Gotteslästerungs-Freispruch einer Christin in Pakistan

Das Oberste Gericht Pakistans in der Hauptstadt Islamabad. Foto: Usman.pg. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Militär muss randalierende Islamisten im Zaum halten

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Gestern sprach das Oberste Gericht Pakistans die international bekannt gewordene Christin Asia Bibi nach über neun Jahren Untersuchungshaft vom Vorwurf der Blasphemie frei und ordnete ihre Entlassung an, wie ihr Rechtsbeistand Saiful Malook mitteilte. Grundlage für die Anklage gegen sie war ein 1986 unter dem damaligen US-hofierten Diktator Zia ul-Haq verschärftes Gesetz, das im § 295C für die Beleidigung des islamischen Propheten Mohammed die Todesstrafe vorsieht.

Bibi, eine Landarbeiterin aus dem 1.500-Einwohner-Dorf Ittanwali, hatte im Juni 2009 für sich und andere Arbeitskräfte des örtlichen Großgrundbesitzers Mohammed Idrees Wasser geholt. Zwei moslemische Feldarbeiterinnen nutzten das als Gelegenheit zum Mobbing und verlangten von ihr, zum Islam zu konvertieren, da das Wasser sonst so unrein sei, dass sie es nicht trinken könnten. Der Streit, der daraufhin ausbrach, endete im Vorwurf der beiden moslemischen Feldarbeiterinnen, Bibi habe gesagt, nicht Mohammed, sondern Jesus Christus sei der wirkliche Prophet Gottes.

Erste Instanz hatte Tod durch Erhängen und Zahlung von zweieinhalb Jahresgehältern vorgesehen

Die Christin bestreitet, dass sie sich zu dieser Aussage hinreißen ließ. Sie wäre ihrem Glauben nach auch nicht korrekt, da Jesus Christus sowohl der katholischen als auch der protestantischen Glaubensvorstellung nach kein Prophet, sondern der Sohn Gottes ist. Als Prophet wertet ihn lediglich der Islam.

Nach dem Vorfall sollen nicht Moslems, sondern Christen die Polizei gerufen haben - angeblich, um zu verhindern, dass ein moslemischer Mob, der Asia Bibi verprügelte, erneut über sie herfällt. Die Behörden nahmen die Christin aber nicht nur in Haft, sondern klagten sie auch wegen Blasphemie an. Ein Richter namens Naveed Iqbal verurteilte sie dafür am 8. November 2010 nicht nur zum Tod durch Erhängen, sondern auch zur Zahlung von zweieinhalb Jahresgehältern. Dieses Urteil erregte in der Hauptstadt der ehemaligen Kolonialmacht das Interesse des Daily Telegraph, der den Fall am Tag darauf international bekannt machte.

Iqbal hatte sich in seinem Urteil unter anderem auf ein angebliches Geständnis Bibis berufen, dass die Beschuldigte abgegeben haben soll, als sie von moslemischen Dörflern verprügelt wurde. Erst das Oberste Gericht entschied, dass so eine Gewaltanwendung mit Todesdrohungen kein reguläres Verhör ist, das zu einem Geständnis führt, welches in einem Rechtsstaat als glaubhaft gewertet werden kann. Bei den Aussagen der Landarbeiterinnen erkannte es einen möglicherweise auch durch den Streit mit bedingten Belastungseifer, der zu Zweifeln am Wahrheitsgehalt der Schilderungen beitrug.

Tehreek-e-Labaik Pakistan, versuchten das Provinzparlament in Lahore zu stürmen

Extremistische Sunniten nahmen den Freispruch nicht gewaltlos hin: In Lahore, der Hauptstadt des pakistanischen Pandschabteils, in dem Ittanwali liegt, versuchten sie unter Führung der Organisation Tehreek-e-Labaik Pakistan (TLP) das Provinzparlament zu stürmen, worauf hin die Landesregierung Soldaten dorthin entsandte. In der Landeshauptstadt Islamabad muss das Militär nicht nur das Parlamentsgebäude, sondern auch Gerichte schützen. Dort blockierten Islamisten nicht nur Straßen, sondern plünderten und verwüsteten mehrere staatliche Einrichtungen.

Auch in der Hafenmetropole Karatschi, im Paschtunenzentrum Peschawar und in Multan kam es zu schweren Ausschreitungen, die teilweise noch anhalten. Ihnen könnten Anschläge auf Staatsvertreter folgen, wie es sie vor sieben Jahren gab, als der Gouverneur des pakistanischen Punjabteils und der Minister für Minderheiten ermordet wurden (vgl. Die Sündenböcke Pakistans). Beide hatten versucht, die Blasphemiegesetze zu reformieren. Seitdem wagte sich kein namhafter pakistanischer Politiker mehr an so eine Reform heran.

Blasphemiegesetz ideal zum Anschwärzen unliebsamer Nachbarn

Außer der Beleidigung des islamischen Propheten Mohammed stellt das pakistanische Blasphemierecht auch andere Äußerungen und Handlungen unter Strafe: Für eine Schändung des Korans wird man nach § 295B lebenslang eingesperrt. § 298 bedroht die Verletzung religiöser Gefühle allgemein mit einem Jahr Haft und einer Geldstrafe, § 298A sieht für "abfällige Bemerkungen" im religiösen Kontext bis zu drei Jahren Haft und eine Geldstrafe vor. Ebenso hoch bestraft wird der "Missbrauch" religiöser Titel und Begriffe sowie die Selbstdarstellung von Nicht-Moslems als Moslems. Diese beiden Vorschriften gelten vor allem als Maßnahme gegen die Ahmadiyya-Religion.

Aufgrund ihrer Unschärfe sind aber auch die anderen Tatbestände ideal dazu geeignet, dass Angehörige der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit sie bei Streitigkeiten mit Angehörigen religiöser Minderheiten nutzen. Oder bei Streitigkeiten mit Nachbarn oder anderen Personen, über die sie sich ärgern (vgl. Blasphemiegesetz mit Missbrauchspotenzial). Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass es alleine zwischen 1987 und 2014 zu über 1.300 Anzeigen auf einer dieser Grundlage kam. 62 der in diesem Zeitraum angezeigten Personen wurden ermordet, bevor der Gehalt der Anschuldigungen geklärt werden konnte.

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