Glückliches Ende des Duells in Santo Domingo

Der Konflikt zwischen Kolumbien und Ecuador wurde am Freitag in der Dominikanischen Republik überraschend beigelegt

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Nach schweren gegenseitigen Vorwürfen begruben Kolumbien und Ecuador am Freitag in Santo Domingo auf dem Gipfel der Rio-Gruppe überraschend das Kriegsbeil – zumindest vorerst. Die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Kolumbien wird von Ecuador und Venezuela jedoch nicht sofort vollzogen. Zu tief sitzt das Misstrauen gegen Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe Vélez. Während Hugo Chávez den Gipfel als „gottgesandt“ bezeichnete, forderte Ecuadors Präsident Rafael Correa aus dem Erfolg heraus die Gründung einer Organisation lateinamerikanischer Staaten ohne die Mitgliedschaft Washingtons. Doch erst in den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob der Burgfrieden standhält oder nur die Euphorie des Moments dominiert hat.

“Der Gipfel war von Gott gesandt”, erklärte ein erleuchteter Hugo Chávez nach dem Ende des 20. Treffens der Rio-Gruppe, die sich am letzten Freitag in der Dominikanischen Republik zusammenfand, und das - zumindest vorläufige - Ende der sieben Tage währenden Grenzkrise zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela besiegelte (Kolumbien riskiert den Krieg).

Seit dem Ausbruch der schwersten Krise der letzten Jahre in Südamerika, die durch eine Offensive kolumbianischer Truppen auf ecuadorianischem Territorium gegen die FARC-Guerilla am 29. Februar ausgelöst wurde, saßen sich die Staatschefs in Santo Domingo erstmals persönlich gegenüber. Und diese wetzten zunächst ihre Messer. Ecuadors Präsident Rafael Correa lancierte Attacken gegen Kolumbiens Staatschef Álvaro Uribe wegen des widerrechtlichen Einmarsches der kolumbianischen Armee und bezichtigte diesen wiederholt als Lügner und Zyniker. Uribe warf dagegen seinem Nachbarn vor, die FARC-Guerilla zu unterstützen und in „kommunistische Nostalgie“ zu verfallen. Doch wenig später wendete sich das Blatt.

Boliviens Präsident Evo Morales griff vermittelnd ein, warnte vor einem Schaden der lateinamerikanischen Integration und rief die Konfliktparteien zu einer Dialoglösung auf. Das Eis brach Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner, die erklärte, dass eigentlich den Frauen der Ruf anhinge, manchmal die Raison zu verlieren und in Hysterie auszubrechen, aber sie hier eines Besseren belehrt werde. Eine Lachsalve erfasste den Konferenzsaal und die Stimmung schlug um. Uribe begann, sich mehrfach bei Correa zu entschuldigen, und dieser ließ durchblicken, dass er diese annehmen könne, wenn sich Kolumbien verpflichte, nie wieder ecuadorianisches Territorium zu verletzen und diesem die vermeintlichen Beweise für FARC-Verbindungen seiner Regierung offenzulegen . Chávez stimmte ein: „Hören wir auf damit“.

Was folgte, könnte kein Drehbuch lateinamerikanischer Telenovelas besser vorschreiben. Der Präsident der Dominikanischen Republik Leonel Fernandez, der den Gipfel leitete, forderte augenzwinkernd die Kontrahenten auf, sich zu umarmen und der Krise zwischen den Bruderstaaten ein Ende zu setzen. Nach kurzem Zögern bahnte sich Uribe unter stehenden Ovationen einen Weg auf die andere Seite des Saals und reichte dem weiterhin verbitterten Correa die Hand. Danach folgte Chávez und der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega, der prompt ankündigte, die kürzliche Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien rückgängig zu machen.

Correa: Lateinamerika braucht eine eigene Organisation ohne Washington

Millionen Menschen auf dem Kontinent verfolgten das Duell in Santo Domingo live im Fernsehen und wurden Zeugen eines historischen Gipfels, der wegweisend sein könnte für die Zukunft des Kontinents. „Was Lateinamerika braucht, ist eine Organisation ohne die Präsenz der USA“, erklärte Correa nach dem Gipfel und versetzte damit der bisher existierenden Organisation Amerikanischer Staaten OAS einen Seitenhieb. Correa wiess darauf hin, dass ihm mehrere Staatschef mitteilten, dass sie von Washington die Tage zuvor unter Druck gesetzt wurden, sich von dem Thema fernzuhalten, was für ihn eine Blockadehaltung zur Lösung der Krise bedeutete.

