Goldgrube: Freie Schulen in Schweden
Seite 3: Wer will Veränderung?
Die Einsicht, dass die aktuelle Regelung weder gerecht noch sinnvoll für die Gesellschaft ist, findet zwar immer öfter den Weg in die Öffentlichkeit, hatte aber bisher keine praktischen Folgen. Die Lobby versucht, das als "Hetzjagd gegen freie Schulen" zu verunglimpfen.
Die aktuelle sozialdemokratische Minderheitsregierung wollte im Frühjahr die Goldgrube Schulgeld etwas eindämmen. Freie Schulen sollten nicht mehr den vollen Betrag erhalten, da sie ja auch nicht die volle Verantwortung haben. Außerdem sollte das Wartelistensystem abgeschafft werden.
Allerdings haben bisher nur Sozialdemokraten, Linkspartei und die grüne Miljöpartiet explizit den Wunsch nach Veränderung Das reichte nicht zur Mehrheit. Die Zentrumspartei, die unter anderem Magdalena Andersson den Weg ins Amt ermöglichte, ist eine große Verfechterin der "freien Schulwahl" und möchte den Anreiz für Private durch die Gewinnoption nicht beschränken.
Anfang Juli stellte Ministerpräsidentin Magdalena Andersson einen Gesetzesvorschlag zum Verbot konfessioneller Schulen vor, außerdem wurden zwei Untersuchungen in Auftrag gegeben, die zum einen ein Verbot von Gewinnausschüttung an Schulen und zum anderen ein gerechteres Aufnahmesystem betreffen. Welche Folgerungen daraus gezogen werden, hängt natürlich davon ab, wer nach dem 11. September die Regierung bildet.
Die liberalen und konservativen Parteien verteidigen bisher die Gewinnmöglichkeiten für Schulkonzerne, solange die Schulen auch "Qualität" liefern. Doch dass diese Parteien das volle Problem bisher nicht sehen wollen, hat nicht nur ideologische Gründe.
Ivar Arpi, ein bekannter konservativer Journalist und Debatteur, packte das heiße Eisen an . Er nennt es "Freundschaftskorruption" – in den Bildungskonzernen würden heute viele ihr Geld verdienen, oder jemanden kennen, der es tut. Aber jedem sei klar, wie es laufe:
Das Anreiz ist pervers – je größer das Defizit ist, das man der Kommune zufügt, desto mehr Überschuss bekommen die freien Schulen. Ein Überschuss, der als Gewinn ausgezahlt werden kann.
Die Parteien seien dabei auch von der eigenen Wählerklientel weit entfernt, von denen nur sechs Prozent das heutige System gut finden.
Die kommunalen Vertreter dieser Parteien sind zumindest teilweise deutlich weiter, wie der Artikel in Sydsvenskan zeigt. Doch für die Parteispitzen zählt die Ideologie mehr. Dazu kommt die extreme Verquickung von Parteien, Schulkonzernen,Think Tanks und Lobbyorganisationen, von denen auch Skolvärlden einige aufzählt – hauptsächlich, aber nicht nur der liberalen und konservativen Parteien.
Eine weitere Aufzählung zum Thema "Freundschaftskorruption" hält Schul-Aktivist Marcus Larsson bereit. So hat der moderate Oppositionsführer Ulf Kristersson ein Ferienhaus gemeinsam mit Lars Göran Thorstenson, der unter anderem Mitglied im Aufsichtsrat des Bildungskonzerns Watma ist.
Im SVT-Wahlkompass werden die Positionen zu Gewinnen im Schulwesen etwa ungefähr so zusammengefasst: Sozialdemokraten, Linkspartei und die grüne Miljöpartiet sind sehr daran interessiert, das System zu ändern. Niemand will freie Schulen abschaffen, aber die Finanzierung soll den Kindern zugute kommen, nicht Aktiengesellschaften. Die Liberalen sind auch ein bisschen interessiert daran. Zentrumspartei und Schwedendemokraten eher nicht und Moderate und Christdemokraten gar nicht.
Die, die das herrschende System verteidigen, werben aber damit, dass man künftig höhere Ansprüche an die freien Schulen haben will und Geld schneller entziehen könne, wenn diese nicht erfüllt würden. Sie versuchen, den Fokus auf die Qualität zu lenken.
Viele Wähler sind grundsätzlich kritisch gegenüber Gewinnen im Wohlfahrtssystem, auch liberale und konservative. Deshalb, so Politikwissenschaftler Anders Sannerstedt jüngst in Dagens Nyheter, könnten die Parteien in dieser Frage keine harte Linie fahren, sondern müssten die Bereitschaft zu gewissen Veränderungen signalisieren.
Mit dem Fokus auf "Qualität" werden allerdings weiterhin die fatalen Folgen ignoriert, die die aktuelle Finanzierungsmethode für die Kommunen bedeutet.
Die Chancen auf Umsetzung einer Reform
Die Aufteilung in der Schulfrage verläuft nicht ganz entlang der Blocklinie, die sich in den vergangenen Jahren gebildet hat. Sozialdemokraten, Linkspartei und die grüne Miljöpartiet haben keine ausreichende Mehrheit und es wäre überraschend, wenn sie diese in der Wahl bekommen würden. Nach den Umfragen ist es nicht einmal sicher, ob Miljöpartiet überhaupt noch ins Parlament einzieht.
Moderate und Christdemokraten sind bereit, mit den Schwedendemokraten zusammenzuarbeiten, um die Regierungsmacht zu bekommen, wenn auch nicht unbedingt als Koalitionspartner. In Schweden sind Minderheitsregierungen üblich, die von wohlwollenden Fraktionen toleriert werden. Eine konservative Regierung, toleriert von den Schwedendemokraten, wäre ein Riesenerfolg für den SD-Vorsitzenden Jimmie Åkesson.
Die Liberalen unter dem neuen Vorsitzenden Johan Pehrson wollen eigentlich keine Regierung, an der die Schwedendemokraten beteiligt sind. Sie haben sich aber im vergangenen Jahr deutlich in Richtung des rechts-konservativen Blocks bewegt, und es ist unwahrscheinlich, dass die Schulfrage daran etwas ändert.
Die Zentrumspartei unter Annie Lööf kann sich keine Zusammenarbeit in irgendeiner Form mit den Schwedendemokraten vorstellen. Diese Linie hat sie in den vergangenen Jahren relativ konsequent durchgehalten. Die "Mitte", die Lööf oft beschwört, gibt es allerdings nicht. Für die alte bürgerliche Allianz, die die Reform zugunsten der freien Schulträger einst auf den Weg brachte, wird es rechnerisch nicht reichen, und die Partner sind auch nicht mehr da, wo sie einst standen.
Die einzige Alternative zu einer Regierung, die von den Schwedendemokraten abhängig ist, ist eine mit Magdalena Andersson und den Sozialdemokraten. Welcher Kompromiss dabei in der Schulfrage herauskommen würde, ist ungewiss.
Ebenso ungewiss ist, welche Wichtigkeit die Frage der Schulfinanzierung für die Wähler hat. Die Zusammenhänge sind komplex, die Lobbyorganisationen sehr aktiv, und wer sein Kind endlich in einer der renommierten freien Schulen untergebracht hat, ist möglicherweise wenig motiviert, am System zu rütteln.
Dazu kommen all die anderen Themen, die den Leuten auf den Nägeln brennen – Inflation, Energiepreise, Gang-Gewalt. Umfragen sehen zurzeit einen leichten Vorsprung für den rechts-konservativen Block. Aber das letzte Wort haben selbstverständlich die Wähler am 11. September.