Glyphosat schwächt Bienen und Hummeln – EU lässt Imker im Stich

Seite 2: Glyphosat ist nur die Spitze des Eisbergs

Am 15. Dezember nun läuft die bisherige Zulassung für Glyphosat in der EU aus. Doch aller Voraussicht nach darf der umstrittene Unkrautvernichter wieder ein Jahr länger genutzt werden. Man benötige mehr Zeit für die Bewertung zur Neuzulassung des Wirkstoffs, teilte die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bereits im Mai mit. Die Stellungnahme zur Neuzulassung werde auf Juli 2023 verschoben.

Ab 2024 soll der Einsatz von Glyphosat also endgültig verboten werden. Laut BMEL ist der Ausstiegstermin sogar in der aktuell geltenden Pflanzenschutzanwendungsverordnung verankert. Durch Verzögerung sei auch damit zu rechnen, dass sich die laufende Genehmigung verlängert, ungeachtet aller Nachweise der erbgutschädigenden und krebserregenden Wirkung des Herbizids, warnt das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN).

Jedes dritte derzeit in der EU zugelassene Pestizid wird im Wege der Verlängerung zugelassen - ohne eine erneute und endgültige Risikobewertung durch die Behörden. Oft werden sie über Jahre hinweg verlängert, ohne dass die EFSA eine neue Sicherheitsbewertung vornimmt, kritisiert die Verbraucherorganisation Foodwatch.

Alle Pestizide, deren Zulassungen ohne erneute Risikobewertung verlängert wurden, sollen zurückgezogen werden, fordert Lars Neumeister von Foodwatch International. Das gesamte Pestizid-Zulassungssystem habe so viele Schwachstellen, dass eine Reform dringend nötig sei. Ein Beispiel ist das weitverbreitete Herbizid Flufenacet, dessen Metaboliten das Grundwasser verseuchen und dessen Zulassung längst ausgelaufen war.

Auch die Zulassung für das neurotoxische Deltamethrin wurde seit 2013 immer wieder verlängert und das, obwohl das Insektizid von der gefährlichen Wirkung als sogenannter Substitutionskandidat mit verkürzter Zulassungsdauer eingestuft wurde. Damit die EU-Behörden die Risikobewertung rechtzeitig durchführen können, sollen die Pestizidhersteller Zulassungsgebühren zahlen, erklärt Foodwatch.

Aktuelle Verlängerungszeiträume müssten bei Neuzulassungen entsprechend abgezogen werden. Darüber hinaus sollten alle Pestizide, die von der EFSA nicht nach den in der Verordnung 1107/2009/EG festgelegten Risikobewertungsregeln bewertet wurden, sofort vom Markt genommen werden.

Unter dem Druck der Bauern wird das Pestizidverbot aufgeweicht

Die "Farm to Fork"-Strategie der EU sieht vor, bis 2030 den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln schrittweise zu halbieren. So sollen deutsche Bauern den Einsatz von Ackergiften um 55 Prozent verringern. Pestizide in Landschaftsschutzgebieten sollen komplett gestrichen werden.

Seit Monaten hagelt es Kritik an dem Konzept, vor allem von betroffenen Landwirten. Besorgte Bauern behaupten, unter einem Verbot chemischer Pflanzenschutzmittel leide die Artenvielfalt, insbesondere im Obstbau. Zudem könnten die neuen Regeln eine Verengung der Fruchtfolge auf hackbare Kulturen wie etwa Mais nach sich ziehen. Andere befürchten eine "Zwangsökologisierung" sowie ausbrechende Hungersnöte.

Offenbar knickt die EU-Kommission nun ein und verspricht "nachzubessern". Zumindest steht das Komplettverbot von Pflanzenschutzmitteln in "sensiblen Gebieten" zur Disposition. Anstelle eines Totalverbotes will sie nun Mittel mit "niedrigem Risiko"erlauben.

Auch für den Bio-Anbau sollen Vorgaben in sensiblen Gebiete gelten, allerdings nicht für Notfallzulassungen. Ausnahmen will die EU-Kommission erlauben, etwa um invasive Arten und Quarantäne-Schädlinge zu bekämpfen. Um Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz zu fördern, werden explizit biologische Präparate erlaubt.

Das Diskussionspapier sei bisher offiziell nur dem EU-Rat zugestellt worden, kritisiert Martin Häusling. Das sei irritierend und inakzeptabel, weil es eine inoffizielle parallele Verhandlungsebene sei, so der agrarpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament. Die EU-Kommission komme den Kritikern im EU-Rat mit den Mitgliedsstaaten derart entgegen, dass kaum noch ambitionierte Ziele für Pflanzenschutzmittel in sensiblen Gebieten übrigblieben.

Strategien auf dem Weg zu einer pestizidfreien Landwirtschaft

Es sei "grundsätzlich ungünstig", wenn eine grüne Regierung gegenüber den Landwirten, die auf sie Druck ausüben, den Entwurf in Brüssel verwässert, kritisiert Katrin Wenz, Agrarpolitikreferentin des Bunds für Umwelt- und Naturschutz gegenüber der taz.

Jährlich werden in der EU rund 350.000 Tonnen Pestizide eingesetzt. Rückstände finden sich in Böden, Wasser und Lebensmitteln sowie im menschlichen Körper. Die Chemikalien fördern den Artenschwund bei Pflanzen und Tieren. Einschränkungen für den Chemieeinsatz in den Landschaftsschutzgebieten seien dringend nötig, erklärte Verena Riedl, Referentin des Naturschutzbunds zum Thema Pestizide – auch wenn Verbote in stärker geschützten Zonen wie Naturschutzgebieten Priorität hätten.

Die EU muss endlich eine kohärente und wirksame Ausstiegsstrategie für Pestizide liefern. Als Steilvorlage liefert Foodwatch in einem im Juni veröffentlichten Report ein konkretes Konzept für den Anbau von Getreide, Mais, Raps, Zuckerrüben, Kartoffeln sowie Gemüse und Früchte mit stufenweiser Reduzierung der Pestizide innerhalb der nächsten zwölf Jahre.

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