Gipfel der G77: Kampfansage an Westen und Industriestaaten

Kubas Präsident Díaz-Canel vor den G77. Bild: Prensa Latina

Bündnis der Entwicklungs- und Schwellenländer pochen auf stärkeren Einfluss. Eines der Mitglieder leitet die G20. Stehen wir vor einem globalen Umbruch?

Der Staatenbund G77, dem 134 Entwicklungs- und Schwellenländer angehören, hat sich bei einem Gipfeltreffen in Havanna zu einer stärkeren Zusammenarbeit verpflichtet – und unmittelbar außenpolitische Positionen westlicher Industriestaaten angegriffen.

Ziel sei es, dem Globalen Süden mehr Gewicht auf internationaler Ebene zu verleihen, vor allem also in der UNO. Die mehr als 130 Mitgliedstaaten der Gruppe, die rund 80 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, bekräftigten am Samstag in ihrer Abschlusserklärung ihre "Verpflichtung zur Stärkung der Einheit" des Zusammenschlusses, um "ihre Rolle auf der internationalen Bühne zu festigen".

Die Wirtschaftsprobleme der Entwicklungs- und Schwellenländer hätten aufgrund angesichts zahlreicher vielfältiger Krisen einen "Höhepunkt" erreicht, stellt die Abschlusserklärung fest. Ursachen dafür seien geopolitische Spannungen, steigende Inflation, Finanzkrisen, die Folgen der Corona-Pandemie sowie den Verlust der biologischen Vielfalt. In keinem dieser Fälle gebe es bislang einen Fahrplan zur Lösung der Probleme, kritisierten die Gipfelteilnehmer.

Ähnlich hatte sich unlängst Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva geäußert, der die Präsidentschaft der G-20 übernommen hat: Es gehe ihm darum, zu verhindern, dass geopolitische Fragen die Arbeit der Allianz blockieren, sagte er.

Lula betonte, dass er den Konflikt in der Ukraine nicht diskutieren werde, und versicherte, dass der russische Präsident Wladimir Putin am nächsten Gipfel des Bündnisses im November kommenden Jahres in Rio de Janeiro teilnehmen könne, ohne verhaftet zu werden – obwohl gegen ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vorliegt.

In Havanna forderte das ungleich breitere G-77-Bündnis zudem eine Reform der internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank. Die Entwicklungsländer müssten grundsätzlich stärker in internationalen Entscheidungsgremien vertreten werden.

Das in Havanna tagende Bündnis war 1964 von 77 Staaten des Globalen Südens gegründet worden. Ziel war es, die Interessen dieser Länder international besser zur Geltung zu bringen. Heute gehören der G77 betreits 134 Staaten an. Sie repräsentieren rund 80 Prozent der Weltbevölkerung.

China als Gast, Mexiko tritt wieder bei

China beteiligt sich an den Sitzungen des Bündnisses und unterzeichnet seine Erklärungen, ist aber stets nur Gastmitglied. Mexiko, das in den 90er Jahren ausgetreten war, beantragte am Samstag die Wiederaufnahme in die G77.

Kuba hat derzeit den rotierenden Vorsitz der G77 inne. An dem zweitägigen Gipfel in Havanna nahmen auch UN-Generalsekretär António Guterres sowie rund 30 Staats- und Regierungschefs teil, darunter die Staatschefs von Brasilien, Venezuela und Argentinien, Luiz Inácio Lula da Silva, Nicolás Maduro und Alberto Fernández, die Präsidenten von Angola und Mosambik, Joao Lourenco und Filipe Nyusi, sowie Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad al-Thani.

"Es ist an der Zeit, dass der Süden die Spielregeln ändert", sagte Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel vor rund einhundert Staats- und Regierungschefs im Tagungszentrum Palacio de las Convenciones in Havanna.

Die Länder des Globalen Südens stünden vor zahlreichen Herausforderungen, müssten und könnten aber bei wichtigen Themen zusammenarbeiten, so etwa bei der Entwicklung von Wissenschaft und Technologie sowie der Förderung von Innovation.

Das Abschlussdokument skizzierte das Hauptziele bis zum kommenden Gipfeltreffen des Globalen Südens im nächsten Jahr in Kampala, Uganda: Die Mitglieder der Allianz von insgesamt 134 Nationen lassen keine Zweifel daran, dass sie ihre Rolle auf globaler Ebene stärken wollen.

In diesem Zusammenhang bekräftigten die Gruppe der 77 und China in Havanna die Notwendigkeit, "koordinierte Strategien im Kampf gegen imperiale Formen der Vorherrschaft" zu entwickeln. Vor allem die Auferlegung von Gesetzen und Vorschriften mit extraterritorialer Wirkung sowie wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen müssten umgehend zurückgedrängt und beendet werden.

Front gegen Sanktionspolitik

In der Schlussfassung der 47-Punkte-Erklärung vertraten die Staaten des Globalen Südens die Auffassung, dass derartige Maßnahmen nicht nur die in der UN-Charta und im Völkerrecht verankerten Grundsätze untergraben.

Sie stellten auch ein ernsthaftes Hindernis für den Fortschritt von Wissenschaft, Technologie und Innovation sowie für die vollständige Verwirklichung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, insbesondere in den Entwicklungsländern, dar.

Zahlreiche Mitglieder aus der Karibik forderten eine verstärkte Zusammenarbeit und Finanzierung, um Fortschritte in ihren von Naturkatastrophen heimgesuchten Ländern zu ermöglichen. Die Vertreter Afrikas forderten echte Reformen, um angesichts der historischen Ungleichheit beim Zugang zu wissenschaftlichem und technologischem Wissen Chancen für den globalen Süden zu schaffen.

Auch asiatische Stimmen waren zu hören, darunter die Chinas, die sich dafür aussprachen, die Entwicklung in den Mittelpunkt der internationalen Agenda zu stellen und die Länder des Südens stärker zu vertreten.

"Kuba als Gastgeber des Treffens erhielt ebenfalls viel Unterstützung", schrieb die staatliche kubanische Agentur Prensa Latina: "Mehrere Nationen verurteilten einhellig die Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, die die Vereinigten Staaten seit mehr als 60 Jahren gegen die Insel verhängt haben, und lobten das Beispiel Kubas bei der wissenschaftlichen Entwicklung trotz dieser unilateralen Sanktionen."

Auch UN-Generalsekretär António Guterres, der bei dem Treffen anwesend war, lobte die Rolle der Insel als Gastgeber und war sich einig über die Bedeutung des Zugangs zu Wissenschaft, Technologie und Innovation für die Entwicklung der Länder des Südens.