxien, die auffallend masseärmer und kleiner als normale Galaxien sind, ist die Sternendichte in den ultrakompakten Vertretern extrem hoch. Im Fall von M60-UCD1 drängen sich in einer Region von 300 Lichtjahren gleich 140 Millionen Sterne - 15.000-mal mehr als in der Umgebung unseres Sonnensystems.
Damit besitzt M60-UCD1 von allen seit 2003 katalogisierten ultradichten Zwerggalaxien die größte Masse und zählt zu den dichtesten Sternregionen im Universum. "Sie ist wirklich eine der dichtesten aller Galaxien. Es gibt schwerere Galaxien, auch Zwerggalaxien. Nur sind diese ausgedehnter", bestätigt der Nature-Co-Autor und Astrophysiker Matthias Frank von der Universität Heidelberg.
Zugleich ist sie die kleinste und leichteste bekannte Galaxie mit einem supermassiven Schwarzen Loch im Zentrum. "Und sie ist auch die von einem Schwarzen Loch am stärksten beherrschte Galaxie", so Anil Seth, der Hauptautor und Projektleiter der Studie.
Im Würgegriff des Schwarzes Loches
Wie sehr das riesige zentrale Schwarze Loch die Zwerggalaxie dominiert, zeigt der Vergleich mit der Milchstraße. Während das 26.000 Lichtjahre von der Erde entfernte supermassive Schwarze Loch mit vier Millionen Sonnenmassen nur 0,01 Prozent der Gesamtmasse der Galaxis ausmacht, sind es bei dem 21 Millionen Sonnenmassen schweren Zentralobjekt von M60-UCD1 gleich 15 Prozent.
Um die Masse des Schwarzes Loches in der kleinen Galaxie zu ermitteln, bestimmten die Astronomen auf Basis der Beobachtungsdaten via Computersimulation die Bewegung und die Geschwindigkeit der Sterne in der Umlaufbahn um sein Zentrum. Während sie mithilfe der scharfen Hubble-Aufnahmen den Durchmesser und die Dichte der Zwerggalaxie berechneten, konnten sie auf der Basis der Gemini-Daten die Bewegung und Geschwindigkeit der um das Schwarze Loch kreisenden Sterne messen.
Hierbei stellten sie fest, dass sich die Sterne im Zentrum deutlich schneller bewegten als von der Theorie vorausgesagt. Sie kamen auf einen Wert von 370.000 Kilometer pro Stunde, was eindeutig für das Vorhandensein eines sehr massereichen Körpers im Innern der Kleingalaxie sprach.
Dass selbst mit den besten erdgebundenen Teleskopen die Zwerggalaxie wie ein Stern aussieht, ist auf sein inaktives Schwarzes Loch zurückzuführen, das derzeit nur wenig Gas und Materie absorbiert. "Das Schwarze Loch in M60-UCD1 ist momentan nur sehr milde aktiv. Es hat nur noch wenig Gas in der Umgebung, welches es anziehen und dadurch aufheizen und zum Strahlen bringen kann", bestätigt Nadine Neumayer. In der Vergangenheit aber könnte das Schwarze Loch in M60-UCD1 durchaus mehr Materie zur Akkretion zur Verfügung gehabt und somit als heller Kern in einer größeren Galaxie gestrahlt haben, vermutet die Heidelberger Astronomin.
Dass die zwergenhafte Materie-Insel sich nur so schwer erkennen und fotografieren lässt, hängt auch mit ihrem großen Begleiter M60 zusammen. Denn die Mini-Galaxie steht trotz ihres großen Schwarzen Loches selbst im Würgegriff einer anderen Galaxie und eines noch schwereren Schwarzen Loches. Messier 60 (M60), eine 120.000 Lichtjahre und eine Billion Sonnenmassen große elliptische Galaxie, zerrt und zieht an ihr. Sie ist nur 22.000 Lichtjahre von der Zwerggalaxie entfernt. Und in ihrem Herzen pulsiert ein noch massereicheres Schwarzes Loch. Eines, das sage und schreibe die Masse von 4,5 Milliarden Sonnen hat.
