Griechenland: Rechte Gewalt auf dem Vormarsch

Seite 2: Ein "ideales Opfer" für angestachelte Hitzköpfe

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Später stand er den Eurokommunisten, der Vorläuferpartei von Syriza nahe, ehe er bei den Kommunalwahlen 2010 sein Amt mit Unterstützung der Pasok, der neoliberalen Partei Drasi, der Nea Dimokratia Politikerin Dora Bakoyianni und der Demokratischen Linken gewann.

Er befürwortet zahlreiche jener Reformen, die vom Großteil der Bevölkerung abgelehnt werden. Er möchte sich im kommenden Jahr bei den Kommunalwahlen erneut für eine neue Amtszeit bewerben.

Zu guter Letzt hatte Boutaris in den letzten beiden Jahren den Pontosgriechen ihre Gedenkveranstaltungen immer wieder erschwert, indem er sich weigerte, öffentliche Plätze zur Versammlung freizugeben.

Heuer ließ er die Gedenkveranstaltungen parallel zur LGBTQ+ Parade austragen. Letzteres kam bei dem konservativ eingestellten Publikum der Pontos Gedenkveranstaltungen besonders schlecht an. Sie fühlten sich nach eigenen Angaben düpiert.

Kurz, Boutaris war für angestachelte Hitzköpfe ein "ideales Opfer", an dem sie ihre aufgestaute Wut ablassen wollten. Politiker des offiziell als "Nebenhauptstadt" fungierenden Thessaloniki fanden den Angriff auf ihn sogar richtig. Der Sender Skai TV bot dem früheren Parlamentarier von der Partei Laos, Kyriakos Velopoulos, sogar ein Podium, um diese Position zu erklären.

Velopoulos, der mittlerweile eine eigene Partei hat, war zwischenzeitlich auch von der CDU-Schwesterpartei Nea Dimokratia umworben worden. Regionalpräsident a.D. Panagiotis Psomiadis, früherer Parlamentarier der Nea Dimokratia und früherer Kandidat für den Parteivorsitz erklärte, dass er Gewalt im Prinzip verabscheuen würde, aber Boutaris habe es nicht anders verdient.

Der Tathergang

Boutaris wurde von einer Gruppe der Teilnehmer an der Gedenkveranstaltung für die Pontosgriechen identifiziert. Er wurde beschimpft und aufgefordert, sich zu entfernen. Obwohl er dieser Aufforderung nachkam und sich mit der Hilfe seiner Begleiter entfernte, wurde er von einer sich wie ein Mob verhaltenden Menschenmenge verfolgt, mit Gegenständen beworfen, getreten und bespuckt.

Polizeikräfte griffen auch dann nicht ein, als Boutaris Auto von der Menge umringt, beschädigt und am Abfahren gehindert wurde. Der mehrfach von Hieben, Tritten und Gegenständen getroffene Bürgermeister verbrachte eine Nacht im Krankenhaus.

Die Politik lehnt die Angriffe ab. Wirklich?

Schnell erklärten sämtliche im Parlament vertretene Parteien des demokratischen Spektrums, dass sie den "faschistischen Angriff" verurteilen würden. Bürgerschutzminister Nikos Toskas versprach ebenso wie Justizminister Stavros Kontonis schnelle Aufklärung und Bestrafung der Täter.

Premierminister Alexis Tsipras machte sogar die Rhetorik der Nea Dimokratia für den Angriff verantwortlich. Deren Parteiführer Kyriakos Mitsotakis hatte der Regierung vorgeworfen, sie wäre wegen Duldung von illegalen Taten für solche Gewalttaten verantwortlich.

Tatsächlich sind fast alle Parteien auf ihre Weise schuld am Dilemma. Tsipras Syriza hat keinerlei schwerwiegende Probleme mit dem Koalitionspartner Unabhängige Griechen, dessen Vertreter im Parlament rassistisch, homophob und nationalistisch argumentieren. Schließlich möchte Tsipras Truppe die Regierungsgewalt halten.

Toskas verspricht zwar eine schnelle Festnahme, vermeidet aber zu erklären, wieso die Polizei nicht während der Tat eingriff. Kontonis stellt eine schnelle Bestrafung in Aussicht, steht aber einer Justiz vor, die auf dem rechten Auge mehr als blind ist.

Der Bischof von Kalawrita, Amvrosios, der nicht als Geistlicher, sondern als Volksverhetzer vom Altar aus gegen Ausländer, Homosexuelle und Linke zu Gewalt und sogar zum Lynchmord aufruft, wurde trotz eines strengen Antirassismus-Paragraphen in erster Instanz frei gesprochen.

Beim Prozess gegen die Intellektuelle Soti Triantafyllou, die pauschal sämtliche Anhänger des Islam als Mörder bezeichnete, war es der Staatsanwalt, der offen bekannte, dass er mit dieser Ansicht übereinstimmen würde.

Goldene Morgenröte

Der 2013 begonnene Prozess gegen die Goldene Morgenröte, ihre Führungsgruppe und zahlreiche Mitglieder, die unter anderen wegen Mordes vor Gericht stehen, ist immer noch nicht abgeschlossen.

Die Regierung nimmt Parlamentarier der Goldenen Morgenröte mit auf Reisen durchs Land. Regierungsvertreter haben keinerlei Probleme sich bei offiziellen Anlässen neben Parteigrößen der Goldenen Morgenröte zu zeigen. Verteidigungsminister Panos Kammenos posierte gar für eine Selfie-Aufnahme mit einem verurteilten Mitglied der Partei, die ansonsten als Nazipartei bezeichnet wird.

Auch er hatte, wenngleich gegenüber einer anderen Person der Kommunalpolitik, den Bürgermeister von Aristotelis, Christos Pachtas, seine Landsleute aufgerufen, "lyncht ihn". Später erklärte er, dass er dies nur metaphorisch gemeint habe.

Tatsächlich werfen Regierung und Opposition gern die Begriffe "Verräter", "Kriminelle" und "Sondergerichtshof" in ihre politischen Diskussionen ein. Sie argumentieren nicht, sondern traktieren sich gegenseitig mit plakativen Aussagen. Mit dem Ausdrücken wie "Rechtsextreme" und "Faschisten" wird in der Regel so inflationär umgegangen, dass die Begriffe ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren.