Glanz und Elend grüner Globalverantwortung
Mox-Brennelementenwerk von Hanau nach China: "Dual use" nicht nur in der Technologie, sondern auch in der Politik
Die Siemens AG plant, China das stillgelegte Mox-Brennelementenwerk in Hanau zu verkaufen. Angeblich laufen die Verkaufsverhandlungen bereits seit Februar diesen Jahres, ohne dass die rotgrüne Regierung darin einen Anlass gesehen hätte, die bundesdeutsche Öffentlichkeit zu informieren. Inzwischen ist der Deal in die breite Schusslinie einer parteiübergreifenden Kritik geraten. Denn es gehört nicht eben zum Geheimwissen von Nuklearterroristen, dass die so genannte zivile Plutoniumwirtschaft erhebliche Gefahren schafft, das Teufelszeug auch für militärische Zwecke zu verwenden. Zugleich wird der Verkauf zum Lehr- bis Schauerstück für die Frage, ob der grüne Anspruch, über nationale Interessen und eine machterhaltende Legislaturpolitik hinaus eine Politik mit höherem moralischen Anspruch zu repräsentieren, nun endgültig zur Geschichte der fundamentalistischen Frühzeit gehört.
"Es gibt manchmal die Situation, dass man bittere Entscheidungen treffen muss." Mehr fällt Fischer zu diesem Sakrileg einer grünen Politik bisher nicht ein. Doch leider könne man nichts tun. Das Außenwirtschaftsrecht verpflichte die Regierung, dem Verkauf zuzustimmen. Anderenfalls werde Recht gebeugt.
Auch für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering geht es "nur" um einen privaten Verkauf. Das erfordere besonders gute Gründe, sich dagegen zu stellen. Doch selbst diese juristische Einschätzung, hinter der sich Fischer und auch Kanzler Schröder verstecken, könnte ein allzu wohlfeiles Deckmäntelchen sein. Für den Atomexperten des Öko-Instituts in Darmstadt, Christian Küppers, ist das Proliferationsrisiko ein ausreichender Grund, dem Ausfuhrantrag das Placet zu versagen. Nach Daniel Cohn Bendit widerspricht der Verkauf dem EU-Waffenembargo für China.
Zur Defloration grüner Globalverantwortung
Selbst wenn diese juristischen Einwendungen gegen den Deal nicht ausreichen sollten: Das Bekenntnis zum Rechtsstaat, das grüne Bedenken außen vor lässt, klingt für den einstigen Straßenkämpfer Fischer nicht nur reichlich lendenlahm. Hanau wird zum ironischen Treppenwitz der Geschichte. Der hessische Umweltminister Fischer legte 1991 nach einem Störfall die Vorgängeranlage des Mox-Brennelementenwerks in Hanau still. Während der heftigen juristischen Händel über die fast fertig gestellte Nachfolgeanlage besorgte sich Siemens Wiederaufbereitungskapazitäten im Ausland und entschied schließlich 1995, das Werk nicht mehr zu nutzen.
Was Eduard Bernhard vom "Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz" (BBU) zufolge "Geschichts- und Gesichtslosigkeit" ist, ist in der Politik seit längerem als jener faulige Pragmatismus bekannt, der lieber mitmacht, als Macht verliert. Wir erleben nicht zum ersten Mal das relative Elend grüner Regierungsverantwortung, die eben nicht mehr den Luxus einer außerparlamentarischen Verantwortung genießt, sondern mit Kompromissen, politischen Opportunitäten und alltäglichen Grabenkämpfen zwischen den Parteien beschwert ist.
Spätestens seit dem Kosovo-Einsatz der Bundeswehr hat die grüne Unschuld ihre Ein- und Eigensinnigkeit verloren. Die Grünen traten weiland als neue politische Kraft an, die jene unwahrscheinliche Gratwanderung zwischen politischer Moral, fundamentalen Menschheitszielen, praktischer Politik und Machterhalt wagen wollte. Dabei verdanken die Grünen ihren politischen Erfolg nicht nur, aber doch maßgeblich ihrem entschiedenen Einsatz gegen jedweden Einsatz von Atomenergie. Der grüne Kampf gegen Atomenergie wurde zum Paradigma grüner Globalverantwortung schlechthin, der maßgeblich für den politischen Erfolg wurde.
Günther Anders sprach bereits 1959 programmatisch von einem globalen Verantwortungs-Horizont, der keine nationalen Grenzen mehr kennt. Doch die Verstrickung in den Machtkampf der durch immer neue, scheinbar kaum lösbare Probleme gebeutelten Koalitionäre hinterlässt Spuren, die jene einstigen Blütenträume einer besseren Gesellschaft nun arbeitsteilig den Protestritualen der Basis überlässt.
