Götter, Gräber und Begehrte

Seite 2: Der Aggregatzustand der "Totalen Religion"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Harter Schnitt zum dritten Anfang: Im Irak der Gegenwart zerstört die ISIS irgendwelche Statuen bei Ninive. Zwei Amis, einer davon Cruise, der hier Nick heißt, und sein "bester Freund des Helden" behaupten: "Wir sind keine Plünderer, wir sind die Bewahrer archäologischer Schätze." Dann geraten sie in ein Gefecht und fordern Drohnen an, und man bekommt gar nicht mal nebenbei offene Propaganda zu sehen: Luftschläge der Amis sind gut.

Sie treffen zielgenau, aber sie treffen keine Zivilisten (die haben nämlich die IS-Milizen schon ausradiert), und sie sind noch für etwas anders gut: Im metertiefen Bombenkrater kommt nämlich ein "Haram" zum Vorschein, laut Nicks Übersetzung heißt das "verbotenes Wissen", also ein Schatz. Es ist, wir wissen das schon, Nick wird es bald merken, das Grab der sogar aus der Überlieferung getilgten verrufenen Prinzessin.

Bild: © Universal Pictures

Um das alles etwas abzukürzen: Der unbedarfte Nick macht eher aus Dummheit als aus Absicht die Mumie wieder lebendig. Sie nennt ihn fortan "mein Auserwählter" oder "mein Begehrter" und will ihn, bzw. seinen Körper, als Hohlladung für die Vereinigung mit dem Totengott. "Der Tag des Erwachens steht nun bevor. Du musst zu Seth werden." Dafür ist aber auch noch das rote Steinchen aus dem Kreuzrittergrab vonnöten.

So führt die Flugreise des nur scheinbar wohlverstauten Sarkophags nach London. Dort sorgen Krähen im Begleitflug für einen Absturz, den nur Nicks Begleiterin, die Top-Archäologin Jenny Halsey (Annabelle Wallis), überlebt. Will sagen: Nick ist jetzt tot, was aber an seinem Zustand, von merkwürdigen Halluzinationen und großem Durst auf Alkohol abgesehen, nichts ändert. Vorerst. Ahmanet wird dagegen mit jedem Menschen, den sie beißt und aussaugt, lebendiger.

Was als Archäologen-Abenteuer-Schinken à la "Romancing the Stone" und vor allem "Indiana Jones..." begonnen hat, hat sich also in einen Hybrid mit Horror-Elementen verwandelt: bisserl Vampir-Movie, dann aber auch Zombie-Film, denn dauernd kommen von irgendwoher Mumien, und das nervt auf Dauer. Ahmanet, die zuerst wie eine Art schlabbriges Pyramiden-Alien aussah (das lag wohl am Quecksilber) gewinnt an Fleisch, Wasseranteil und Körperformen.

Mit jeder Phase der Entmumifizierung legt sich eine weitere der um ihren Körper gewickelten Mullbinden ab und sie sieht deswegen bald schon fast so aus wie eine leichtbekleidete algerische Tänzerin. Das muss der Aggregatzustand der "Totalen Religion" sein.

Irgendwann befindet sie sich dann in Ketten im Labor des Dr.Jekyll, der offenbar mit dem israelischen Geheimdienst zusammenarbeitet und immer dann an einen Mad Scientist erinnert, wenn er sich seine Medikamente nicht rechtzeitig in die linke Hand spritzt, die ansonsten wie bei Dr. Strangelove unter einem engsitzenden schwarzen Lederhandschuh verborgen ist. Jekyll redet ein wenig über das Böse - "Das Böse schläft nie" -, und was man mit ihm machen müsse: "Erkennen, Isolieren, Vernichten."

Auch dort gelingt es Ahmanet, wieder auszureißen, der Showdown findet im Kreuzrittergrab unter den Straßen von London statt: Ahmanet, die durchaus über ihre Überredungsmittel verfügt, will Sex mit Tom Cruise, der weiß nicht, was er will, aber Jenny will ihn. Einmal mehr also kämpfen zwei Frauen um Tom Cruise und ganz London wird dabei zerstört. Von Theresa May hört man nichts.

Götter, Gräber und Versehrte

Wie in "Vanilla Sky" mischt "Die Mumie" alles wild durcheinander, zitiert Motive der Schwarzen Romantik - "Dr. Jekyll & Mr. Hyde", "Die Schöne und das Biest" und wie in "Vanilla Sky" suggeriert auch "Die Mumie" die Lesart, dass die Tom Cruise Figur eigentlich ein auf die Welt gekommener Gott sein könnte. Wenn aber Cruise Gott ist und ein Monster, dann lautet der logische Schluß: Gott ist ein Monster.

Bild: © Universal Pictures

Schwierigkeiten macht den Amerikanern hinter der Kamera wie auf der Leinwand aber genau diese Einsicht und ihr eigenes notorisches spirituelles Defizit: Wie soll einer, der ohne Götter lebt, plötzlich die altägyptischen Totengötter und ihre Flüche ernst nehmen?

Während die blaublütige Ägypterin für das steht, was Jan Assman "die puritanische Verschärfung" nennt, repräsentiert Tom Cruises Nick nur die Naivität des "War on Terror" und der US-Politik gegenüber orientalischen Despotien und religiöser Gewalt: "Er hat seine Erfüllung gefunden, aber um einen hohen Preis: Er ist zum Monster geworden."

Weder der Schundcharakter des Plots noch seine Esoterik werden richtig ernstgenommen. Vergleichen wir das alles mal mit "Indiana Jones": Spielberg hat bei "Indiana Jones" noch ordentlich zitiert, hier wird eher die alte Kiste auf dem Dachboden ausgeräumt. 32 Darsteller für die "Undead", so verrät der Abspann, wurden gebraucht für dieses Prequel dessen Kinder eventuell nie das Licht der Welt erblicken werden.

In doppelter Weise ist "Die Mumie" Post-Cinema - schwer zusammenfügbare Einzelteile sollen für ein maximales Kassenergebnis sorgen - und ein Beweis für die existentielle Krise der Filmindustrie: Die guten Autoren schreiben heute Serien. Die guten Visual Designer machen Video Games. Der Rest macht Filme wie diesen.

Literaturtipp:

Jan Assmann: Totale Religion - Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung. Picus Verlag, Wien 2016