Weiteres Schicksal unbekannt
Für Anil Seth und seine Kollegen ist diese räumliche Nähe kein Zufall: "Wir glauben, dass M60-UCD1 vor ungefähr zehn Milliarden Jahren eine große Galaxie mit zehn Milliarden Sterne gewesen war. Dann aber streifte sie sehr nah an dem Zentrum der größeren Galaxie M60 vorbei. Dadurch wurden alle Sterne und die Dunkle Materie am äußeren Rand der Galaxie weggerissen, die dann ein Teil von M60 wurden."
Nach Ansicht vieler Astronomen ereilte fast alle Zwerggalaxien im Universum das gleiche Schicksal. Ihre Geburt ging einher mit der Kollision einer Großgalaxie. Während sie große Teile ihrer Struktur und Materie einbüßten und die äußeren Sterne entrissen wurden, formierten sich ihre Reste zu Zwerggalaxien. Zurück blieb nur der dichte Kern der Galaxie.
Da Anil Seth und sein Team noch keine zuverlässigen Daten über die exakte Umlaufbahn der Zwerggalaxie um M60 haben, können sie über das weitere Schicksal der Zwerggalaxie nur spekulieren. "Möglicherweise wird M60-UCD1 mit dem Zentrum von M60 verschmelzen, wo ein Schwarzes Loch haust, das 1000-mal größer ist als das supermassive Loch in unserer Milchstraße."
Die aktuelle Entdeckung ist selbst für das weitere Schicksal unserer Milchstraße von Bedeutung. Nadine Neumayer vom MPIA verweist mit Blick auf die Studie auf den hellsten Kugelsternhaufen des Himmels: Omega Centauri. In seinem Zentrum vermuten Astronomen ein Schwarzes Loch mit 40.000 Sonnenmassen. "Hier liegt es nahe, dass es sich um die Kernregionen anderer Galaxien handeln könnte, die sich unsere Milchstraße im Laufe ihrer Entwicklung einverleibt hat. Der Nachweis des Schwarzen Lochs in M60-UCD1 passt genau in dieses Bild."
Anzahl der SMBHs verdoppelt sich
Wie die Nature-Autoren betonen, habe man bis jetzt nur die Spitze des kosmischen Eisberges entdeckt. Wahrscheinlich besitzen fast alle massereichen Zwerggalaxien und 50 Prozent der masseärmeren im Universum ein supermassives Schwarzes Loch. Dadurch steigert sich die Anzahl der im All vorhandenen Schwarzen Löcher signifikant, insbesondere die der großen Exemplare. "Wir schätzen grob, dass sich infolge unserer Entdeckung im lokalen Universum die Gesamtanzahl von supermassiven Schwarzen Löchern verdoppeln könnte", erläutert Matthias Frank.
Genau deshalb muss nach Meinung des Nature-Autoren und Astronomen Remco van den Bosch vom MPIA die Suche weitergehen. Weitere Daten müssen her. Dabei war van den Bosch, der die Modellierung der Sternbewegung in der Zentralregion der kompakten Zwerggalaxie M60-UCD1 vornahm, mit der die Masse des Schwarzes Loches ermittelt wurde, zu Anfang der Observation selbst noch pessimistisch. "Ich stieß zu dem Projekt letztes Jahr, weil ich nicht glauben wollte, dass diese Zwerggalaxie überhaupt ein Schwarzes Loch besitzt." Doch die Datenlage belehrte ihn schnell eines Besseren. "Es stellte sich heraus, dass ich völlig falsch lag. Diese ultradichte Zwerggalaxie hat meine Erwartungen übertroffen."
Space.com-Video (Animation)
Eine animierte Reise zu M60 und NGC4647 - und M60-UCD1
Hubble-Bild von M60 und NGC4647 und M60-UCD1 in Höchstauflösung