Grauer Rauch über Chateau de Bossey, kalte Schulter in Washington?
US-Regierung will entgegen der Bestrebungen der Working Group on Internet Governance der UN auch weiter die Kontrolle über das Internet ausüben
Der Schlussbericht der von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzten Working Group on Internet Governance (WGIG) ist noch gar nicht veröffentlicht, da schlagen die Wellen schon hoch. Michael Gallagher, stellvertretender US-Handelsminister, nutzte gestern eine Konferenz der „Wireless Communication Association“, um deutlich zu machen, dass die USA ungeachtet aller Vorschläge, die WGIG am 18. Juli 2005 der Weltgemeinschaft vorlegen wird, nicht daran denkt, ihre Praxis der unlateralen Kontrolle aufzugeben.
War es „grauer Rauch“ oder waren es einfach nur vom Mondlicht bestrahlte Wolken, die da am Samstag, den 19. Juni 2005, frühmorgens gegen 2.30 Uhr über „Chateau de Bossey“ am Genfer See dahinflogen? Die WGIG hatte sich zu ihrer finalen Sitzung in dieses aus dem 12. Jahrhundert stammende Schlösschen mit Blick über den Lac Leman und auf die französischen Alpen zurückgezogen (Druck von allen Seiten). Umgeben von Kornfeldern, Weinhängen und Heckenrosen liefen auf der sonnenüberfluteten Schlossterrasse die Laptops heiß. Immerhin ging es um das Ressourcenmanagement für die Infrastruktur des Informationszeitalters des 21. Jahrhunderts.
Als es am vierten Tag dunkel wurde, zog man sich in die Bibliothek zurück. Der graue Rauch am folgenden Morgen entbehrte nicht einer gewissen Symbolik. Der voluminöse WGIG-Schlussbericht – mit dem Background Report und allen Anhängen immerhin rund 150 Seiten – enthält mehr Grau- als Grelltöne. Das spricht zunächst nicht gegen den Bericht. Trotz der zum Teil fundamentalen Kontroversen darüber, wie denn zukünftig das Internet verwaltet wird, vermied die WGIG in das eine oder andere Extrem zu verfallen und präsentierte am Schluss ein moderates, aber dynamisches Konzept.
Konsens für ein Diskussionsforum, Dissens bei der Regierungsaufsicht
Kernstück der Empfehlungen ist der Vorschlag, ein globales „UN Internet Forum“ zu schaffen, das zukünftig als der zentrale Internet-Diskussionsplatz für Regierungen, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft fungieren soll. Das Internet ist für alle da, also müssen auch die Interessen aller berücksichtigt werden. Existierende Organisationen wie ICANN, IETF, W3C, ISOC, ITU, UNESCO, WIPO, WTO, OECD und andere, beschäftigen sich entweder nur mit einzelnen Aspekten der Internet Entwicklung oder haben keine universelle Mitgliedschaft.
Ein solches neues „UN Internet Forum“ sollte keine Entscheidungsmacht haben, dafür aber den Gesamtüberblick, der es in die Lage versetzen sollte, in den Bereichen, wo globale Aktionen notwendig sind, politische Empfehlungen und Handlungsanweisungen an existierende Institutionen zu geben, die Gründung neuer Netzwerke für neu entstehende Probleme anzuregen oder einfach nur die Alarmglocken zu läuten wenn Gefahr im Verzug ist. Als eine Art Koordinierungsgremium für einen „Mechanismus von Mechanismen“ soll das Forum keine neue Bürokratie installieren, sondern die Kommunikation und Kooperation zwischen allen betroffenen Parteien verbessern, Überlappungen und Duplizierungen abbauen und als ein „Frühwarnsystem“ fungieren, das ein öffentliches Bewusstsein für das Internet sensibilisiert.
Während es bei dieser „Forum Function“ einen Konsens gab, waren die Gegensätze bei der „Oversight Function“ unüberbrückbar. Zwar waren sich alle WGIG-Mitglieder einig, dass das System der unilateralen Aufsicht durch die US-Regierung abgeschafft gehört. Dieser Minimal-Konsensus aber fiel insofern nicht allzu schwer, da ja die von dieser Forderung betroffene US-Regierung selbst – im Unterschied zur Europäischen Union – nicht mit einem eigenen Regierungsvertreter in der WGIG vertreten war, und zwar auf eigenem Wunsch. Die gegensätzlichen Vorstellungen für eine Ersetzung dieses unlateralen Systems waren jedoch so groß, wie sie größer nicht hätten sein können. Einige Gruppenmitglieder plädierten für eine weitgehende Selbstverwaltung durch die privaten Internetorganisationen, andere wollten einen völkerrechtlichen Vertrag für eine neue Regierungsorganisation als universelle Aufsichtsbehörde.
