Griechenland: Mit Merkels Hilfe …

… oder dem Segen des Papstes aus der Krise herauskommen?

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Griechenland ist ein Staat, in dem jeder zunächst einmal das ist, was er angibt zu sein. Wie sonst ist zu erklären, dass Atheisten den kirchlichen Segen suchen und selbst ernannte, neoliberale Revolutionäre aus dem konservativen Lager das Eigentum verteufeln. Wer soll verstehen, dass ausgerechnet ein Verfassungsrechtler schnell mal kurz vor Neuwahlen das Wahlrecht passend für seine Partei ändern will?

Am kommenden Dienstag empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin den griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras. Dabei geht es offiziell mal wieder um die griechische Wirtschaft. Tatsächlich braucht Samaras vor allem moralische Hilfe.

Für Finanzminister Chardouvelis sind nämlich weder Neuwahlen noch ein Schuldenschnitt eine Option. Dabei schließt der Finanzprofessor den Schuldenschnitt aus, weil Griechenland den europäischen Partnerstaaten und nicht den Banken den Großteil seiner Kredite schuldet. Somit würde ein solcher Schritt an den Parlamenten der betreffenden Staaten scheitern. Neuwahlen, so meinte er gegenüber Bloomberg, seien von der Bevölkerung nicht gewünscht, weil Investoren in ihnen einen Negativfaktor sehen würden.

Finanzminister Chardouvelis. Alle Fotos: Wassilis Aswestopoulos

Nur wenige Stunden vorher hatte die regierungsnahe Presse in Griechenland genau das Gegenteil verkündet. Nämlich, dass Samaras bei Merkel um einen Schuldenschnitt betteln wird. Im Ringen gegen vorzeitige Neuwahlen eilte der Regierungschef sogar ins Parlament. Das Plenum meidet der Premier zwar weiterhin wie der Teufel das Weihwasser, er redete jedoch seinen Parteikollegen in der Kantine des Parlamentsgebäudes ins Gewissen. Dem geschickten Machtpolitiker ist klar, dass Neuwahlen sein Aus besiegeln würden. Den Parteikollegen geht es dagegen immer offener um den Erhalt des eigenen Parlamentsjobs.

Gesucht: Ein schneller Schuldennachlass, Schuldenschnitt, oder ein anderer Name dafür

In Athen steht die Regierung von Antonis Samaras ordentlich unter Druck. Es knistert und knackt an allen Enden. Wirtschaftlich macht Samaras Versprechungen hinsichtlich umfangreicher Steuernachlässe. Einhalten kann er davon nichts. Politisch manövriert sich seine Partei komplett ins Abseits. Die Tatsache, dass immer mehr Verbindungen der Polizei zur Goldenen Morgenröte bekannt werden, spricht ebenso wenig für Samaras wie jüngste Aufdeckungen über Samaras langjährige (ultra)rechte Hand Takis Baltakos. Baltakos verlor den Posten des Regierungskoordinators, als Aufzeichnungen über kompromittierende Gespräche von ihm mit dem derzeit in U-Haft sitzenden Pressesprecher der Goldenen Morgenröte, Ilias Kasidiaris, Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/41/41410/1.html.

Antonis Samaras sucht Lösungen

In den damaligen Gesprächen ging es um die bevorstehende Strafverfolgung gegen die GM. Was derzeit bekannt wird, ist dagegen die enge Zusammenarbeit Baltakos mit der GM hinsichtlich von Abstimmungen im Parlament. Der Jurist setzte die in Griechenland als Nazipartei eingestufte Bewegung gegen die eigenen Koalitionspartner PASOK und Demokratische Linke ein.

Das Vertrauen der beiden verbliebenen Koalitionspartner, Nea Dimokratia und PASOK, untereinander dürfte nicht erst jetzt erheblich angeknackt sein. Das Vertrauen der vom Finanzminister als äußerst empfindlich beschriebenen Investoren ist dagegen auch perdu. Nicht immer lässt sich dies auf die Opposition, die auch in Regierungskreisen als Buhmann beliebte Bundeskanzlerin oder irgendwelche Weltverschwörungen zurückführen. Wie ein besonders eklatantes Beispiel belegt, fehlt es dem griechischen Staat vor allem an funktionierenden Kontrollorganen.

