Give Peace a Chance
Seite 3: Narrativ 3
Verhandlungen mit Russland sind sinnlos, weil Putin ein Kriegsverbrecher und Lügner ist, dem man niemals vertrauen kann, und dem jegliche Kompromissbereitschaft fehlt.
Ein beliebtes Argument lautet: Mit Hitler konnte man ja auch nicht verhandeln. Das mag stimmen, aber Hitler war ein Sonderfall. Als Fanatiker des totalen Kriegs tickte er nach dem Prinzip: Endsieg oder Kämpfen bis zum letzten Mann – und bei Niederlage Suizid. Diesen Eindruck vermittelte Putin bisher nicht. Putin und Lawrow erwähnen das Thema "Verhandlungen" auffällig oft, was angesichts des aus russischer Sicht desaströsen Kriegsverlaufs wenig überraschend ist.
Wer Putins politische Zielformulierungen über die Jahre verfolgt hat und die Ereignisse seit Kriegsbeginn beobachtet, gewinnt zunehmend den Eindruck, dass er sich mit dieser "Spezialoperation" seinen eigenen Alptraum schafft.
Der Impuls, mit dem Feind nicht verhandeln zu wollen, ist verständlich, aber geschichtsvergessen. Obwohl bei militärischen Konfrontationen größtes Misstrauen immer allgegenwärtig ist, gibt es viele Beispiele erfolgreicher Friedensverhandlungen.
Selbst der völlig verfahrene und unvorstellbar grausame 30-jährige Krieg konnte in zähen Verhandlungen beendet werden. Seitdem haben sich die damaligen Erfolgsregeln viele Male bewährt und gelten bis heute.
• In Friedensverhandlungen geht es nicht um die Frage, ob der Gegner Zugeständnisse verdient hat. Es geht darum, Leben zu retten, Zukunft zu gestalten und Sicherheit für alle Kriegsparteien herzustellen. Sobald man Wahrheits- und Schuldfragen einbezieht, wird es kein Weiterkommen geben.
In den Verhandlungen des 30-jährigen Krieges war man sogar bereit, das bis heute sprichwörtliche Prinzip "Alles vergeben und vergessen" einzuführen. Amnestien widersprachen dem Gerechtigkeitsempfinden der Verhandlungsteilnehmer, aber sie wurden als die einzige Möglichkeit für eine Übereinkunft erkannt. Kriegsfortsetzung oder Neuanfang – das waren die Alternativen.
• "Baue dem Gegner eine goldene Brücke, über die er sich zurückziehen kann." (Sun Tzu) Das ist kein billiger Kalenderspruch, sondern eine oftmals bittere Notwendigkeit, die zu den Basics jeglicher Verhandlungen gehört. Friedensverhandlungen funktionieren nur dann, wenn für jede Seite ein irgendwie akzeptabler Rückzugsweg im Angebot ist. Konkret bedeutet dies: Alle Kriegsparteien müssen zu Zugeständnissen bereit sein.
• Nicht nur die unmittelbaren Kriegsgegner, sondern auch weniger involvierte Staaten sowie internationale Organisationen gehören mit an den Verhandlungstisch – unter anderem als Vermittler. Sobald konkrete Regeln für einen Interessenausgleich gefunden sind, müssen aus diesem Umfeld heraus alle Übereinkünfte überwacht und deren Einhaltung mit überzeugenden (ggf. auch militärischen) Garantien abgesichert werden.
Darüber hinaus ist die Unterstützung des Wiederaufbaus von zentraler Bedeutung.
• Zentrale Elemente genannter Prinzipien wurden etwa beim Versailler Friedensvertrag missachtet, womit maßgebliche Weichen für den Zweiten Weltkrieg gestellt waren.
"Versöhnung nicht die Ausnahme, sondern die Regel"
Der Historiker Stephan Elbern kommt mit seinem Buch über die Geschichte der Friedensabschlüsse zu folgendem Fazit:
Die Kunst, die beiderseitigen Interessen durch Verhandlungen auszugleichen (...) ist in unserer Zeit verloren gegangen. (...) Wir sind hinter das völkerrechtliche und moralische Niveau des Alten Orients zurückgefallen.
Stephan Elbern
Dennoch zeigt die Geschichte, dass Versöhnung nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Auf Phasen erbittertster Kriege folgen Friedenszeiten – häufig einhergehend mit Phasen der Annäherung. Beispiele sind die USA und Japan nach den US-Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki; Deutschland und Frankreich nach mehreren Kriegen über mehrere Jahrhunderte; Polen und die Ukraine nach den Wolhynien-Massakern, einem Völkermord mit bis zu 100.000 polnischen Opfern.
Die entscheidende Frage ist meist nicht, ob, sondern wann das gegenseitige Töten und Zerstören endet, und wie viele Menschen bis dahin Kriegsopfer werden.