Bei einer solchen Gemengelage reichte der Konsensus nur bis zur Präsentation von vier verschiedenen Varianten für den zukünftigen Umgang mit diesem kontroversen Thema. Während Modell 1 mehr oder minder vom Status Quo ausgeht und sich mit punktuellen Reformen von ICANNs beratenden Regierungsausschuss, dem „Governmental Advisory Commiteee“ (GAC), begnügt, schlägt Modell 4 ein nahezu byzantinisches System von drei miteinander verwobenen neuen Behörden vor: Eine „World Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“ (WICANN) sollte durch einen von Regierungen gebildeten „Global Internet Policy Council“ (GIPC) beaufsichtigt und von einem „Gobal Internet Governance Forum“ (GIGF) beraten werden. Die dazwischen sich positionierenden Modelle 2 und 3 sehen jeweils eine etwas abgemilderte oder verstärkte Rolle der Regierungen bei der Aufsicht über das Internet vor.
Die Experten, die ja kein Verhandlungsmandat hatten, haben damit den Ball wieder zurückgespielt in die zwischenstaatlichen Verhandlungsgruppen, die sich bei der bevorstehenden PrepCom3 Ende September 2005 in Genf nun weiter streiten müssen. um vielleicht doch noch den Staats- und Regierungschefs im November 2005 beim Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS II) eine konsensuale Lösung vorzulegen.
US-Regierung redet Klartext
Noch ehe aber der zurückgespielte Ball angekommen ist – der Bericht soll nächste Woche von UN-Generalsekretär Kofi Annan präsentiert und am 18. Juli 2005 in Genf der breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden –, hat der stellvertretende U-Handelsminister Michael Gallagher die Flanke vom Genfer See an den East River unterlaufen und Klartext über die US-Vorstellungen für den Fortgang dies Spiels geredet (vgl. auch US-Regierung gibt Kontrolle über DNS-Rootzone nicht her). Was immer bei PrepCom3 oder WSIS II besprochen wird, die USA haben nicht die Absicht, ihre unilaterale Kontrolle aufzugeben.
In vier Punkten präzisierte Gallagher was die US Regierung zu tun gedenkt:
- Um die Sicherheit und Stabilität des Domain Name Systems (DNS) – einer der Kernressourcen des Netzes, auf dem alle Internetkommunikation basiert – zu gewährleisten, wird die US-Regierung auch weiterhin die Publikation von Zone Files im Root autorisieren und damit kontrollieren. An eine Teilung dieser Kompetenz mit anderen Staaten, wie von denen gefordert, ist nicht gedacht.
- Was die Kontrolle über die Zone Files der Länderdomains betrifft, d.h. der so genannten ccTLDs, so respektiert die US-Regierung das legitime Interesse der jeweils betroffenen Regierungen und bietet ihnen eine Zusammenarbeit bei der Gewährleistung der Sicherheit und Stabilität des Internet an.
- Für alle technischen Belange ist ICANN die einzige kompetente und zuständige Institution
- Eine besser koordinierte globale Diskussion zu allen mit dem Internet zusammenhängenden Fragen ist eine gute Sache und wird von der US-Regierung unterstützt, wobei die US-Regierung in diesen Diskussionen darauf drängen wird, dass vorgeschlagene Lösungen für Einzelfälle am Markt orientiert sind und auf dem Prinzip der „private sector leadership“ basieren.
Gallaghers Statement zielt offensichtlich darauf ab, der Diskussion des WGIG-Berichts eine der USA genehme Orientierung zu geben. Was Gallagher de facto zu den beiden Kernvorschlägen der WGIG sagt ist: Das geplante UN-Forum ist okay und da machen wir mit. Aber da ihr euch bei der „Oversight Function“ ja so und so nicht geeinigt habt, machen wir einfach weiter so wie bisher.