Ein ländliches Schiffswrack

Der Emir von Katar staunte nicht schlecht, als er erfuhr, dass ein 1500 Hektar großes Landstück auf der ionischen Insel Zakynthos preiswert zu haben war. Er griff über einen Mittelsmann für die Hälfte des steuerlichen Schätzpreises zu. Der Kauf der "Navagio" (Schiffswrack) genannten malerischen Region im westlich vom Festland gelegenen Meer interessierte sogar die türkischen Nachbarn im Osten.

Nun stellte sich heraus, dass der Wüstenfürst einem geschickten Betrüger aufgesessen ist. Georgios Charos, so heißt der Listige, hatte entdeckt, dass der letzte Nachfahre der von Kirche und Venezianern beglückten Patrizierfamilie Flaburiari bereits 1961 verstorben war. Der Grieche hatte sich das Land mit Dokumenten der venezianischen Besatzer aus der Zeit des 18 Jh. und kirchlicher Dokumenten aus der Ära des byzantinischen Mittelalters erschlichen. Zunächst galt es zu beweisen, dass Charos mit den Flaburianis verwandt war. So weit war der gesamte Vorgang noch amtlich überprüfbar.

Seit 2001 steht am alten Flughafen Athens die Zeit still

Weniger überprüfbar ist dagegen die venezianische Besitzurkunde. Angeblich fand sich bislang niemand, der den Dialekt, in dem das betreffende Dokument verfasst wurde, wirklich beherrscht. So kommt es, dass Charos mit weniger Aufwand als der Hauptmann von Köpenick an noch mehr Macht kommt.

Weil aus dem Schriftstück weder die Ausmaße noch die im betreffenden, der Familie Flaburiani angeblich übertragenen Lehen eingeschlossenen Kirchen verzeichnet sind, betätigt sich Charos als Richter in eigener Sache. Er versicherte der Kirche gnädig, dass eines ihrer Besitztümer nicht dabei ist.

Noch vor sechs Jahren hatten es ein Kirchenmann selbst und der damalige Regierungschef Kostas Karamanlis schwerer. Der Abt des Klosters Vatopedi verfügte statt über einen unleserlichen venezianischen Wisch sogar über eine Bulle der Byzantinischen Herrscher, als er sich umfangreiche Grundstücke aneignete. Es half nichts, Karamanlis und der Abt stürzten über den Skandal. Die staatliche Tradition, die sich auf eine Nachfolge des oft als Ostrom bezeichneten Konstantinopel reichte nicht, um Karamanlis zu retten.

Im aufgrund der Krise reformierten Griechenland klappt es dagegen sogar mit dem originalen Rom.

Herr, ich bin vollkommen ungläubig, segne mich!

Samaras Gegenpart, Oppositionsführer Tsipras, entdeckt momentan seine Liebe zum Übersinnlichen. Seine Vita zeichnet ihn bislang als überzeugten Atheisten aus. Weder die Kinder noch die Ehe mit Gattin Peristera haben kirchlichen Segen. Damit nicht genug. Mit der Mutter seiner Kinder ist der linke Politiker noch nicht einmal richtig, will heißen standesamtlich oder kirchlich, verheiratet. Die beiden führen eine eingetragene Lebensgemeinschaft, wie sie im übrigen Europa vornehmlich zum Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare genutzt wird.

Nähe trotz Atheismus - Regionalgouverneurin von Attika Rena Dourou vom SYRIZA mit Priester

Pragmatische Gründe und intensives Geschichtsstudium haben Tsipras auf den Trip gebracht, dass es ohne die Kirche jedoch nicht gehen kann. Das betrifft nicht das private, sondern das öffentliche Leben des Revolutionärs, der auszog, um Europa vom Spardiktat zu befreien.

