Goldgrube: Freie Schulen in Schweden

Seite 2: Wie funktioniert der Schulträger-Markt und was ist das Problem?

Wie können Gewinne entstehen, wenn doch dieselben Aufgaben wie an den kommunalen Schulen erfüllt werden müssen?

Das haben Anne-Marie Pålsson und Per Samuelsson in ihrer Untersuchung für den schwedischen Lehrerverband aufgezeigt. Denn die Vorgabe, dass alle Schulen allen Schülern offenstehen müssen, führt in der Praxis trotzdem nicht dazu, dass in allen Schulen auch die gleiche Zusammensetzung an Schülern herrscht.

Ihr Erklärungsmodell basiert auf folgender Annahme: Leistungsstarke, vergleichsweise unproblematische Schüler erreichen das Lernziel auch in größeren Klassen und benötigen keine zusätzliche Unterstützung. Sie sind damit "billiger" als solche, die aufgrund ihrer Probleme mehr Ressourcen in der Schule binden.

Das Geld pro Schüler bemisst sich an einem Durchschnittswert. Je weniger anstrengende Schüler eine Schule hat, desto mehr Geld bleibt von der Pauschale übrig. Sparen kann man auch, indem man Quereinsteiger statt langjährige ausgebildete Lehrer einstellt, was unter bestimmten Bedingungen zulässig ist.

Schulen freier Träger dürfen sich ihre Schüler zwar nicht aussuchen. Doch es gibt Methoden, mit denen man die Zusammensetzung der Schüler trotzdem in die gewünschte Richtung beeinflussen kann. Zum Beispiel, indem die Schule dort angesiedelt ist, wo genügend Eltern ein "ruhiges Lernumfeld" nachfragen und indem Profile angeboten werden, die besonders Akademikereltern zusagen, zum Beispiel Englisch als Unterrichtssprache.

Der Trick mit der Warteliste

Ein weiterer Trick ist die Warteliste: Wer sein Kind nur rechtzeitig anmeldet, bekommt sicher einen Platz und andere eben nicht. Die Anmeldung ist bereits im ersten Lebensjahr möglich. Auch damit verschafft man einer bildungsbewussten Klientel Vorteile. Statt gleicher Chancen, wie ursprünglich mit dem hohen Zuschuss beabsichtigt, wird so Segregation gefördert.

Wie das konkret aussieht, zeigte jüngst Linnea Lindquist in einem Tweet am Beispiel von Sundsvall auf: 57 Prozent der Eltern in der Kommune hätten eine höhere/akademische Ausbildung. Unter den Eltern der örtlichen IES seien es 81 Prozent.

Die IES habe 14,7 Schüler pro Lehrer. An den kommunalen Schulen seien es 10,8. Linnea Lindquist ist selbst Schulleiterin an einer kommunalen Schule und Aktivistin für eine gerechtere Schulfinanzierung. Das Problem ist nach Lindquist aber nicht der Wettbewerb um Schüler, sondern der Raubbau an den kommunalen Ressourcen, der durch das aktuelle Finanzierungsmodell entstehe.

Was Lindquist damit meint: Die Kommunen, aus deren Kasse die freien Schulen ja bezahlt werden, können das Geld nicht in gleichem Maße sofort bei sich einsparen. Sie haben trotzdem Gebäude und Anlagen zu unterhalten, sie brauchen Lehrer, und, siehe oben, die Schüler mit erhöhtem Förderbedarf landen eher selten in den freien Schulen. Die Kosten pro Schüler steigen also.

Davon profitieren dann erneut die freien Schulen, weil sie ja Anspruch auf dasselbe Geld haben – unabhängig davon, ob sie es brauchen oder nicht. Jede vierte Kommune bezahle inzwischen eine derartige "Strafe" an die freien Schulen, zeigt eine Umfrage von Skolvärlden.

Immer mehr Kommunen versuchen inzwischen, weitere Schulen freier Träger zu verhindern. Die Entscheidung darüber fällt jedoch die Schulaufsicht. Und die hat in der Vergangenheit oft nicht berücksichtigt, wenn Kommunen sich gegen eine weitere freie Schule ausgesprochen haben.

Wesentliche Unterschiede

Hingewiesen sei hier auch darauf, dass die kommunalen Schulen und die freien Schulen eben doch nicht dieselben Aufgaben haben. Denn freie Schulen können Schüler aus Platzgründen abweisen – kommunale Schulen müssen einen Platz bereitstellen, inklusive der im Einzelfall notwendigen Fördermöglichkeiten. Kommunale Schulen müssen darauf vorbereitet sein, dass die Schüler wieder zurückkommen und auch, dass eine freie Schule plötzlich schließt oder schließen muss.

So war Römosseskolan in Göteborg mit 600 Schülern monatelang wegen diverser Skandale in den Schlagzeilen – und durfte schließlich mit neuem Konzept (nicht mehr muslimisch orientiert) und neuer Leitung doch weitermachen. Wie viele Eltern in dieser Zeit eine Alternative suchten, ist nicht bekannt.

Die Kommunen unterhalten also teuer eigene Schulen und bezahlen noch dazu teilweise überhöhte Summen an die freien Träger. Da die Kommunen nicht unendlich Geld zur Verfügung haben, sind Sparmaßnahmen die Folge. Zusatzangebote werden gestrichen, Klassen vergrößert, kleine Schulen geschlossen. Die freien Schulen florieren somit auf Kosten der Schüler in den kommunalen Schulen.

Damit wird das Angebot dort für bildungsbewusste Eltern noch weniger attraktiv. Die Schließung kleiner Schulen führt außerdem zu unerwünscht langen Schulwegen. Beispiel Luleå: Die Kommune beschloss, mehrere kleine Schulen im ländlichen Raum niederzulegen, darunter die in Vitå. Die Eltern aus Vitå gründeten daraufhin eine eigene freie Schule im ehemaligen Schulgebäude…

Aber wenn die freien Schulen einfach bessere Ergebnisse bringen? Das wird behauptet, aber die Leistung einer Schule ist ja nicht so einfach zu messen. Noten allein können das nicht beweisen, wenn sie von der Schule selbst vergeben werden – die könnten ja auch geschönt sein. Und das sind sie durchaus teilweise.

Es gibt inzwischen eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen, die sich mit der Noteninflation in schwedischen freien Schulen beschäftigen. Und es fehlt auch nicht an knackigen Presseberichten dazu: "Bekam die besten Noten, lernte nichts", titelte Aftonbladet über einen Schüler an Bergströms IES. Dazu kommt der oben bereits erwähnte Vorteil einer Schülerklientel aus eher bildungsnahem Elternhaus.