Diese nüchterne, aber dennoch etwas arrogant und brüsk daherkommende Vorgehensweise hat die Wellen in einschlägigen Diskussionslisten der Internet Community zunächst hochschlagen lassen. Die Empörung ist aber nicht ganz gerechtfertigt, dann Gallagher sagt in der Sache wenig Neues. Seit dem 11. September 2001 sieht die US-Regierung das Internet nicht mehr als ein Pilotprojekt für „Cyberdemocracy“, sondern als eine Herausforderung für „Cybersecurity“. Im „Kampf gegen den Terrorismus“ spielt für die USA die kritische Internet-Infrastruktur eine Schlüsselrolle, sowohl was die Sicherung der eigenen Kommunikationsfähigkeit betrifft, als auch was die Jagd auf jene „netizens“ betrifft, die potentiell als die „bad guys“ gelten.
Gallgeher sagt auch sagt, dass die US-Regierung sich nicht bewegen wird, solange nicht ein Vorschlag auf den Tisch kommt, der den USA jene Sicherheit garantiert, die sie für sich als conditio sine qua non reklamiert. Insofern haben die US-Regierung die Grautöne vom „Chateau de Bossey“ wenig beeindruckt. Und da sie selbst keinen Anlass sieht, Kreativität und Innovationskraft walten zu lassen, um sich ein besseres System auszudenken, beharrt man auf dem, was man hat und was einem ja auch nützt. Insofern ist die kalte Schulter aus Washington kein „U-Turn“ in der Politik, sondern einfach eine Fortsetzung eines bekannten Weges mit bekannten Mitteln.
Wie reagiert der „Rest der Welt“?
Das Problem wird jedoch sein, wie der Rest der Welt mit diesem „Weiter so“ nach der jahrelangen Diskussion bei WSIS und WGIG umgehen wird. Von der eine Milliarde Internetnutzer weltweit sind mittlerweile 860 Millionen nicht US-Bürger. Allein in China gibt es jetzt 100 Millionen Menschen, die das Internet nutzen. Und die haben alle nicht nur ein Interesse daran, dass das Internet stabil und sicher bleibt, sondern sie wollen auch irgendwie mitreden, wenn es um die zukünftige Gestaltung des Netzes geht. Bei den letzten WGIG-Konsultationen brachte der brasilianische Boschafter einen historische Vergleich: Die Engländer hätten in Indien vor dem 2. Weltkrieg ziemlich effektiv auch für Sicherheit und Stabilität gesorgt, dennoch wollten die Inder sich diese Arbeit nicht abnehmen lassen, sondern sie selber ausführen.
Natürlich hinkt der Vergleich, aber er signalisiert, dass der Rest der Welt dem US-amerikanischen Internet-Paternalismus zu entwachsen droht und eigene Wege gehen will. Eine der möglichen Konsequenzen wäre dabei ein Auseinanderbrechen des noch weitgehend einheitlichen „Netzes der Netze“, eine Fragmentierung des Internet, die einige auch eine „Balkanisierung des Internet“ nennen. iDNS und die auch von der US Regierung nicht in Abrede gestellte Ausübung von Souveränitätsrechten über die ccTLDs könnte diesen Prozess - vor allem entlang von Sprachgrenzen – schnell weiter dynamisieren, mit verheerenden Folgen für den einfachen Internetnutzer. Am Ende könnte es Dutzende „Intranets“ gebe, die man als Individuum nur mit einem von einer staatlichen Behörde erwerbbaren „Password“ verlassen kann, will man virtuell in den grenzenlose Cyberspace ausreisen, sowie wie man eben einen „Passport“ braucht, um real ins Ausland zu fahren.
Dieses Doomsday-Szenario wäre in der Tat ein Kehrtwende und die Menschheit würde statt in der globalisierten Welt des Informationszeitalters eine Reise in die Vergangenheit des Industriezeitalters antreten. Aber es ist noch lange nicht aller Tage Abend. Die Pokerpartie um die Zukunft des Internet ist gerade erst eröffnet. Und keiner weiß, ob uns der WSIS-Gipfel im November 2005, die Beendigung des Memoirandum of Understanding (MoU) zwischen US-Regierung und ICANN im Jahr 2006 oder ein anderes Datum irgendwann in 2007 oder 2008 den Tag des Showdown bringt.
„Wir leben in einer interessanten Zeit“, hatte Jon Postel, der Vater des DNS einst gesagt und hinzugefügt: „Es gibt so viele Dinge, die alle noch erledigt werden müssen.“