Während die bis dato relativ bedeutungslose Rio-Gruppe den Konflikt in Windeseile ohne US-Diplomaten beilegen konnte, zeugte eine Dringlichkeitssitzung der OAS Mitte vergangener Woche in Washington von der Trägheit der Institution, die sich erst nach 14-stündigen Beratungen auf einen halbherzigen Fahrplan zur Beilegung der Krise einigen konnte. Darin wurde zwar das Grundprinzip der Unantastbarkeit jedes Staates gegenüber Grenzverletzungen durch andere Staaten hervorgehoben, jedoch die kolumbianische Offensive in Ecuador nicht explizit verurteilt. Außerdem einigte sich die OAS nur auf eine Beobachterkommission, welche in den kommenden Tagen die Situation an der kolumbianisch-ecuadorianischen Grenze erfassen soll, statt einer Prüfungskommission zur Untersuchung der Armeeattacke.

Für Ecuador war dies zu wenig. „Lateinamerika beginnt eine neue Ära, in der die Prinzipien, Gerechtigkeit und internationales Recht an erster Stelle stehen. Und nicht die Macht.“, so Correa in Bezug auf den Gipfelerfolg von Santo Domingo, der laut Correa durch die Abwesenheit der USA möglich war.

Probleme aufgeschoben statt aufgehoben

Dass die Probleme jetzt allerdings vom Tisch sind, bestritt Correa. Um die diplomatischen Beziehungen mit Kolumbien wieder aufzunehmen, sei die Zeit noch nicht reif, betonte er, der jedoch die Beziehungen „zum Wohle beider Völker“ beizubehalten gedenkt. Aber das Vertrauen in den kolumbianischen Präsidenten Uribe Vélez sei nur schwer wiederzuerlangen, nachdem dieser ihm Allianzen mit den FARC angelastet habe.

Uribe warf seinem ecuadorianischen Kollegen vor, finanzielle Unterstützung im Wahlkampf erhalten zu haben und dass dessen Innen- und Sicherheitsminister Gustavo Larrea direkte Kontakte zur FARC mit dem Ziel gehabt habe, die Rebellen politisch anzuerkennen. Quito bestätigte zwar Kontakte, die allerdings darauf abzielten, die FARC zur Freilassung Entführter zu bewegen und deren Übergabe zu koordinieren. Correa wolle nun zunächst mit Venezuela, das ebenfalls aus Bogotá vorgeworfen wurde, die FARC mit 300 Millionen US-Dollar unterstützt zu haben, einen Zeitplan ausarbeiten, um die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien wieder langsam zu normalisieren.

Was von dem Gipfel bleibt, sind Kompromisse, die aber längst nicht die Differenzen zwischen den Konfliktparteien begraben. Uribe verpflichtete sich zu einer klaren Entschuldigung gegenüber Ecuador, und schlug dem Nachbarland vor, neue bilaterale Abkommen auszuhandeln, um dem Guerillaproblem und dem Drogenhandel in der Grenzregion entgegenzutreten.

Correa warf dahingehend die Idee ein, „multinationale Kräfte“ zu formieren, die in der Grenzregion den Konflikt eindämmen sollen. Was Uribe sicherlich gefallen könnte: Vor Jahren schon schlug dieser der UNO einen Einsatz in Form von kolumbianischen Soldaten mit Blauhelmen im eigenen Land vor, um letztlich den internen Konflikt als internationales und militärisches Problem zu verkaufen. Auf eine Internationalisierung des FARC-Themas setzte die Diplomatie Bogotás in den letzten Tagen verstärkt. Neben Anschuldigungen zum Bau schmutziger Bomben durch die Guerilla plante Uribe, den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez wegen der angeblichen finanziellen Unterstützung der FARC vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu schleifen, obwohl dies von Beobachtern als aussichtslos eingestuft wurde. Zumal ausgerechnet Kolumbien, welches das Rom-Statut 2002 unterschrieben hatte, sich bis 2009 Immunität vor dem Gericht in Fällen von Klagen wegen eigener Kriegsverbrechen sicherte. Gegenüber Hugo Chávez lenkte Uribe nun ein, worauf der venezolanische Präsident dagegen sein Säbelrasseln einstellen will, was als Zeichen zum Abzug mehrerer aufmarschierter Armeebataillone an der gemeinsamen Grenze gelesen wird. Gemeinsam mit Nicaragua, das sich dem diplomatischen Boykott gegenüber Kolumbien angeschlossen hatte, will Bogotá zudem die Gerichtsentscheidung Den Haags über eine umstrittene Grenzziehung in der Karibik abwarten, um die bisherigen Spannungen darüber abzubauen.