Im Sommerurlaub schockte Tsipras seine Anhänger mit der Ankündigung, die autonome Mönchsrepublik Athos besuchen zu wollen. Er wurde dort herzlich empfangen. Die Ordensbrüder dankten dem Politiker für die Unterstützung im Ringen um eine kirchenfreundliche Besitzbesteuerung.

So weit so gut - oder auch nicht. Schließlich ist Griechenland ein Staat, bei dem die christlich orthodoxe Religion immer noch den Status einer Staatsreligion hat. Der Volksglaube beinhaltet das gemeinsame Andenken an den Streit Ostroms mit dem päpstlichen Rom in Italien. Die Frage, ob das Pontifikat des Bischofs von Rom oder die Würde des Patriarchen von Konstantinopel den ersten Rang innerhalb der Christenheit bedeuten, hatte einst West- und Osteuropa in zwei Lager geteilt. De facto sind die Griechen in ihrer Mehrzahl auch heute noch überzeugt, dass ihr byzantinisches Reich den Türken aufgrund päpstlicher Intrigen und (west)kaiserlicher Machtpolitik in die Hände fiel.

Es gibt in Griechenland auch heute noch Katholiken. Das betrifft nicht nur eingewanderte Bewohner des Landes wie die deutsche, dem von allen Buchreligionen anerkannten Erzengel Michael geweihte, Gemeinde in Athen. Das Apostolische Exarchat, wie die römisch katholische Landesgemeinde heißt, ist eine real existierende Kirche in Hellas.

Hat Grund zur Freude - Alexis Tsipras

Alexis Tsipras ging es jedoch nicht um Glaubensfragen oder die Wählerstimmen der wenigen Tausend Katholiken im Land. Der linke Politiker wollte vielmehr nach den Vertretern Ostroms auch im Vatikan für seine Sache werben. Papst Franziskus empfing ihn in einer privat gehaltenen Audienz. Dies erlaubt dem smarten Alexis nun, ohne Widerspruch seine Sicht zum Treffen zu erklären.

Es ging, so verkündete er als führender europäischer Linkspolitiker, um den Dialog der Linken mit den Konfessionen und den koordinierten Kampf gegen die Armut. Dafür holte sich der ungläubige Alexis Tsipras den Segen des Papstes. Dass der Kirchenfürst aus dem ebenfalls mit Schulden geplagten Argentinien, dem Geburtsland von Tsipras Idol Ernesto Che Guevara, stammt, ist ein weiterer Faktor. Tsipras jüngster Sprössling wird ganz ungriechisch mit seinem zweiten Namen Ernesto gerufen.

Samaras, der Gläubige sieht dagegen sein Heil in Alexis Namenspatron, Alexander. Ehrfürchtig besucht der Premier die Ausgrabungsstellen in Amphipolis. Sollte im Grab dort ein Hinweis auf den legendären Feldherrn der Antike gefunden werden, dann könnte dies, so wirr es für westliche Ohren klingen mag, Samaras Kopf retten. Tsipras dagegen bekommt für seinen Gang nach Rom Beifall aus der Ecke der PASOK und von bürgerlichen Rechten.

Die Wege der Richter sind unergründlich

Auf realer Ebene müssten sich beide jedoch zunächst einmal mit pragmatischeren Problemen auseinander setzen. Die weltlichen Richter zerpflücken aktuell "Gottes Werk und des Teufels Beitrag" wie Griechenlands Reformbemühungen in Anlehnung an den Romantitel Irvings genannt werden könnten.

Kein Schrottplatz - verlassener Fuhrpark der Olympic am alten Flughafen Athens

Um das Land wieder auf die Beine zu bringen, brächten sowohl Samaras als auch Tsipras nämlich Geld statt guter Worte. Bar einer eigenen Währung gibt es dafür nur wenige Möglichkeiten. Entweder wirft man die Druckerpresse der EZB an oder man intensiviert den Verkauf von staatlichen Tafelsilber. Dass dafür das aus durchaus nachvollziehbaren Gründen notwendige Vertrauen der Investoren nötig ist, weiß nicht nur Finanzminister Chardouvelis.