Kontrolle ist gut, Gefahrenvermeidung ist besser
Verkaufsbefürworter Schröder und Struck kontern die wuchernde Kritik am Verkauf der Anlage mit dem Kontrollargument. Wenn Peking die friedliche Nutzung des Brennelementewerks garantiere, hat Struck - wie übrigens auch Friedbert Pflüger von der Opposition - keine Bedenken. Jene Antiterrorkämpfer der CDU, die im Irak auf Grund nebulöser Fotos und Zeichnungen der CIA bereits die atomare Pulverisierung des Abendlandes befürchteten und aus alter transatlantischer Nibelungentreue Bushs Präventivdoktrin vorbehaltslos beipflichteten, werden jetzt auf dem anderen Auge ihres Gefahrenbewusstseins blind. Doch gerade ein Verteidigungsminister sollte empfindlicher gegenüber zukünftigen Gefahren sein, die kaum je durch völkerrechtlich mehr oder eher weniger verbindliche Erklärungen aus der Welt geräumt werden.
Dabei geht es nicht einmal um die Frage, ob verbindlichen Zusagen der derzeitigen Regierung Chinas zu trauen ist. Denn wie wollen Schröder, Struck und Fischer garantieren, dass auch morgen die friedliche Nutzung friedlich bleibt? Sicher ist der Hinweis richtig, dass China eine Atommacht ist und gegenwärtig nur das Interesse bestehen mag, das Werk zum kostengünstigen Preis von 50 Millionen Euro friedlich zu nutzen bzw. auszuschlachten. Dabei wird auch auf den Vorteil hingewiesen, dass die Kontrolle durch die "International Atomic Energy Agency" (IAEO) ein Novum in China wäre, da sich Peking bisher keinen derartigen Kontrollen gestellt habe.
Doch das Kontrollargument bleibt politische Augenwischerei, weil es einen Gefahrentatbestand zulässt, während doch auf einer ersten Stufe der Prüfung zu entscheiden wäre, ob man überhaupt solche Risiken oder auch nur deren Ausweitung zulassen will. Selbst eine internationale Kontrolle schließt diese Risiken nicht aus, wenn man wenigstens teilweise den Erfahrungen der internationalen Kontrollbehörden im Irak Glauben schenken will. Zeichnet sich der, der Gefahrenvermeidung durch Kontrolle ersetzt, nicht zudem für morgen frei, Waffenverkäufe zuzulassen? Denn wenn fremde Regierungen den Einsatz von Waffen ausschließlich zu Verteidigungszwecken versicherten, bestünden doch dem Kontrollgerede zufolge keine Bedenken gegen ihre Verbreitung.
Strucks Argument kaschiert ein Gefahrenpotenzial, das zudem vor dem Gelöbnis des globalen Antiterrorkampfs vollends unglaubwürdig wird, wenn der Einsatz von Massenvernichtungswaffen als der eigentliche Supergau der Zivilisation nach dem Ende des Kalten Kriegs beschworen wird. So aber bedeutet der Verkauf einen Sieg der politischen Verantwortungslosigkeit und realpolitischen Inkonsequenz, hier zu Lande aus der Atomenergie auszusteigen und eben diese Sicherheitsrisiken in solche Länder "auszulagern", die gestern noch beargwöhnt wurden, der kommunistischen Weltrevolution mit allen Mitteln zum Siege zu verhelfen.
Ohnehin kann sich die Politik der Bundesregierung nicht hinter dem Recht verschanzen. Denn der dauerlächelnde Staatsbesucher Schröder hätte zumindest die Möglichkeit, China zu signalisieren, dass die Regierung nicht hinter dem Verkauf der Atomanlage steht, sondern die Prioritäten eines deutsch-chinesischen Dialogs anders setzt. In der Euphorie über gute, d.h. profitable Beziehungen zu einem Staat werden eigene Prinzipien, wenn sie denn je welche gewesen sein sollten, über Bord geschüttet.
Wenn Europas Zukunft in Asien liegt, bestehen doch besonders gute Gründe, den Menschenrechtsstandard des Westens einzufordern, so sehr dessen Praxis seit "Nine/Eleven" auch gelitten hat. Gegenüber China, der vorgeblichen Wirtschaftsmacht und dem Markt der Zukunft, kann der schlappe deutsch-chinesische Rechtsstaatsdialog jedenfalls nicht die permanente Vorwandveranstaltung der deutschen Politik und Wirtschaft bleiben, ihre Verträge unter Dach und Fach zu bringen.
Fazit: Die alten Siege Fischers über die Atomindustrie sind Schnee von gestern. Offensichtlich gibt es also nicht nur in der Kernenergie, sondern auch in der Politik einen "dual use" der Verantwortung, der Motiven politischer und ökonomischer Opportunität folgt. Dieser "dual use" politischer Moral ist aber nicht weniger gefährlich als die Missbrauchsgefahr ziviler Technologie selbst, ebnet er doch letzterer den Weg.