Give Peace a Chance
Seite 2: Warum entfaltet der Ruf nach Verhandlungen keine Durchschlagskraft?
- Give Peace a Chance
- Warum entfaltet der Ruf nach Verhandlungen keine Durchschlagskraft?
- Narrativ 3
- Auf einer Seite lesen
Obwohl in Deutschland eine große Mehrheit meint, der Westen solle Friedensverhandlungen anstoßen, findet man eine proportionale Abbildung dieser Position weder in den Medien noch im Bundestag oder der Bundesregierung. Es stellt sich die Frage, warum der Ruf nach Verhandlungen so wenig Durchschlagskraft entfaltet.
Unabhängig davon, ob es um Geflüchtete, um Corona oder um den Ukraine-Krieg geht: Gerade bei schwerwiegenden Problemlagen neigen wir alle dazu, zeitnah eine Meinungsposition einzunehmen, an der wir dann beharrlich festhalten.
Politische Akteure kennen dieses Phänomen und treiben deshalb in der Frühphase jeder bedeutenden Krise enormen Aufwand, um ihre Interpretation des Geschehens in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern. Möglichst viele Menschen sollen Ereignisse so beurteilen, wie die Meinungsmacher das möchten, sollen also deren "Narrative" übernehmen.
Dass gezielte Beeinflussung insbesondere über die emotionale Schiene funktioniert, gilt sozialwissenschaftlich sowie neurowissenschaftlich als belegt. Trotzdem sind wir subjektiv davon überzeugt, uns unsere Meinung eigenständig und aufgeklärt zu bilden. Manipulierbar sind immer nur die anderen.
Russland betreibt in großem Umfang sowohl propagandistische als auch repressive Meinungsdurchsetzung. Im Folgenden soll es aber um Deutschland gehen; konkret um drei Narrative, die seit Kriegsbeginn zum Thema "Friedensverhandlungen" besonders lautstark platziert werden.
Narrativ 1
Wer für Verhandlungen mit Russland eintritt, unterstützt Putin, hat keine Empathie für die ukrainische Bevölkerung und ignoriert, mit welcher Brutalität Russland diesen Krieg führt.
Häufig wird die Forderung nach Friedensverhandlungen mit der Kapitulation der Ukraine und/oder dem sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen gleichgesetzt. Entsprechende Debatten erscheinen zur Zeit allerdings wirklichkeitsfern. Die realistischere Option ist, dass Verhandlungen parallel zu den Kämpfen (oder im besten Fall zu einem Waffenstillstand) stattfinden.
Sicher wünschen sich Millionen Ukrainer das militärische Zertrümmern aller russischen Kriegsziele. Dieser Wunsch deckt sich allerdings kaum mit den Ergebnissen, die bei kompromissoffenen Friedensverhandlungen zu erwarten wären.
Aber was ist mit den Menschen, die das Pech haben, direkt in den umkämpften Kriegszonen zu leben, und die sich vielleicht nur noch wünschen, dass das alles endlich aufhört? Nicht jede Mutter, die bei einem Raketenangriff mit ihrem Kind im Luftschutzkeller eines brennenden Wohnviertels hockt, wird der Krim-Rückeroberung höchste Priorität einräumen.
Wer sich aus deutscher Perspektive für Friedensverhandlungen zur möglichst raschen Beendigung des gegenseitigen Tötens einsetzt, hat vermutlich genau diese Hauptleidtragenden im Blick. Ausgerechnet solchen Leuten Empathielosigkeit und Ignoranz der russischen Brutalität vorzuwerfen, ist ein großes Missverständnis.
Narrativ 2
Verhandlungen sind allein Sache der direkten Kriegsparteien Ukraine und Russland.
Auch wenn die Kampfhandlungen auf ukrainischem Territorium stattfinden, sind Nato-Länder als Finanziers und Waffenlieferanten stark involviert. Die Ukraine ist in hohem Maße von externem Support abhängig.
Zudem ist insbesondere Europa über seine beispiellose Sanktionspolitik und die Energieträger-bezogenen Gegenmaßnahmen Russlands massiv von den Ereignissen betroffen. Hinzu kommt: Wer Waffen in ein Kriegsgebiet liefert, steht in besonderer Verantwortung.
Vor diesem Hintergrund erscheint es weder angemessen noch glaubwürdig, dass der Westen so auftritt, als ginge ihn das Thema "Friedensverhandlungen" nichts an.
Insbesondere die USA haben spätestens seit 2013 sowohl zum Euromaidan als auch zur anschließenden Aufrüstung und Ausbildung der ukrainischen Armee maßgeblich beigetragen. Seit der russischen Invasion nehmen sie für die militärische Verteidigung der Ukraine mehr Geld in die Hand, als alle anderen Geberländer zusammen.
Es erscheint höchst unwahrscheinlich, dass eine von den USA dominierte Nato bei der zentralen Frage "Siegfrieden oder Verhandlungsfrieden" auf jegliche Einflussnahme verzichtet.
Das gewaltige Engagement der USA legt nahe: Sollte die Biden-Administration irgendwann Friedensverhandlungen wünschen, würde dieses Thema einen ganz neuen Stellenwert bekommen. Derzeit wünscht sie dies offenbar nicht.
Im bisherigen Kriegsverlauf haben diplomatische Initiativen kaum eine Rolle gespielt. Dies hat vielleicht auch damit zu tun, dass die USA zu Kriegen im Ausland, als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, ein ganz anderes Verhältnis haben als etwa wir Deutsche.