Ohne Nachfrage sinken im real existierenden Kapitalismus die Preise. So konnte der Multimilliardär Latsis außer den Milliarden aus dem europäischen Rettungsfonds und zahlreichen Banken, auch bei den griechischen Privatisierungen gut absahnen. Unter anderem bekam er den Zuschlag für den ehemaligen Großflughafen Athens. Kunststück, der weitgehend steuerfrei lebende griechische Reeder war einziger verbliebener Bieter. Die griechische Treuhandanstalt bettelte noch kurz um eine Erhöhung des äußerst niedrigen Angebots und erteilte sodann den Zuschlag.

Alter Airport Athen

Was bei allen Feiern zum erfolgreichen Geschäftsabschluss irgendwie unterging waren die tatsächlichen Investitionen des Milliardärs. Zwar hat die Reederfamilie Latsis einen Plan, ein mehrere Milliarden schweres Investitionsprogramm zu starten und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Was aber offenbar nicht beabsichtigt ist, ist der Griff in die eigene Tasche. Der äußerst niedrige Kaufpreis von 80 Euro pro Quadratmeter brachte zunächst Tsipras Linke auf die Barrikaden. Beim Studium des Kaufvertrags kommt heraus, dass Latsis Firma das gesamte Gelände für einen Preis von innerhalb von zehn Jahren zu zahlenden 450 bis 915 Millionen Euros erhalten soll. Das mit 6,25 km² ungefähr drei Mal dem 2,02 km² großen Fürstentum Monaco entsprechende Areal ist allen Bekunden nach Griechenlands Top-Filetgrundstück. Zudem gibt’s einen Yachthafen als Geschenk dazu.

Über mehr als fünf Monate durchforsteten griechische Richter das mehrere tausend Seiten starke Vertragswerk zum Verkauf. Die Prüfkammer entschied, dass der Verkauf zu stoppen sei. Tsipras SYRIZA hat allen Grund, das Verdikt als Triumph zu feiern.

Wenn es nicht mehr passt, mach es rückgängig!

Für die Regierung bedeutet es dagegen einen weiteren Schritt zum Ende, zu Neuwahlen. Hier sieht Evangelos Venizelos seine Chance. Er hatte einst dafür gesorgt, dass die stärkste Partei bei Parlamentswahlen einen Stimmbonus von fünfzig Sitzen in der 300 Plätze bietenden Abgeordnetenkammer erhält.

Evangelos Venizelos

Ziel dieser Aktion war es, die Macht an PASOK und Nea Dimokratia zu binden. Beide Parteien buhlten um den ersten Platz und erhielten gemeinsam regelmäßig knapp 85 Prozent der Wahlstimmen. Aktuell sehen Umfragen beide Altparteien zusammen weit unter dreißig Prozent. SYRIZA dagegen könnte allein auf diese Zahl kommen. Genau da setzt Venizelos Theorie an. Mit knapp 35 Prozent, einer einigermaßen realistischen Obergrenze des derzeitigen Zuspruchs zu Tsipras Truppe, können die 151 für eine absolute Mehrheit im Parlament notwendigen Sitze gerade noch erhalten werden. Wirklich legitimiert wäre SYRIZA damit nicht. Zu lange hat man selbst gegen den skandalösen Bonus gewettert.

Herrenloser Jumbo

Warum also sollte Venizelos Reformvorschlag, die Bonusregelung abzuschaffen, abgelehnt werden? SYRIZA wich der Falle geschickt aus. Man werde der Regierung zur Mehrheit für die Änderung des Wahlrechts verhelfen, hieß es. Einzige Bedingung dafür sei der sofortige Rücktritt von Samaras Kabinett samt rascher Neuwahlen.

Venizelos wirbt derweil um nationale Einheit. Die Botschaft ist klar. Die PASOK ist nominell sozialdemokratisch und somit ein passender Koalitionspartner für Tsipras, meint Venizelos zwischen den Zeilen.

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