Doch all das schließt nicht zukünftige Konflikte aus, nachdem diese Tage tiefstes Misstrauen gesät wurde. Während Kolumbien der engste Verbündete Washingtons in der Region ist und auf millionenschwere Militärhilfe zählen kann, beschreiten die anderen Länder einen emanzipierten Weg, den Bogotá nicht betreten will. Der sichtbarste Scheidepunkt ist der Umgang mit den FARC-Rebellen: Während Washington und Bogotá diese als Terroristen einstufen, bezeichnen Venezuela, Nicaragua und Ecuador die Guerilla als Aufständische. Zwar akzeptierte Uribe erstmals die Haltung seiner Nachbarn darüber, wolle selbst aber an dem Begriff „Terroristen“ festhalten. Der Umgang aller mit den FARC, die gezeigt haben, dass sie sich nicht mehr nur auf kolumbianisches Territorium begrenzen, wird auch zukünftig die Beziehungen zwischen Kolumbien und seinen Nachbarn bestimmen.

FARC in der Krise?

Für die FARC, die bis zu 17.000 Kämpfer unterhält, geht die letzte Woche als die schwärzeste in ihrer Geschichte seit der Gründung von 1964 ein. Innerhalb von sechs Tagen verlor die Guerilla zwei Mitglieder des neunköpfigen Sekretariats. Deren internationaler Sprecher Raúl Reyes wurde auf ecuadorianischem Territorium von der kolumbianischen Armee erschossen, und am letzten Freitag wurde der Tod von Rebellenführer Ivan Rios bekannt, der in Zentralkolumbien laut Armeeangaben von seinen eigenen Leuten umgebracht wurde. Demnach töteten eine Handvoll meuternder Rebellen den Kommandanten, um sich so einer tagelangen Militäroffensive entziehen zu können. Der Armee übergaben diese die rechte Hand von Rios, um dessen Tod nachzuweisen. Eine definitive Bestätigung blieb darüber bisher jedoch aus.

Unterdessen veröffentlichten kolumbianische Medien am Freitag ein Video eines vermummten Abtrünnigen der FARC, der sich wie andere Rebellen zum Ziel gesetzt haben soll, die Guerillachefs zu beseitigen. Ob wahr oder nicht: Die FARC sind einem bisher nicht gekannten Druck ausgesetzt, von dem niemand weiß, in welcher Weise dieser die Richtung der Guerilla beeinflussen wird. Während einige Beobachter vermuten, dass die militärische Linie an Einfluss innerhalb der Guerilla gewinnen könnte, was sich in vermehrten Anschlägen äussern würde, gehen andere Meinungen davon aus, dass die Rebellen auf Grund der Verluste eher bereit sind, Gespräche mit der Regierung in Kauf zu nehmen. Das Problem: „Uribe wird über wenig anderes reden wollen, als über die Kapitulation der FARC“, glauben Analysten der kolumbianischen Zeitschrift Semana, von der die FARC militärisch allerdings noch weit entfernt seien.

Der Rettungsanker für die angeschlagenen FARC könnte ausgerechnet wieder aus Caracas kommen. Hugo Chávez erklärte am Wochenende, dass er Lebenszeichen und Nachrichten auf Video von zehn Entführten in der Gewalt der FARC in seinem Besitz habe, was als Wink des Präsidenten nach Bogotá gilt, ihn wieder als Vermittler einzusetzen. Chávez wurde von Uribe im Herbst letzten Jahres die Rolle des Friedensstifters im Konflikt mit den FARC überreicht und im Handumdrehen wieder abgenommen, nachdem dieser inoffiziell von Bogotá unerwünschte Kontakte zum kolumbianischen Heereschef aufnahm. Die Folge waren extrem angespannte Beziehungen zwischen beiden Ländern, die zweifelsohne zur Krise der letzten Wochen beitrugen.

Wenn Uribe an besseren Beziehungen zu Venezuela gelegen ist, kann er Chávez nicht weiter als Vermittler links liegen lassen. Denn dieser hat trotz aller Polemik gezeigt, dass er Einfluss auf die FARC hat. Diese ließ dank der Bemühungen aus Caracas sechs Geiseln in den letzten Wochen frei.